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KI sucht im Datenstrom nach Krebsmustern

Agiert die KI künftig als Berater für Onkologen? Krebs, Lunge, Karzinom, Expertensystem Visualisierung: Dall-E

Agiert die KI künftig als Berater für Onkologen? Visualisierung: Dall-E

Casus Görlitz will durch Analysen von Millionen Patienten-Fallakten die Früherkennung und Therapie von Tumoren verbessern

Görlitz, 19. Juni 2023. Dank der supercomputer-gestützten Analyse von Millionen Patientendaten können Onkologen künftig Krebs rascher erkennen, besser therapieren und auch nachbehandeln. Davon sind die Forscher vom Zentrum für datenintensive Systemforschung „Casus“ in Görlitz überzeugt. Sie übertragen dafür Datenanalyse-Methoden, die sie sonst für komplexe Systeme wie Erdklima, Fusionsreaktoren oder kosmische Strahlenausbrüche ansetzen, auch auf die hochautomatisierte Auswertung von Krebspatientendaten.

Von Anfang an mit Breslau verzahnt: Das Forschungszentrum Casus am Untermarkt in Görlitz. Foto: Heiko Weckbrodt

Das Forschungszentrum Casus in Görlitz. Foto: Heiko Weckbrodt

Internationale Verbundprojekte gestartet

Beispielhaft exerziert das Tochterinstitut des „Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf“ (HZDR) dieses Konzept derzeit in den internationalen Verbund-Projekten „Pioneer“, „Optima“ und „Solace“ an Prostata-, Lungen- und Brusttumoren durch, informierte Casus-Wissenschaftsdirektor Dr. Michael Bussmann. Weitere Krebsarten wollen sie später ebenfalls unter die Datenlupe nehmen.

Konzept: Computer finden Zusammenhänge

Die Idee dabei ist, dass leistungsstarke Computer besser als selbst der erfahrenste Onkologe bisher unerkannte Gemeinsamkeiten bereits erkrankter und behandelter Patienten entdecken kann. Das können zum Beispiel bestimmte Erbanlagen, Umwelteinflüsse, Lebensumstände und individuelle Medikamenten-Wirkungen sein. Auch lassen sich durch solche Analysen großer Datenmengen („Big Data“) künftig womöglich besser genau maßgeschneiderte Chemo,- Strahlen-, OP- oder andere Therapien für jeden einzelnen Patienten finden – eben solche, die in ganz ähnlich gelagerten Fällen weltweit besonders gut angeschlagen haben. Damit lassen sich letztlich auch Künstliche Intelligenzen (KI) füttern, die den Ärzten dann mit ihrem Expertenwissen und Ratschlägen bei Behandlungs-Entscheidungen helfen.

100 Millionen Fallakten: Größte Patientendatenbank für Prostatakrebs in Europa aufgebaut

Im Zuge des „Pioneer“-Projektes haben die Casus-Forscher und ihre Kollegen inzwischen über 100 Millionen anonymisierte Fallakten zusammengetragen und damit die – laut eigenen Angaben – größte Prostatakrebs-Datenbank in Europa aufgebaut. Das sei wegen der strengen europäischen Datenschutz-Regeln alles andere als leicht gewesen, räumt Bussmann ein. Nachdem dies aber geschafft sei, seien daraus deutliche Fortschritte auch ganz konkrete Fortschritte für die klinische Praxis zu erwarten. Daher sind in diesem ambitionierten Projekt neben der TU Dresden, der Uni Lund, dem „King’s College London“, den Unis Tampere, Göteburg und Aberdeen sowie weiteren Forschungseinrichtungen auch Pharmariesen wie Bayer an Bord. Denn selbst mit den Ressourcen eines Konzerns sei es kaum machbar, derartige internationale, datenschutzkonforme Sammlungen in überschaubarer Zeit aufzubauen. Nun soll diese Datenbank mit anonymisierten Fallakten für zahlreiche Forschungsprojekte genutzt werden.

Suche nach der individuellen Therapie

Dazu gehört unter anderem das Optima-Projekt. Das zielt eben auf KI-Expertensysteme, die Onkologen in den Klinken helfen sollen, für jeden Patienten mit Prostata-, Lungen- oder Brustkrebs die besten Therapieansätze zu finden. Daran dockt sich zudem das Vorhaben „Solace“ an, in dessen Zuge eine Datenbank für besonders effiziente Krebs-Früherkennungsmethoden entsteht. „Die Idee ist, all dies letztlich miteinander zu verknüpfen“, betont Casus-Wissenschaftsdirektor Bussmann. Bewähren sich diese Supercomputer-, „Big Data“- und KI-Ansätze, könnten sich dann auch auf weitere Krebsarten ausgeweitet werden.

Künstliche Intelligenzen sollen Ärzte bei der Entscheidungsfindung helfen. Hier auf dem Bild veranschaulicht Siemens, wie eine KI-Software Mediziner dabei unterstützen kann, Mammographie-Aufnahmen zu beurteilen. Foto: Siemens Healthineers

Künstliche Intelligenzen sollen Ärzte bei der Entscheidungsfindung helfen. Hier auf dem Bild veranschaulicht Siemens, wie eine KI-Software Mediziner dabei unterstützen kann, Mammographie-Aufnahmen zu beurteilen. Foto: Siemens Healthineers

„Wie ein zusätzliches Paar Augen“

Auch Akteure aus der Pharma- und Medizintechnikindustrie versprechen sich viel von solchen Analysen: „Die moderne Medizin ist datengetrieben“, argumentiert beispielsweise der „Roche“-Konzern aus der Schweiz. „Die Digitalisierung ist der Katalysator, um personalisierte Medizin in die Praxis zu bringen.“ Das werde besonders in der Onkologie sichtbar. „Bereits heute kommt KI eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Krebs zu – von der Früherkennung über die Entscheidungsfindung und Therapieplanung bis hin zur eigentlichen Therapie und Nachsorge“, heißt es auch von „Siemens Healthineers“. Die Künstliche Intelligenz agiere beispielsweise bei der Auswertung von Computer-Tomographien wie ein „zusätzliches Paar Augen“ und könne auch Zufallsfunde machen, die Radiologen beim Routine-Check leicht übersehen können. Und auch im Bundesgesundheitsministerium ist man überzeugt: „Der Einsatz Künstlicher Intelligenz kann in der Krebsbekämpfung einen deutlichen Mehrwert für Patientinnen und Patienten schaffen.“

Allerdings gibt es auch Stimmen, die vor überzogenen Erwartungen an den KI-Einsatz in der Medizin warnen: Einen erfahrenden Onkologen wird eine Künstliche Intelligenz auf absehbare Zeit kaum ersetzen können und teils erfüllen computergestützte Expertensysteme die in sie gesetzten Hoffnung nicht unbedingt.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch Casus, Auskünfte und Präsentation Bussmann, Oiger-Archiv, Roche, Siemens, Bundesgesundheitsministerium, Handelsblatt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt