Halbleiterindustrie, News, Wirtschaftspolitik, zAufi

27 Europaregionen gründen Chip-Allianz „Esra“

Ein Mitarbeiter des Mikroelektronik-Forschungszentrums Imec im belgischen Löwen schaut sich prüfend einen 300-Millimeter-Wafer an. Falls eine Euro-Foundry gebaut wird, steht auch dieser Standort zur Debatte. Foto: Imec

Ein Mitarbeiter des Mikroelektronik-Forschungszentrums Imec im belgischen Löwen schaut sich prüfend einen 300-Millimeter-Wafer an. Flandern gehört zu den Gründern der neuen Halbleiter-Allianz „Esra“. Foto: Imec

Sachsen und Flandern wollen durch Verbund mehr Subventionen, Wertschöpfungsnetze und Forschung in Europas Mikroelektronik anstoßen

Brüssel/Dresden, 7. September 2023. Sachsen und 26 weitere europäische Mikroelektronik-Regionen haben heute in Brüssel eine „European Semiconductor Regions Alliance“ (Esra) gegründet. Das hat die sächsische Staatskanzlei heute mitgeteilt.

Der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Foto: Heiko Weckbrodt

Der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Foto: Heiko Weckbrodt

Kooperation soll industrielle Kerne stärken

„Um die Wertschöpfung auf dem Kontinent zu halten und unsere industriellen Kerne zu stärken, bedarf es einer starken europäischen Kooperation und Produktion“, erklärte der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). „Mit Esra eröffnen wir für die Regionen neue Wege, um zusammenzuarbeiten, zu forschen und Innovationen auf den Weg zu bringen und so die wirtschaftliche und digitale Souveränität Europas sicherzustellen“, betonte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).

Michael Kretschmer. Foto: CDU-Landesverband Sachsen

Michael Kretschmer. Foto: CDU-Landesverband Sachsen

Auch Fachkräfte-Mangel und Ressourcen-Hunger der Halbleiterbranche im Fokus

Die neue Allianz ist vor allem als Interessenvertreter der europäischen Hightech-Regionen bei der EU-Kommission gedacht, wenn es um die Verteilung von Mikroelektronik-Subventionen geht. Esra soll aber auch neue Wertschöpfungs-Netze in Europa knüpfen, die Mikroelektronik-Forschung fördern, Fachkräfte-Engpässe in der Halbleiterindustrie mindern und neue Wege finden, um den wachsenden Bedarf der Chipwerke an Wasser, Strom und anderen Ressourcen möglichst umweltfreundlich zu decken.

Sachsens Wirtschaftsminister: Wollen uns aus hoher Abhängigkeit von Amerika und Asien lösen

Ebenfalls auf der Esra-Agenda stehen die vieldiskutierten Forderungen, Europa möge sich unabhängiger von störanfälligen Lieferketten aus Asien und Amerika machen. „Digitalisierung, Energiewende, Elektromobilität, Künstliche Intelligenz – diese brennenden Herausforderungen meistern wir nur, wenn die dafür benötigten Chips jederzeit verfügbar sind“, argumentierte Minister Dulig. „Gegenwärtig geht es vor allem darum, sich aus der hohen Abhängigkeit vom amerikanischen und insbesondere vom asiatisch/chinesischen Markt zu lösen.“

Vor allem die modernen 300-mm-Fabriken von TSMC sind stark ausgelastet. Foto: TSMC

Blick in eine 300-mm-Fabrik von TSMC in Taiwan. Foto: TSMC

Milliardenzuschüsse an Intel, TSMC und Infineon verteidigt

In diesem Zusammenhang verteidigte Dulig erneut die umstrittenen Milliarden-Subventionen für die neuen Chipwerke von Intel in Magdeburg sowie TSMC und Infineon in Dresden: „Wenn die Halbleiterhersteller für ihre neuesten Chip-Generationen Fertigungsstandorte suchen und dafür Neuansiedlungen planen, erwarten sie angemessene öffentliche Unterstützung“, argumentierte er. „Hier gilt es, auch im internationalen Wettbewerb gegen konkurrierende Programme zu bestehen – etwa mit den USA und den dortigen Förderangeboten. Ansiedlungen, die jetzt außerhalb von Europa geschehen, können wir später nicht nachholen.“

„Von den Milliarden profitieren langfristig alle“

Sachsen habe mit seiner Ansiedlungspolitik in diesem Sektor gute Erfahrungen gemacht: „Von den Milliarden, welche die EU und der Bund in die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chipindustrie investieren, profitieren langfristig wir alle“, unterstrich der Wirtschaftsminister. „Allein die Effekte der Jahrhundert-Investition von TSMC für die Bauwirtschaft, das Handwerk, den Handel, die Weiterentwicklung unserer Verkehrsinfrastruktur und die demografische Entwicklung durch den Zuzug von Fachkräften können wir nicht hoch genug schätzen. Durch Folgeeffekte ist mit dem Ausbau von weiteren Unternehmensstandorten und zusätzlichen Neuansiedlungen in Sachsen zu rechnen.“

Flandern setzt Forschungs-Fokus

Die Flamen wiederum – die mit dem Imec in Löwen eines der größten Halbleiter-Forschungszentren überhaupt betreiben – rücken vor allem Innovationen und Mikroelektronik-Forschung in den Fokus der Allianz: „Für die flämische Regierung sind Forschung und Entwicklung von größter Bedeutung und Wert“, betonte Jan Jambon, der Ministerpräsident von Flandern. Es sei wichtig, die „Innovation durch ein neues Modell der Zusammenarbeit zwischen Wissenseinrichtungen, industriellen Akteuren und regionalen Entscheidungsträgern zu ergänzen“.

10 Ziele definiert

Zum Auftakt der Allianz haben die beteiligten Regionen ein 10-Punkte-Papier mit gemeinsamen Zielen verabschiedet. Dazu gehören folgenden Wünsche und Forderungen:

  • Bestmögliche und innovative Förderung und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen der Regionen im Rahmen des Europäischen Chip-Gesetzes sowie eine langfristige Festlegung von Mitteln im Mehrjährigen Finanzrahmen der EU zur Steigerung der europäischen Halbleiterproduktion sicherstellen;
  • Größtmögliche Flexibilität und Schnelligkeit bei der Prüfung und Gewährung staatlicher Beihilfen im Bereich der Halbleiterindustrie erreichen;
  • Forschung und Entwicklung ausbauen sowie Vernetzung von Forschungseinrichtungen in und zwischen den verschiedenen Regionen fördern und technologische Alleinstellungsmerkmale ausbauen;
  • Lösungsansätze für eine nachhaltigere Produktion von Halbleitern im Rahmen des Europäischen Grünen Deals entwickeln und umsetzen;
  • Ausreichende Wasser- und Energieversorgung an den Produktionsstätten sowie Versorgung mit allen notwendigen, insbesondere strategischen und kritischen Rohstoffen sichern;
  • Zusammenarbeit im Bereich der Talentförderung sowie Aus- und Weiterbildung von Fachkräften, bei der Anwerbung von außereuropäischen Fachkräften sowie internationalen Hochschulkooperationen stärken;
  • Zusammenarbeit der bestehenden Cluster pflegen und intensivieren;
  • Veranstaltungen in Kooperation mit den Akteuren der Branche durchführen;
  • Gemeinsame Interessen der Mitgliedsregionen gegenüber der EU-Kommission und den EU-Institutionen artikulieren und vertreten sowie
  • Vernetzung und Koordination der beteiligten Regionen auf Arbeitsebene und Vernetzung mit Industrieverbänden und anderen europäischen Netzwerken.

Die Esra-Gründungsmitglieder

Zu den Esra-Gründungsmitgliedern gehören wiederum folgende Regionen:

Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen in Deutschland, Andalusien, Baskenland, Valencia und Katalonien in Spanien, Flevoland und Nordbrabant in den Niederlanden, Kärnten und Steiermark in Österreich, die Centro-Region in Portugal, Flandern in Belgien, Auvergne-Rhône-Alpes in Frankreich, Piemont in Italien, Tampere und Helsinki in Finnland, Südmähren in Tschechien, Wales im Vereinigten Königreich und die Republik Irland.

Regionalminister Thomas Schmidt. Foto: Foto-Atelier-Klemm für das SMR

Regionalminister Thomas Schmidt. Foto: Foto-Atelier-Klemm für das SMR

Regionalminister: Esra versteht sich als Partner der EU-Kommission

Den Plan für solch eine europäische Allianz hatte Sachsen schon seit einiger Zeit gehegt. Angesichts der starken Position, die das Dreieck Dresden-Chemnitz-Freiberg inzwischen in der Mikroelektronik inne hat, wollte die Staatsregierung nichts anbrennen lassen und die oft recht zähen Beihilfe-, Genehmigungs- und Abstimmungsprozesse – unter anderem im Rahmen des europäischen Chipgesetzes – durch solch einen Zusammenschluss forcieren. Im März 2023 hatten die Sachsen bereits 13 Regionen beisammen, die mitmachen wollten. Inzwischen hat sich dieser Kreis verdoppelt. Die wollen sich allerdings nicht als Kontrapart der Brüsseler Kommissare verstanden wissen: „Die ‚European Semiconductor Regions Alliance‘ versteht sich als Partner der Europäischen Kommission“, betonte der sächsische Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (CDU), der zuvor wesentlich am „European Chips Act“ im Namen der Regionen mitgewirkt hatte.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: SSK, SMWA, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt