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Zuwanderung aus Osteuropa kann deutschen Fachkraft-Mangel nicht beheben

Binnen zwei Jahren hat sich Wohnungsbau in Sachsen um etwa ein Drittel verteuert. Foto: Heiko Weckbrodt

Nach der EU-Osterweiterung und den folgenden Freizügigkeitsregeln von 2011 haben Arbeitnehmer aus Polen, Ungarn und anderen Beitrittsländern vor allem Jobs in Speditionen, in der Logistik, auf dem Bau und in der Landwirtschaft angenommen, die viele Deutsche verschmäht haben. Foto: Heiko Weckbrodt

Ifo Dresden: EU-Osterweiterung hat Lücken im Arbeitsmarkt geschlossen, aber vor allem in Jobs, die viele Deutsche verschmähen

Dresden, 23. April 2024. Ost- und Ostmitteleuropäer haben nach der EU-Osterweiterung einige Lücken im deutschen Arbeitsmarkt geschlossen, dabei jedoch kaum deutsche Arbeiter verdrängt: Sie üben zumeist eher niedrigqualifizierte und mäßig bezahlte Tätigkeiten aus, die deutsche Arbeitnehmer verschmähen, beispielsweise in Speditionen, Lagerhallen, Zeitarbeitsfirmen, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft. Das schlussfolgert „Ifo“-Wirtschaftsforscher Prof. Joachim Ragnitz aus Dresden, nachdem er die Auswirkungen der EU-Osterweiterung ab 2004 analysiert hat.

Prof. Joachim Ragnitz ist Stellvertretender Leiter der ifo-Niederlassung Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Joachim Ragnitz ist Stellvertretender Leiter der ifo-Niederlassung Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Ragnitz: Ost- und Mitteleuropäer haben deutsche Arbeiter nicht verdrängt

„Anders als von vielen befürchtet, hat dies nicht zu einer Verdrängung deutscher Beschäftigter vom Arbeitsmarkt geführt“, betont Prof. Joachim Ragnitz vom Ifo Dresden. „Personen aus den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern sind vor allem in Branchen und Berufen tätig, die aufgrund niedriger Löhne oder ungünstiger Arbeitsbedingungen für heimische Arbeitskräfte wenig attraktiv sind.“

Höherqualifizierte bekommen auch daheim gutes Geld

Allerdings rechnen die Ökonomen nicht damit, dass die Bundesrepublik ihre wachsenden Fachkräfte-Lücken künftig durch Einwanderer aus Ländern östlich der deutschen Grenze wird decken können. Grund: Gebraucht werden in der Bundesrepublik vor allem Höherqualifizierte. Doch solche Fachkräfte aus Osteuropa bekommen auch in ihrer Heimat oder anderswo so gute Löhne, dass sie gar nicht daran denken, nach Deutschland auszuwandern. „Der Beitrag von Beschäftigten aus diesen Ländern zur Deckung von Engpässen in anspruchsvollen Tätigkeiten ist derzeit recht gering“, erklärt Ragnitz. „Dies dürfte damit zu tun haben, dass höher Qualifizierte auch in ihren Heimatländern gute Arbeitsmarktchancen haben und im Zweifel dort auch überdurchschnittlich bezahlt werden. Aber viele der Beschäftigten aus diesen Ländern weisen die entsprechenden Qualifikationen erst gar nicht auf.“

42 % sind als Helfer tätig, nur 10 % als Spezialist oder Experte

Dies spiegelt sich in den Einstufungen und Löhnen für Arbeitnehmer aus den Beitrittsländern: 48 Prozent arbeiten derzeit als Fachkraft, 42 Prozent als Helfer und je 5 Prozent als Spezialist oder als Experte. Insgesamt sind laut der Ifo-Analyse inzwischen 820.000 Arbeitnehmer aus Polen, Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen in Deutschland tätig. Eingerechnet sind hier zudem auch Beschäftigte aus Malta und Zypern, weil diese Länder damals zeitgleich der EU beitraten. In Summe entspricht dies 2,4 Prozent aller Beschäftigten. Mit 65 Prozent machen Polen den größten Anteil unter den 820.000 Zugewanderten aus, gefolgt von den Ungarn mit 14 Prozent Anteil.

Die EU-Osterweiterung 2004 und die schrittweise bis 2011 eingeführten Freizügigkeitsregeln für Polen, Tschechien und andere Beitrittsländer hatten nicht nur in Deutschland für Befürchtungen gesorgt, diese Zuwanderer könnten derart niedrige Löhne akzeptieren, dass sie deutsche Arbeiter de facto verdrängen. Auch in Großbritannien hatten dieses Thema in der Brexit-Debatte häufig eine Rolle gespielt.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: Ifo Dresden

Wissenschaftliche Publikation:

20 Jahre EU-Osterweiterung: Beschäftigte aus den EU-Beitrittsländern in Deutschland“ von Joachim Ragnitz, in: ifo Dresden berichtet 2/2024, Fundstelle im Netz: https://www.ifo.de/publikationen/ifo-dresden-berichtet

  

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt