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König in der Chipfabrik: Sachsen und Flamen vertiefen Kooperation in der Mikroelektronik

Eine Brücke verbindet die Häuser des Fraunhofer-Photonikinstituts IPMS in Dresden. Und virtuell wollen sich die sächsischen Mikroelektronik-Wissenschaftler mit ihren Kollegen vom Imec in Löwen und vom Cea-Leti in Grenoble zu einer paneuropäischen Plattform für Halbleiter-Forschung zusammentun. Foto: Heiko Weckbrodt

Eine Brücke verbindet die Häuser des Fraunhofer-Photonikinstituts IPMS in Dresden. Und virtuell wollen sich die sächsischen Mikroelektronik-Wissenschaftler mit ihren Kollegen vom Imec in Löwen und vom Cea-Leti in Grenoble zu einer paneuropäischen Plattform für Halbleiter-Forschung zusammentun. Foto: Heiko Weckbrodt

Belgischer Monarch Philippe besucht „X-Fab in Dresden

Dresden, 7. Dezember 2023. Flämische, sächsische und französische Mikroelektronik-Forscher wollen künftig enger zusammenarbeiten. „Wir wollen unsere Kooperation vertiefen“, kündigten unisono Strategiechef Jo De Boeck vom „Interuniversity Microelectronics Centre“ (IMEC) aus Löwen und Prof. Harald Schenk vom Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme (IPMS) bei einem Besuch des belgischen Königs Philippe in der Dresdner Chipfabrik der „X-Fab“-Gruppe an. Neben dem Imec und Fraunhofer gilt das Halbleiter-Forschungszentrum Cea-Leti im französischen Grenoble als Dritter im Bunde.

Harald Schenk. Foto: Fraunhofer-IPMS

Harald Schenk. Foto: Fraunhofer-IPMS

Fraunhofer, Imec und Cea-Leti planen paneuropäische Chip-Plattform

Diese führenden europäischen Akteure planen unter anderem, eine gemeinsame „Paneuropäische Plattform“ für die Forschungsproduktion neuer Schaltkreise und Chiptechnologien aufzubauen. Insgesamt sollen in diese virtuell vernetzten Pilotlinien 850 Millionen Euro oder womöglich sogar über eine Milliarde Euro im Zuge des „Europäischen Chipgesetzes“ fließen.

Jo De Boeck vom Imec. Foto: Heiko Weckbrodt

Jo De Boeck vom Imec. Foto: Heiko Weckbrodt

Plan: Imec macht „Leading Edge“, Leti verbessert SOI, Fraunhofer entwickelt Hetero-Chips

Die Flamen wollen sich dabei auf besonders schnelle Schaltkreise der Struktur-Generation 5 Nanometer und tiefer konzentrieren. Diese „Leading Edge“-Projekte sollen Europas Halbleiterfertigung technologisch auf ein Niveau mit TSMC, Samsung und Intel katapultieren. Die Franzosen möchten derweil ihre stromsparende „Silicon on Insulator“-Technologie (SOI) weiter verbessern. Und die Sachsen widmen sich heterogenen Schaltkreisen, die aus unterschiedlich gefertigten Einzelteilen einen scheinbar monolithischen Multifunktions-Chip bilden.

Gründet Imec eine Niederlassung in Dresden?

Die Flamen erwägen in diesem Zusammenhang anscheinend, eine eigene Imec-Niederlassung in Dresden zu gründen. Auf Oiger-Nachfrage wollte der frühere Imec-Vizepräsident Ludo Deferm solch einen Plan zwar nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren. Es gebe keine konkreten Pläne dafür, sagte er, andererseits sei solch eine Imec-Dependence in Sachsen keineswegs ausgeschlossen, „wenn wir hier willkommen sind“.

Sachsen drängelten schon vor 10 Jahren in Löwen – doch das Imec zögerte damals

Dieser kleine Nachsatz hat seine Vorgeschichte: Bereits vor zehn Jahren hatte sich der damalige sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) in Flandern um solch eine Imec-Niederlassung in Dresden bemüht, war aber letztlich gescheitert. Laut Ludo Deferm wollte das Imec seinerzeit Reibereien mit Fraunhofer und anderen deutschen „Wettbewerbern“ vermeiden, auch konnte die Finanzierung solch einer Niederlassung nicht abschließend geklärt werden. „Vielleicht haben wir damals eine gute Gelegenheit verpasst“, meint der ehemalige Vizepräsident.

Chipgesetz und neuer Kooperationswille mischen Karten neu

Denn inzwischen hat sich der Wind gedreht: EU-Kommission und deutsche Regierung haben die Mikroelektronik wieder zur Schlüsseltechnologie geadelt. Zudem stehen im Zuge des „European Chips Acts“ auch ganz andere Summen für die Halbleiterforschung – zumindest prinzipiell – zur Verfügung. Und nicht zuletzt haben die meisten Branchenakteure und Wirtschaftspolitiker in den großen europäischen Chipclustern inzwischen erkannt, dass sie Europas Halbleiterindustrie nur gemeinsam so aufpäppeln können, dass sie auf Augenhöhe mit Taiwan, Südkorea und den USA agieren kann.

Hilde Crevits ist Vize-Ministerpräsidentin in Flandern - hier bei einem Besuch in der X-Fab Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Hilde Crevits ist Vize-Ministerpräsidentin in Flandern – hier bei einem Besuch in der X-Fab Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Lob aus Flandern für sächsische Vernetzungsstrategie

Wenn die Europäer wollen, dass die besten Autos, Medizintechnik bis hin zu Zelltherapien und andere Technologieprodukte in Europa hergestellt werden, dann müsse der Kontinent in der Mikroelektronik zusammenrücken, forderte auch die flämische Vize-Ministerpräsidentin Hilde Crevits am Rande des königlichen Besuchs in Dresden. „Nur dann können wir vermeiden, hinter den anderen Machtblöcken zurückzubleiben.“ Ausdrücklich lobte sie dabei die Sachsen, auf deren Initiative hin erst kürzlich 27 europäische Regionen die „European Semiconductor Regions Alliance“ (Esra) gegründet hatten.

Blick in den Reinraum des belgischen Mikroelektronik-Forschungszentrums "IMEC" in Löwen (Leuven), das nun auch zur Allianz "Silicon Europe" gehört. Abb.: IMEC

Blick in den Reinraum des belgischen Mikroelektronik-Forschungszentrums „Imec“ in Löwen (Leuven). Abb.: Imec

Drei führende Standorte in Europa als Vorreiter

Dass bei solchen solch bildenden Halbleiter-Verbünden die Region Grenoble, Flandern, und eben Sachsen eine Vorreiterrolle spielen, liegt nahe: Die FD-SOI-Chiptechnologie, auf die sich Globalfoundries (GF) Dresden spezialisiert hatte, wurde vom französischen Halbleiterkonzern STM und dem Cea-Leti wesentlich mitentwickelt. Zudem baut GF derzeit gemeinsam mit STM eine neue Chipfabrik in Crolles unweit von Grenoble. Das Imec wiederum ist Europas größtes Mikroelektronik-Forschungszentrum – zudem bahnen Sachsen und Flandern auch Wirtschaftsbeziehungen auf anderen Sektoren an. Und Dresden wiederum ist inzwischen der wohl größtes, auf jedenfalls aber der am breitesten aufgestellte Chip-Produktionsstandort in Europa. Zudem sind hier mit dem IPMS, Assid, EAS und CNT mehrere wichtige Mikroelektronik-Forschungsinstitute der Fraunhofer-Gesellschaft angesiedelt, ganz abgesehen von der Uni, der HTW sowie vielen weiteren außeruniversitären Instituten.

König und Königin besichtigen belgisch-ostdeutschen Chip-Auftragsfertiger

Und eine besondere Beziehung haben Sachsen und Belgien auch über die X-Fab: Die entstand zwar im Wesentlichen aus Fabriken der früheren DDR-Mikroelektronikindustrie, befinden sich heute aber in belgischer Hand. Dies war auch Anlass für den royalen Besuch heute in Dresden-Klotzsche, bei dem sich der belgische König Philippe und Königin Mathilde, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dessen Frau Elke Büdenbender und weitere Promis ein Bild von der X-Fab und deren Ausbaupläne in Dresden machten.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch X-Fab, IPMS, Imec, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt