Halbleiterindustrie, News, zAufi

Chip-Finnenschwede: Sachsen ist meine zweite Heimat geworden

Jonas Sundqvist in seinem Schwedenhäuschen in Dresden mit einem Wafer-Transportwagen auf dem Schoß und einer Schwedenfahne samt Schaukel-Elch im Hintergrund. Foto: Heiko Weckbrodt

Jonas Sundqvist in seinem Schwedenhäuschen in Dresden mit einem Wafer-Transportwagen auf dem Schoß und einer Schwedenfahne samt Schaukel-Elch im Hintergrund. Foto: Heiko Weckbrodt

Jonas Sundqvist will von Sachsen aus Europas Chipindustrie eine ätzenden Schub in die Nanowelt verpassen

Dresden, 3. April 2023. Sachsen und Schweden haben eigentlich viel gemeinsam, ist Dr. Jonas Sundqvist überzeugt: Das Schulsystem zu DDR-Zeiten erinnert ihn an das schwedische, der Gedanke des gemeinsamen Lernens und dergleichen mehr. Nur richtig große Chipfabriken und große Reinräume, die hat Schweden eben nicht – und vor allem deshalb ist Dresden für den Halbleiterexperten Sundqvist eine zweite Heimat geworden: Über zwei Jahrzehnte lang hat er in den großen Chipbuden und Forschungsschmieden des „Silicon Saxony“ gearbeitet, hat ein Stück weit den Standort auch mitgeformt.

Empfang mit Schwedenfahne, Dresdner Stollen und schwedischen Lebkuchen bei den Sundqvists in der Dresdner "Schwedensiedlung". Foto: Heiko Weckbrodt

Empfang mit Schwedenfahne, Dresdner Stollen und schwedischen Lebkuchen bei den Sundqvists in der Dresdner „Schwedensiedlung“. Foto: Heiko Weckbrodt

Heute keine Problem mehr: Vom Wohnzimmer in Dresden aus eine Halbleiter-Firma in Lund leiten

Heute leitet er von seinem Wohnzimmer im sogenannten „Schwedendorf“ nahe am Fernsehturm aus seine neue, eigene Halbleiterfirma „Alixlabs“, die er gemeinsam mit Landsleuten im schwedischen Lund gegründet hat. Die ist auf neue Ätztechnologien spezialisiert, die womöglich einmal Europas Mikroelektronik einen alternativen Weg in die Welt der ultrafeinen Chipstrukturen unterhalb von zehn Nanometern (Millionstel Millimeter) ebnen könnten. Kein Wunder, dass er und seine Mitstreiter den größten europäischen Schaltlkreis-Produktionsstandort ausgesucht haben, um ihre neue Technologie zur Marktreife zu führen eben Dresden.

Völlig zerstörtes Dresden erwartet

Dabei ist Sundqvist ein echter Kosmopolit, der sich erst mal mehrere internationale Standorte angeschaut hat, bevor er sich für Dresden entschieden hat. Schweden und Finnland seien zwar seine Heimat, zu Hause fühle er sich aber inzwischen vor allem in Sachsen, erklärt er. Seine Geschichte beginnt vor knapp 50 Jahren im Norden Europas: 1974  als „Finnenschwede“ in Helsinki geboren, promovierte Sundqvist als Chemiker in Uppsala. Schon im Studium spezialisierte er sich auf die Atomlagen-Abscheidung („Atomic layer deposition“, kurz: ALD) für Chipfabriken.

Blick in einen Infineon-Reinraum in Dresden. Foto: Infineon

„Ich habe mich dann in ganz Europa nach einem Job umgeschaut. Deutschland stand dabei eigentlich gar nicht auf meiner Liste.“ Nur zögernd folgte er daher 2003 dem Ruf der ehemaligen Siemens-Tochter Infineon nach Dresden. „Ich hatte ein völlig falsches Bild von Dresden“, erzählt er. „Alle haben mir gesagt, dass die Engländer und Amerikaner dort im Krieg alles völlig zerstört haben und die Stadt bis heute ein völliges Ödland sei. Umso größer war der Wow-Effekt, als ich nach dem Vorstellungsgespräch bei Infineon hier in einem Mercedes herumgefahren wurde und die Stadt mal richtig gesehen habe.“

Neue Technologien für deutsche Speicherchip-Schmiede eingeführt

Bei Infineon half er in den Folgejahren mit, die ALD-Technologie für besonders leitfähige „High-K“-Materalien, die Intel und Samsung bereits praktizierten, auch in den Dresdner Chipfabriken für die sogenannten „dRAM“-Speicher großformatig aufzuziehen. „Infineon hat damals alle dafür geeignete Anlagen in Dresden nach und nach durchgetestet“, erzählt Sundqvist.

Qimonda mischte technologisch ganz vorn mit

Kurz nachdem Infineon seine Speicherchip-Sparte abgespaltet hatte, wechselte auch der Atomlagen-Experte 2006 hinüber in Nachbargebäude zu Qimonda, forschte dort an international wegweisenden Halbleitertechnologien, lernte dort auch seine spätere Gattin kennen. „Das war ein sehr interessanter Job damals und ich war hochmotiviert, weil wir da technologisch an der Spitze und mit vielen internationalen Partnern gearbeitet haben. Ich würde mal schätzen, dass wir damals bei Qimonda technologisch etwa gleichauf mit Samsung waren, in einigen Bereichen sogar besser.“ Geholfen habe auch die enge Kooperation mit der Dresdner Uni: „Wir haben neue Materialien oft erst mal in den Reinräumen der Tu getestet und dann die ersten Kleinserien im Pilot-Reinraum von Qimonda im Gebäude 48 hochgefahren.“

Nach Qimonda-Pleite: „Wir waren alle stinksauer“

Dann kam 2008 und die große Chipkrise. „Wir waren damals alle stinksauer, dass der Bund und die EU nicht gesehen haben, welche Systemrelevanz Qimonda für Europa hatte.“ Der letzte große europäische Speicher-Chiphersteller, der noch an der vordersten technologischen Front arbeitet, hätte unbedingt gerettet werden müssen, war und ist er fest überzeugt. „Inzwischen haben Berlin und Brüssel längst erkannt, wie wichtig Leading-Edge-Chips für die Autoproduktion und viele andere Industrien haben. Heute würde das anders laufen. Doch damals hat die Bundesregierung lieber Opel gerettet und Qimonda pleite gehen lassen.“

Stimmungsumschwung in Berlin und Brüssel

Inzwischen sei da ein deutlicher Gesinnungswandel in Berlin und Brüssel sichtbar: „Seitdem Autos quasi fahrende Smartphones geworden sind, seitdem überall vom autonomen und vernetzten Fahren die Rede ist, hat die Mikroelektronik einen ganz neuen Stellenwert für die Bundesregierung bekommen“, meint Sundqvist. „Deshalb ist es auch so wichtig geworden, TSMC, Intel oder Samsung in Deutschland anzusiedeln. Da schwingt jetzt immer die Sorge mit, was wohl geschieht, wenn mal etwas mit Taiwan passiert.“ Seither buttern Bund und Länder nun doch Millionen und Milliarden an Subventionen in immer neue Chipfabrik-Ansiedlungen, -Ausbauten und Forschungsprogramme hinein, sei es nun für Intel, Infineon, Globalfoundries, Wolfspeed, Bosch, X-Fab oder andere.

Fraunhofer-CNT von Qimonda auf Globalfoundries umgepolt

Nach der Insolvenz des Speicherchipriesen 2009 bewarb sich Sundqvist – wie so viele andere Qimondianer – zunächst bei Solarunternehmen in Sachsen. Dort allerdings waren die technologischen Herausforderungen weit geringer als bei einem international agierendem Speicherchiphersteller und die Löhne spürbar niedriger. So wechselte der Halbleiterexperte erst für ein kurzes Intermezzo ins belgische Elektronik-Großforschungszentrum Imec und dann ins Fraunhofer-Nanoelektronikzentrum CNT, das sich gerade neu auf Globalfoundries-Aufträge ausrichtete. Als allerdings klar wurde, dass sich Globalfoundries in Dresden bei der 28-Nanometer-Generation verharren und die nächsten internationalen Schritte in Richtung sieben Nanometer nicht mitgehen würde, schaute sich der Chemiker erneut nach neuen Herausforderungen um.

Dr. Jonas Sundqvist, Gruppenleiter Dünnschichttechnologien, zeigt Prototypen textiler Solarzellen. Foto: Fraunhofer IKTS

Das Archivfoto zeigt Dr. Jonas Sundqvist als Gruppenleiter für Dünnschichttechnologien in seiner Fraunhofer-Zeit mit Prototypen textiler Solarzellen. Foto: Fraunhofer IKTS

Ätzen und Spalten in Lund

In den Folgejahren forschte er an der TU Dresden und am Fraunhofer-Keramikinstitut IKTS in Dresden an Dünnschicht-Technologien. Und an der Uni Lund entwickelte er mit weiteren Chemikern und Halbleiter-Experten eine Technologie, um Atomlagen für Chips nicht nur nur abzuscheiden, sondern auch durch atomgenaues Ätzen und Spalten („Atomic Layer Etch Pitch Splitting“ = APS) wenige Nanometer kleine Strukturen zu erzeugen. Normalerweise braucht man dafür über 100 Millionen Euro teure Extrem-Ultraviolett-Belichter (EUV) vom niederländischen Alleinhersteller ASML. Doch das Team um Jonas Sundqvist war bald überzeugt: Die APS-Methode ist eine echte Alternative und könnte Europas Halbleiterindustrie womöglich helfen, den strukturtechnologischen Rückstand zu Samsung, TSMC und Intel wieder aufzuholen. Und so gründeten die Schweden 2019 die Firma „Alixlabs“, die nun in Dresden das Verfahren bis zur Massenproduktionsreife führen will.

Ein Bündnis zwischen Südschweden und Sachsen als persönliche Mission

Bisher funktioniert das Verfahren laut Alixlabs im Labormaßstab bis hinunter zu zwei Nanometern. „Das Ökosystem hier in Dresden bietet für uns die besten Möglichkeiten, unser Verfahren jetzt zügig vom Labor in den Fabrikmaßstab zu überführen“, betont Sundqvist. „Der Standort ist in den letzten Jahren noch mal stärker und breiter geworden. Und ich sehe es als meine persönliche Aufgabe, eine langfristige Hochtechnologie-Kooperation zwischen dem wachsenden Cluster Südschweden und Sachsen zu etablieren.“

Tochterfirma in Dresden geplant

Er plant nun, eine Tochterfirma in Dresden zu gründen, um den Transfer in die großen Chipfabriken voranzutreiben. Die Alixlabs-Belegschaft in Schweden und Sachsen soll in den nächsten Jahren schrittweise bis auf zunächst 30 Beschäftigte wachsen. Ab der Jahreswende 2026/27 will Sundqvist das Ätzverfahren dann soweit haben, dass die ersten Kunden diese Systeme in großen Chipfabriken hochfahren können.

Mehr Infos im Netz: alixlabs.com

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Interview Sundqvist, Oiger-Archiv

Zum Weiterlesen:

Mehr Geld für Alixlabs 

Sundqvist: In Deutschland steht immer gleich der Weltuntergang bevor 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt