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Mehr Berufsschul-Plätze für Azubis gefordert

Schalt- und Verteilerpult für die Ausbildung im Berufsschulzentrum für Elektrotechnik Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Schalt- und Verteilerpult für die Ausbildung im Berufsschulzentrum für Elektrotechnik Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Neben Multi-Millionen-Projekt „SEM“ müssen auch Elektro-Berufsschulen wachsen, um Nachfrage der boomenden Chipindustrie zu decken

Dresden, 22. August 2023. Wenn Sachsen seine Wachstumschancen in der Hochtechnologie-Wirtschaft nicht verschenken will, müssen Unternehmen und Staat in den nächsten Jahren einige Hundert Millionen Euro in zusätzliche Ausbildungskapazitäten für Hightech-Azubis investieren. Vor allem sei es auch nötig, dass die Landeshauptstadt, die umliegenden Landkreise und der Freistaat die Berufsschul-Kapazitäten in und um Dresden ausbauen. Darauf hat Geschäftsführer Frank Bösenberg vom Branchenverband „Silicon Saxony“ in Dresden hingewiesen.

Frank Bösenberg. Foto: Tommy Halfter für Silicon Saxony

Frank Bösenberg. Foto: Tommy Halfter für Silicon Saxony

Silicon Saxony: Berufsschulen sind derzeit ein begrenzender Faktor

„Wenn wir unsere Potenziale nutzen wollen, dann müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen“, betonte Bösenberg. „Da wurde vieles inzwischen schon angeschoben. Aber die Berufsschulen sind derzeit ein begrenzender Faktor.“

Hunderte neue Berufsschulplätze benötigt

Der Bedarf dürfte durch die jüngsten Ansiedlungs- und Ausbaupläne in der sächsischen Mikroelektronik binnen zwei Jahren um mehrere Hundert Berufsschulplätze und entsprechende Lehrkapazitäten steigen. Das geht aus einer Antwort des sächsischen Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Abgeordneten Nico Brünler (Die Linke) hervor. Demnach dürfte die Nachfrage an Ausbildungsplätzen für angehende Mikrotechnologen bis zum Schuljahr 2025/26 um 50 Prozent wachsen: von derzeit acht auf dann zwölf Klassen. Ähnlich ist die Schätzung für Mechatronik-Azubis: Hier steigt der Bedarf von 22 auf 29 Klassen. Um diese elf zusätzlichen Berufsschulklassen aufzubauen, müssen die Kommunen und Kreise natürlich auch Räume und technische Lehrausrüstungen anschaffen. Und das Land wird zusätzliche Dozenten brauchen.

Sachsen braucht Tausende zusätzliche Mikroelektronik-Azubis

Generell kann die zusätzliche Lehrlings-Ausbildung aber nur eine Säule sein, um den rasch wachsenden Fachkräfte-Bedarf in den sächsischen Technologiebranchen zu decken: Laut einer „Silicon Saxony“-Analyse steigt dieser Bedarf in diesem Sektor bis 2030 von derzeit reichlich 76.000 auf dann 100.000 Stellen. Etwa die Hälfte der benötigten 24.000 zusätzlichen Arbeiter und Akademiker entfällt auf die Mikroelektronik, schätzt Bösenberg. Und davon sind wiederum zwei Drittel Akademiker und ein Drittel Facharbeiter. Was heißt: Bis Ende der Dekade liegt der Bedarf allein in der Mikroelektronik bei rund 4000 zusätzlichen Facharbeitern, von denen wiederum ein wesentlicher Teil durch eigene Ausbildung zu decken ist.

Blick in einer der 300-mm-Chipwerke von Foundry-Primus TSMC in Taiwan. Foto: TSMC

Blick in einer der 300-mm-Chipwerke von Foundry-Primus TSMC in Taiwan. Foto: TSMC

TSMC-Coup noch nicht eingerechnet

Noch nicht voll eingerechnet sind in diese Prognosen die geplante TSMC-Fabrik (2000 direkte Jobs und mindestens 3000 im Umfeld) und die neue Infineon-Fab 4 (1000 direkte Jobs und mindestens 1500 im Umfeld). In jedem Fall wird Sachsen aus eigener demografischer Kraft diese zusätzlichen Fachkräfte nicht haben. Daher setzen Wirtschaft und Staatsregierung auf eine Mehrsäulen-Strategie mit Zuwanderung, mehr Ausbildung, längere und stärkere Bindung von Frauen und älteren Fachkräften ans Berufsleben und dergleichen mehr.

Neues Mikroelektronik-Zentrum für 1000 Azubis kostet dreistelligen Millionenbetrag

Dazu gehört unter anderem das geplante „Sächsisches Ausbildungszentrum für Mikrotechnologie“ (SAM), das eine praxisnahe Lehre für rund 1000 Chipfabrik-Azubis anbieten soll. Fachlich und organisatorisch wollen sich die SBH Nordost GmbH – die bereits die Chipakademie in Dresden-Klotzsche betreibt – und die MEA Metall- und Elektroausbildung gGmbH aus Wilsdruff um das „Sam“ kümmern. Schätzungen zufolge wird das neue Zentrum einen dreistelligen Millionenbetrag kosten, da es mit Reinräumen und anspruchsvollen Chipwerk-Ausrüstungen ausgestattet werden soll.

Viele Reinraum-Mitarbeiter in der Globalfoundries-Fabrik tragen Ohrschützer mit lustigen Motiven. Bald haben sie mehr zu tun: Prozessoren und Sensorsysteme für Automobile gehen in Serie. Foto: Globalfoundries Dresden

Viele Reinraum-Mitarbeiter in der Globalfoundries-Fabrik tragen Ohrschützer mit lustigen Motiven.Foto: Globalfoundries Dresden

Auf der Suche nach weiteren Partnern – auch aus dem Mittelstand

Unseren Informationen zufolge bemüht sich ein großer Halbleiterhersteller in Dresden derzeit darum, weitere Finanzierungspartner aus der Chipindustrie und verwandten Branchen zu finden, darunter auch kleine und mittlere Unternehmen, die dann dort ihre Azubis ausbilden lassen könnten. Zudem wollen die SAM-Partner auch Fördergelder von Bund und Land akquirieren. So haben SBH und MEA bei der Sächsischen Aufbaubank bereits eine Viertelmillion Euro Zuschuss für die SAM-Planungen beantragt.

In der einstigen Reichsbahn--Ingenieurschule am Strehlener Platz in Dresden ist heute das Berufsschulzentrum für Elektrotechnik Dresden konzentriert. Foto: Heiko Weckbrodt

In der einstigen Reichsbahn–Ingenieurschule am Strehlener Platz in Dresden ist heute das Berufsschulzentrum für Elektrotechnik Dresden konzentriert. Foto: Heiko Weckbrodt

Mikrotechnologen-Theorie in Dresden konzentriert

Die theoretische Ausbildung wiederum übernehmen im „Silicon Saxony“-Einzugsgebiet vor allem acht Berufsschulen. Angehende Mikrotechnologen und Mikrotechnologinnen gehen in das Berufliche Schulzentrum (BSZ) für Elektrotechnik in Dresden. Das residiert in der ehemaligen Ingenieurschule am Strehlener Platz, ein Umzug in einen Neubau – womöglich an der Boxdorfer Straße – steht zur Debatte.

Acht Berufsschulen für Mechatroniker in Sachsen

Weil nicht nur die Mikroelektronik, sondern auch Autoindustrie und viele weitere Branchen Mechatroniker brauchen, ist deren Lehrausbildung breiter organisiert. Dafür sind in Sachsen folgende Berufsschulzentren zuständig:

  • BSZ für Elektrotechnik Dresden,
  • BSZ Bautzen,
  • BSZ für Technik und Wirtschaft Riesa,
  • BSZ Weißwasser,
  • BSZ Technik I Chemnitz,
  • BSZ für Technik und Wirtschaft „Julius Weißbach“ Freiberg,
  • BSZ für Technik „August Horch“ Zwickau,
  • BSZ Delitzsch „Dr. Hermann Schulze“.

Ministerium sieht größten Lehrerbedarf für Elektro-Berufsschule Dresden

Auch hier sind wahrscheinlich zusätzliche Ausbildungs-Kapazitäten fällig, besonders aber in der Landeshauptstadt: „Da der größte Zuwachs an Auszubildenden am BSZ Elektrotechnik in Dresden zu erwarten ist, werden hier künftig weitere Lehrkräfte für die genannten Ausbildungsberufe benötigt“, schätzt das Wirtschaftsministerium ein. Rechnet man die Ausgaben für das neue „SAM“ und die Berufsschul-Kapazitätserweiterungen zusammen, dürfte auf jeden Fall ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag zusammenkommen.

Linke: Müssen Berufsschule-Probleme landesweit angehen

„Solche Leuchtturmprojekte sind schön, aber wir haben in der Fläche Probleme, die wir endlich angehen müssen“, kommentierte der Landtagsabgeordnete Nico Brünler. „Das geht von der Berufsschulnetzplanung los und hört bei der Ausstattung der Berufsschulen noch nicht auf.“

Weiterbildung künftig wieder stärker in Chipakademie?

Unklar bleibt derweil, wie die Hightech-Branchen im „Silicon Saxony“ künftig ihren Weiterbildungs- und Umschulungsbedarf organisieren: Im SAM sind laut Wirtschaftsministerium gewisse Weiterbildungs-Möglichkeiten vorgesehen. Der Schwerpunkt liegt hier aber auf der Lehrlings-Ausbildung. In den Dekaden nach der Wende hatte vor allem die „Dresden Chip Academy“ solche Bildungsmöglichkeiten für Erwachsene in größerem Umfang angeboten, wobei diese Offerten inzwischen weniger geworden sind. Mittlerweile gehört die Chipakademie zur SBH Nordost. Dieser Bildungsträger hätte nach dem „SAM“-Start unter anderem die Option, an der Akdemie wieder die Erwachsenen-Bildung auszubauen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Auskünfte Bösenberg, Silicon Saxony, Kleine Anfrage Nico Brünler, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt