Technologie-Pionier Socher sieht KIs auf dem Weg zum Universalgelehrten
Dresden, 30. April 2024. Künstliche Intelligenzen (KI) werden in wenigen Jahren für Durchbrüche bei der Behandlung von Erbkrankheiten, im Design von Fusionsreaktoren, auf der Suche nach neuen Werkstoffen, ja selbst in der Steuerpolitik-Forschung und in anderen Wissenschaftsdisziplinen sorgen. Davon zeigte sich der sächsisch-kalifornische KI-Pionier Richard Socher bei einem Besuch in seiner Heimatstadt Dresden überzeugt.
Wissenschaftsbasismodelle sind der nächste große Schritt
Denn nach den großen Fortschritten „großer Sprachmodelle“ („Large Language Models“, kurz: LLM), auf denen Erklär-KIs wie „ChatGPT“ und „Gemini“ basieren, seien „große Wissenschaftsbasismodelle“ einer der nächsten logischen Evolutionsschritte für Künstliche Intelligenzen, argumentierte in einem Fachvortrag „The Eureka Machine“ an der TU Dresden, die ihm kürzlich die Ehrendoktor-Würde verliehen hatte. Socher sieht das als Teil einer fast schon zwangsläufigen Entwicklung: „Noch vor ein paar Jahren war für jede Aufgabe ein eigenes KI-Modell nötig: Übersetzung ins Französische – ein Modell. Textanalyse – ein Modell. Und so weiter.“ Als er und ein paar andere KI-Forscher prognostizierten, dass die Zukunft den universalen KI-Sprachmodellen gehöre, seien sie anfangs noch verlacht worden. Dann kamen große Akteure aus den USA wie OpenAI und stellten universelle Sprachmodelle vor, machten sie mit Diensten wie „ChatGPT“ gar öffentlich zugänglich. Google, Meta, Microsoft & Co. zogen nach und sie alle lösten gemeinsam einen KI-Hype aus.
Komplexe menschliche Sprache und Erbgut-Moleküle zu verstehen, ist nahe verwandt
Wenn KIs erst mal gelernt habe, natürliche menschliche Sprache sinnvoll zu verarbeiten („Natural Language Processing“, kurz: NLP), dann können sie beispielsweise prognostizieren, welches Wort in einem angefangenen Satz als nächstes kommt, welche Grundaussage sich im Bandwurm-Satz eines Menschen anbahnt und was grammatikalisch-inhaltlich gar nicht funktioniert. Und eben diese Fähigkeiten braucht auch eine Künstliche Intelligenz, die DNS-Erbgutmoleküle analysieren oder Wirkstoff-Proteine designen soll. Beispiel: Welche Base kommt als Nächstes, um die gewünschte Wirkung zu erzielen? Welche wirre Molekül-Abfolge führt zum genetischen GAU?
Prognose: KI wird die Medizin umkrempeln
„In zehn bis 20 Jahren wird KI die gesamte Medizinforschung verändern“, prognostiziert Socher daher. Denkbar sei, dass künftige KIs auf der Basis universeller Wissenschaftsmodelle beispielsweise Wege finden, um Erbkrankheiten nebenwirkungsfrei zu heilen, indem sie das Erbgut des Patienten direkt verändern.
Neue Chancen für Deutschland und Sachsen
Allerdings: Anders als die Sprach- und Bild-KIs, die das ganze Internet für ihre Anlernphase einspannen, sind wissenschaftliche Trainings-Daten schwerer zu erlangen: Zwar werden viele Forschungsarbeiten heute mit einer nutzungsoffenen Lizenz veröffentlicht. Doch die Rohdaten aufwendiger Experimente, die Befunde von Krebspatienten oder ähnliche wissenschaftliche Daten stehen normalerweise nicht frei im Netz. Daher werden die Forscher-KIs der Zukunft einerseits viel durch Simulationen lernen, meint Socher. Anderseits eröffne biete die Entwicklung künftiger KI-Wissenschaftsmodelle gerade forschungsstarken Ländern wie Sachsen und generell Deutschland neue Chancen.
Plaudern, Malen, Fabriken steuern: KI erobert sich mehr und mehr Einsatzfelder
Hinzu kommt: Mit Plaudereien, Bildgenese und zukünftig auch Forschung sind die Einsatzmöglichkeiten Künstlicher Intelligenzen längst nicht ausgeschöpft: In Industrie und im Dienstleistungssektor arbeiten zahlreiche Unternehmen derzeit an innovativen KI-Szenarien, darunter übrigens auch mehrere Firmen und Forschungseinrichtungen aus Sachsen. Und zu den Pionieren dieser Marschrichtung hin zum universellen KI-Einsatz gehört Socher: Seit Jahren arbeitet er an Wegen, KIs mit immer mehr Fähigkeiten auszustatten, um sie breiter nutzbar zu machen. Nach dem Abi am Gymnasium in Dresden-Plauen studierte er in Leipzig und Saarbrücken Computerlinguistik. Danach forschte er an den US-amerikanischen Elite-Unis Princeton und Stanford an künstlichen neuronalen Netze für die Sprachverarbeitung.
Suchmaschine liefert komplexe Antworten im Stile eines Wikipedia-Artikels statt bloßer Link-Listen
2020 gründete er mit you.com ein neues Unternehmen zur Entwicklung einer KI-basierten Suchmaschine. Die Idee dabei: Heutige Suchmaschinen wie Google geben meist Linklisten und nur selten eigene Erklärtexte zu einer Anfrage aus. KI kann aber mehr – und den Schritt hin zur „Do Machine“, zum Macher, zum Problemlöser gehen, ist Socher überzeugt. Das You.com-Kollektiv will daher seiner KI-basierten Suchmaschine beibringen, auf – in natürlicher Sprache gestellte – Fragen komplexe und enzyklopädische Antworten zu liefern, ähnlich als ob auf jede Frage ein eigener Wikipedia-Artikel entstehen würde. Dafür biegen die Youcommer ihrer Künstlichen Intelligenz beispielsweise bei, mit Quellenangaben und verschiedenen Perspektiven wie in einer wissenschaftlichen Arbeit zu arbeiten, auch Bilder in die Antwort einzubauen und sogar in Echtzeit eine kleine Computerprogramme zu schreiben. „Ich erlaube also der KIs, selbst einen Lösungsweg zu programmieren“, sagt Socher.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vortrag W. Socher, TUD, Oiger-Archiv, You.com
Ihre Unterstützung für Oiger.de!
Ohne hinreichende Finanzierung ist unabhängiger Journalismus nach professionellen Maßstäben nicht dauerhaft möglich. Bitte unterstützen Sie daher unsere Arbeit! Wenn Sie helfen wollen, Oiger.de aufrecht zu erhalten, senden Sie Ihren Beitrag mit dem Betreff „freiwilliges Honorar“ via Paypal an:
Vielen Dank!
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.