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KI-Jurist: Das Urheberrecht ist tot

So stellt sich die Bildgenese-Instanz Dall-E der Künstlichen Intelligenz von OpenAI "Weltwissen" vor. Womöglich könnten die KIs in der Praxis mit diesem Konzept das bisherige Urheberrecht aushöhlen. Visualisierung: Dall-E

So stellt sich die KI-Bildgenese-Instanz „Dall-E“ das „Weltwissen“ vor. Womöglich könnten die KIs in der Praxis mit diesem Konzept das bisherige Urheberrecht aushöhlen. Visualisierung: Dall-E

Dresdner Rechtsprofessor Richter ist überzeugt, dass ChatGPT, Dall-E, Gemini & Co. den Urheberschutz bald undurchsetzbar machen

Dresden, 20. März 2024. Künstliche Intelligenz (KI) wird binnen weniger Jahre das Urheberrecht aushebeln und de facto abschaffen. Das hat der Wirtschaftsjurist Prof. Thorsten Richter von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTWDD) prognostiziert. Grund: Plauder-KIs wie ChatGPT von OpenAI oder Gemini von Google saugen Fachtexte, Kunstwerke, Maschinenbeschreibungen und Billionen anderer Datensätze mit großer Geschwindigkeit in sich auf und machen sie als „Weltwissen“ allen zugänglich. Nutze jemand dieses Weltwissen, indem er oder sie für ein eigenes Werk die KI zu Rate ziehe, sei eine urheberrechtliche Trennung im Nachhinein kaum noch möglich.

Neuer Grundsatz: „Weltwissen gehört allen“

„Ich denke, das Urheberrecht ist tot“, sagte Richter während eines Expertenabends der „Dresden International University“ (DIU) zum Thema „KI und ihr Einfluss auf Unternehmen und Management“. „Dieses Recht wird es nicht mehr lange geben. Es wird vermutlich durch den Grundsatz ersetzt: ,Weltwissen gehört allen’.“

KIs wegen Trainingsdaten und Ergebnissen in der Kritik

Hintergrund: Seit etwa anderthalb Jahren sind Unterhaltungs-KI-Instanzen (Chatbots) wie ChatGPT und Bildgenese-KIs-Instanzen wie Dall-E einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Seither reißen die Debatten um mögliche Urheberrechts-Verletzungen durch die Künstlichen Intelligenzen beziehungsweise ihre Betreiber und Nutzer nicht ab. Die Debatte dürfte neue Fahrt aufnehmen, wenn OpenAI mit „Sora“ bald auch eine KI-Instanz breit verfügbar macht, die Videos auf der Basis von Texteingaben ermöglicht. Die Diskussion dreht sich meist um zwei Punkte: Eine Reihe von Künstler und andere Kreative klagen dagegen, dass die großen Akteure der Branche ihre KIs ohne ausdrückliche Genehmigung mit ihren Werken trainieren. Andererseits bleibt umstritten, ob und ab wann KI-Nutzer ein Urheberrecht verletzen, wenn sie durch Texteingaben („Prompts“) neue Texte, ganze Essays, Abschlussarbeiten oder Bilder durch die Künstlichen Intelligenzen generieren lassen.

Wer könnte exemplarisch bei diesem KI-generierten Werk alles klagen? Rotkäppchen als minderjährige wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung? Der Maler Vincent van Gogh, wenn er denn noch lebte, weil er sich in seinem Stil kopiert sieht? Der immer massivere Einsatz von KIs wirft viele rechtliche Fragen auf. Visualisierung: Dall-E

Wer könnte exemplarisch bei diesem KI-generierten Werk alles klagen? Rotkäppchen als minderjährige wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung? Der Maler Vincent van Gogh, wenn er denn noch lebte, weil er sich in seinem Stil kopiert sieht? Der immer massivere Einsatz von KIs wirft viele rechtliche Fragen auf. Visualisierung: Dall-E

Wie stark muss sich das „neue“ Werk von den Trainingsdaten unterscheiden?

Ein Beispiel: Ein Nutzer wünscht sich per Prompt von der KI eine Grafik im Stil eines (noch lebenden) Künstlers der Gegenwart. Wie ähnlich darf das generierte Bild dann noch den ursprünglichen Trainingsdaten – also den Originalbildern eben jenes Künstlers – sein, damit ein Gericht das „neue“ Werk nicht als Plagiat einstuft? Ähnliche Konstellationen werden sich sicher künftig auch für Geräte-Designs, Maschinenentwürfe und dergleichen Wirtschaftsgütern mehr einstellen.

Manche KI-Betreiber sagen Schutzschilde gegen Urheberrechts-Klagen zu

Angesichts der schwierigen und derzeit nur am Einzelfall entscheidbaren Rechtslage gehen einige KI-Betreiber inzwischen dazu über zu versichern, dass die Nutzungsrechte an den per Prompt generierten „neuen“ Werken beim jeweiligen Nutzer liegen. Teilweise bieten sie ihren Kunden sogar einen Schutzschild und sagen zu, die Verfahrenskosten beziehungsweise Verteidigung bei möglichen Klagen zu übernehmen. Und dann gibt es eben den noch schmalen Grat der Bewertung: Ist ein per Texteingabe generierter Text oder ein Bild womöglich ein eigenes Werk mit eigenem Urheberrecht durch den Nutzer, egal, wie sehr das Artefakt dem Original ähnelt? Diese Meinung vertritt zumindest Professor Richter. „Wer das Prompt formuliert, schafft ein neues Werk, da es sich um eine Weiterverarbeitung handelt“, skizziert der HTW-Rechtsexperte die Meinung zumindest eines Teils der juristischen Gemeinschaft.

Prompt-Designerinnen tippen wie die Verrückten im Wettbewerb "Prompt Battle" im Herbst 2022 im Festspielhaus Hellerau. Foto: Heiko Weckbrodt

Prompt-Designerinnen tippen wie die Verrückten KI-Textanweisungen im – von der HTW Dresden organisierten – Wettbewerb „Prompt Battle“ im Herbst 2022 im Festspielhaus Hellerau. Foto: Heiko Weckbrodt

MMS-Technikdirektor Schönefeld: Das einzelne Werk fällt unter Trillionen nicht ins Gewicht

Tatsächlich sprechen auch technisch gewisse Punkte für eine kaum aufhaltbare Erosion des Urheberrechts, pflichtet auch Cheftechnologe Prof. Frank Schönefeld von der Softwareschmiede „Deutsche Telekom MMS“ in Dresden bei. Er verweist dabei einerseits auf die Klage-Abwehrschilde für die KI-Nutzer, anderseits aber auch auf die Trainingskonzepte für heutige Künstliche Intelligenzen. „In das Training der großen Sprachmodelle fließen gut und gerne 30 Trillionen Begriffe ein“, argumentiert Schönefeld, der an der DIU „Digitale Technologien“ lehrt. Selbst wenn der Betreiber auf die Klagen von Urhebern hin einzelne Datensätze wieder heraus löse, sei keine spürbare Leistungsänderung der KI zu erwarten. „Gegenüber der großen Menge an Weltwissen ist da das einzelne Werk irrelevant.“

Frank Schönefeld. Foto: Heiko Weckbrodt

Frank Schönefeld. Foto: Heiko Weckbrodt

Generative KIs verzichten auf weiteres Datenfutter von außen

Zudem trainieren sich große KIs längst auch selbst – anhand der selbst geschaffenen Werke beziehungsweise aus der Kenntnis bestimmter Regeln heraus. Ein Beispiel dafür ist die KI AlphaGo Zero (früher: AlphaGo), die inzwischen ohne Vorwissen, nur anhand weniger Spielregeln, selbstlernend nach wenigen Tagen selbst Go-Großmeister schlägt. Sprich: Diese „generativen KIs“ brauchen, einmal gestartet, auch kein „Datenfutter“ von außen. Was sie dann auf Prompt-Eingaben generieren, dürfte gegen Urheberrechts-Klagen noch stärker gefeit sein.

Trend mit Sprengkraft: Müssen Kreative zu Prompt-Arbeitern umschulen?

Was den KI-Nutzer freut, hat freilich auch eine andere Seite der Medaille: Erodiert das Urheberrecht oder ist am Ende obsolet, weil gar nicht mehr durchsetzbar, dann mindert das nicht nur die Einnahmen von Künstler-Millionären und großen Konzernen, die ihre Geschäftsgeheimnisse vielleicht sogar gegen wissbegierige KIs auch auf Dauer schützen können. Vielmehr stellt dieser Trend auch die finanzielle Existenzgrundlage des einzelnen Kreativen in Frage. Kann es dafür einen Ausgleich – etwa durch die KI-Betreiber – geben und wie könnte diese Kompensation aussehen? Oder überrollt das Rad der technologischen Entwicklung die Kreativen, die dann eben zu KI-Bedienern, zu Prompt-Arbeitern umschulen müssen? Und schmort die Menschheit in kultureller, wissenschaftlicher und innovativer Hinsicht dann womöglich nur noch im eigenen Saft, weil sich echte Kreationen jenseits Künstlicher Intelligenz einfach nicht mehr auszahlen? Diese und viele weitere Fragen sind derzeit noch offen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: KI-Thementag DIU, Referate und Auskünfte Th. Richter und F. Schönefeld, Oiger-Archiv, OpenAI, Wikipedia, DIU

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt