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Freiberger Halbleiterfirma: Europa braucht neue Gallium-Quellen

Die Qualitätskontrolle bei FCM ist mehrstufig, teilweise automatisiert und sensorgestützt - aber manchen Fehler erkennt dann doch eher das geschulte menschliche Auge. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Qualitätskontrolle bei FCM ist mehrstufig, teilweise automatisiert und sensorgestützt – aber manchen Fehler erkennt dann doch eher das geschulte menschliche Auge. Foto: Heiko Weckbrodt

FCM fürchtet zudem neue Lieferketten-Engpässe durch CO2-Zoll der EU

Freiberg, 22. April 2024. Deutschland und Europa sind in den Technologieketten für neueste Mobilfunk-Technik, Optoelektronik, blaue Laserdioden und andere Spezial-Mikroelektronik zu abhängig von zu wenigen Lieferanten – und da wiederum vor allem von China. Das haben führende Manager der Spezial-Halbleiterunternehmens „Freiberger Compound Materials“ (FCM) in Sachsen eingeschätzt. „Europa braucht beispielsweise neue Gallium-Quellen außerhalb von China“, meint FCM-Technologiechef Stefan Eichler. „Wir sind da fast komplett abhängig.“ Auch für die Spezialdrahtsägen, mit denen Halbleiter-Kristalle in einzelne Scheiben (Wafer) zerteilt werden, gebe es inzwischen keine europäischen Lieferanten mehr – die Reihe ließe sich fortsetzen.

FCM-Technikchef Stefan Eichler (links) und FCM-Chef Michael Harz (rechts) erklären dem sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig (Mitte) die Kristallzucht von Verbindungshalbleitern in Freiberg. Foto: Heiko Weckbrodt

FCM-Technikchef Stefan Eichler (links) und FCM-Chef Michael Harz (rechts) erklären dem sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig (Mitte) die Kristallzucht von Verbindungshalbleitern in Freiberg. Foto: Heiko Weckbrodt

Mit regionalen Wertschöpfungs-Netzen zur Technologie-Führerschaft in der Nische

Dass sich – zumindest in Marktnischen – auch viele eigene regionale Liefernetze aufbauen lassen, die für handfeste Wettbewerbsvorteile sorgen, exerzieren die Freiberger an anderen Gliedern ihrer Wertschöpfungskette selbst vor. Dazu muss man wissen: FCM hat sich auf Spezial-Wafer für Chipfabriken jenseits des „Massenmaterials“ Silizium fokussiert. Vor allem mit seinen Kristallen und Scheiben aus Galliumarsenid (GaA) sind die Sachsen international führend und kommen auf rund 70 Prozent Weltmarktanteil. International gibt es nur noch zwei weitere Anbieter aus Japan – sowie inzwischen auch vier chinesische Konkurrenten, die allerdings bislang nur den eigenen Binnenmarkt bedienen. GaA-Bauelemente haben im Vergleich zu siliziumbasierten Schaltkreisen zwar ein eher kleines Weltmarktvolumen. Für bestimmte Erzeugnisse wie etwa die Hochfrequenztechnik in Handys, Infrarot-Technik, bestimmte Auto-Komponenten, Laserprodukte und Militärtechnik sind sie aber unersetzlich.

Blick in die FCM-Produktion. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in die FCM-Produktion. Foto: Heiko Weckbrodt

Viele FCM-Anlagen sind Spezialanfertigungen aus Sachsen und tragen zur Weltmarktführerschaft bei

Die Anlagen, mit denen FCM die dafür nötigen Spezialhalbleiter-Materialien züchtet und konfektioniert, gibt es nicht „von der Stange“. Größtenteils handelt es sich um Sonderkonstruktionen, die sächsische Partnerunternehmen eigens für die Freiberger gebaut haben. Die Kessel für die Ausgangsstoffe beispielsweise hat ein Behälterbauer aus Freiberg nach FCM-Entwürfen hergestellt, die Prozess-Software kommt aus dem eigenen Hause. Die Bergakademie-Ausgründung „Freiberg Instruments“ steuert die neuesten Wafer-Poliermaschinen zu. „Aspect Systems“ aus Dresden hat vollautomatisierte und mit „Künstlicher Intelligenz“ (KI) aufgepeppte Defekt-Erkenner für die Qualitätskontrolle entwickelt. Diese und weitere regionale Partnerschaften haben aus Sicht von Stefan Eichler ganz wesentlich dazu beigetragen, dass sich ein im globalen Maßstab eher kleines Unternehmen wie FCM bisher so erfolgreich auf den Weltmärkten hat halten können. „Weil wir technologisch immer vorne sind und auch viel in die Qualitätssicherung stecken, bleiben wir wettbewerbsfähig zu Konkurrenz aus Asien“, ist der FCM-Technologiechef überzeugt.

Proben von Gallium und Arsen bei FCM. Foto: Heiko Weckbrodt

Proben von Gallium und Arsen bei FCM. Foto: Heiko Weckbrodt

Mit den Bauxit- und Alu-Hütten ist in Europa das „Nebenprodukt“ Gallium versiegt

Auf der anderen Seite sind da aber auch Standortnachteile, die in Deutschland zunehmend für Debatten sorgen und eben auch die Freiberger vor wachsende Probleme stellen. Dazu gehört eben das Problem, dass europäische Gallium-Quellen gemeinsam mit der energie-intensiven Aluminium-Gewinnung aus Bauxit größtenteils versiegt sind. Mindern will die FCM sich anbahnende Engpässe nun durch größere Gallium-Lager. Die binden allerdings wegen der hohen Gallium-Preise um die 350 bis 450 Dollar pro Kilogramm viel Kapital. Zweitens versuchen die Sachsen verstärkt, ausgediente Gallium-haltige Produkte weltweit wieder einzusammeln, um sie in ihre Stoffkreisläufe zurück zu leiten. Drittens bleibt der fromme Wunsch an Politik und Rohstoff-Unternehmen, neue Gallium-Quellen in Europa zu erschließen.

Die "Freiberger Compound Materials" (FCM). Foto: Heiko Weckbrodt

Die „Freiberger Compound Materials“ (FCM). Foto: Heiko Weckbrodt

Heiße Kristallzucht verbraucht viel Energie – jeder Stromausfall kann ganze Produktion vernichten

Sorgen machen zudem die jüngsten Energiekrisen in Deutschland: Einerseits verbraucht die Kristallzucht bei Temperaturen um die 1400 Grad viel Energie. Anderseits ist höchste Stabilität in der Stromversorgung nötig. Ein paar Minuten „Blackout“ kann der Betrieb zwar durch eigene Pufferspeicher ausgleichen. „Aber nach zehn Minuten Stromausfall ist hier die laufende Produktion nur noch Schrott“, erklärt FCM-Chef Michael Harz.

Kristallzucht-Ofen bei FCM. Foto: Heiko Weckbrodt

Kristallzucht-Ofen bei FCM. Foto: Heiko Weckbrodt

Kritik: CO2-Zoll der EU ist gut gemeint, geht aber nach hinten los

Ein weiterer neuer Standortnachteil ist mit den EU-Versuchen gekommen, eine Art Klimaschutz-Abwehrzoll von Nicht-EU-Firmen einzutreiben, damit deren Produkte in Europa ähnlich teuer werden wie die von einheimischen Unternehmen, die all die neuen Öko-Auflagen aus Brüssel einhalten müssen. Offiziell heißt dieser Schutzzoll „CO2-Grenzausgleichsmechanismus“ – und da kommen in Freiberg eben die bereits erwähnten Sägedrähte ins Spiel. Denn um die bei FCM gezüchteten runden Kristall-Rohlinge („Ingots“) schließlich in Scheiben zu teilen, wie sie später in den Chipfabriken gebraucht werden, sind hauchdünne Säge-Drähte mit einer Siliziumkarbid-Beschichtung nötig. Früher hatte FCM dafür zwei Lieferquellen. „Unser Lieferant aus Österreich hat dieses Geschäft leider aus Kostengründen aufgegeben“, erzählt Michael Harz. „Nun haben wir dafür nur noch einen Lieferanten aus Japan.“ Ob der allerdings den Papierkrieg mitmachen werde, den die EU für ihren „CO2-Grenzausgleichsmechanismus“ vorsehe, sei eher unsicher, fürchtet Harz: Die von den Brüsselern erdachten Lieferketten-Fragen zu klären, sei sehr aufwendig und kostspielig. Am Ende könne dies darauf hinauslaufen, dass die Japaner keine Lust mehr haben, nach Sachsen zu liefern. Dann müsse sich FCM statt dessen einen chinesischen Draht-Produzenten suchen. „Ein Paradebeispiel für gute gemeinte Ideen der Brüsseler Bürokratie, die nach hinten losgehen“, meint Harz.

Kristallrohling ("Ingot") von FCM. Foto: Heiko Weckbrodt

Kristallrohling („Ingot“) von FCM. Foto: Heiko Weckbrodt

Besondere strategische Bedeutung von FCM sorgte nach der Wende zu Rettungsmanövern des Bundes

Allerdings: Bisher hat es FCM immer wieder geschafft, durch widrige wirtschaftliche Fahrwasser zu navigieren, teils auch mit staatlicher Hilfe: Das Unternehmen entstand 1995 aus den Resten des einstigen DDR-Mikroelektronik-Universalzulieferers „VEB Spurenmetalle Freiberg“, der nach der Wende auch der Nukleus für Siltronic Freiberg, mehrere Solarunternehmen und weitere Tech-Firmen in der ehemaligen Bergbaustadt war. Aus dem VEB entstand unter anderem 1990 die „Freiberger Elektronikwerkstoffe Produktions- und Vertriebsgesellschaft mbH“ (FEW). Fast zeitgleich hatte die westdeutsche Firma „Wacker“ beschlossen, ihre Galliumarsenid-Sparte aufzugeben. Wegen der besonderen militärischen und wirtschaftsstrategischen Bedeutung dieser Halbleiter drang die Bundesregierung jedoch auf eine Fortführung. In der Folge übergab Wacker seine GaA-Anlagen an die Freiberger. Aber erst, nachdem 1995 die israelische Federmann-Gruppe die Galliumarsenid-Produktion in Sachsen übernahmen und die FEW in die FCM umfirmierte, stabilisierte sich die wirtschaftliche Lage für das Unternehmen. Seither hat Federmann umgerechnet über 200 Millionen Euro in den Standort investiert, teils auch mit staatlichen Subventionen.

FCM baut Fabrik von Spezialmaterial für Handy-Chips weiter aus

Mittlerweile hat FCM neben der GaA-Produktion weitere Verbindungshalbleiter ins Programm genommen, darunter Wafer aus Galliumnitrid (GaN) und Indiumphosphid (InP). Erstere braucht man für blaue Laser und Leistungshalbleiter, zweitere für die Optoelektronik, Glasfasertechnik sowie Hochfrequenzmodule für den Mobilfunk der 5. und 6. Generation (5G und 6G). Parallel dazu hat das Unternehmen über Jahre hinweg Produktionsstätten der pleite gegangenen Solarwatt in Freiberg übernommen – ein positiver Nebeneffekt der mitteldeutschen Solarkrise gewissermaßen. Derzeit richtet FCM wieder eine neue Halle ein, um die InP- und GaN-Produktion anzukurbeln. Auch hat sich das Unternehmen erfolgreich um Staatsgelder für „Wichtige Projekte von gemeinsamem europäischen Interesse in der Mikroelektronik“ (Ipcei ME II) beworben. Mit diesen Subventionen wollen die Freiberger unter anderem die Zucht größerer Kristalle und damit die Produktion größerer Scheibendurchmesser aufbauen.

Bis zu eine Million Wafer pro Jahr

Derzeit hat FCM rund 350 Beschäftigte sowie 1700 Reinraum-Fläche. Im Jahr 2023 kam das Unternehmen auf etwa 80 Millionen Euro Umsatz, vor allem in Taiwan, Japan, den USA und teils auch in Deutschland. Bei Vollauslastung können die Freiberger Fabriken bis zu eine Million Wafer jährlich liefern. Pro Jahr investiert das Unternehmen laut eigenen Angaben rund zehn bis 10 Millionen Euro.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch, Auskünfte FCM, Oiger-Archiv, Wikipedia, EU-Parlament, Anhui Fitech Materials

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt