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Zwischen Verboten und Subventionen: Europas Mikroelektronik in der Zwickmühle

Regionalminister Thomas Schmidt. Foto: Foto-Atelier-Klemm für das SMR

Regionalminister Thomas Schmidt hat Sachsen und andere europäische Regionen bei der Genese des europäischen Chipgesetzes vertreten. Foto: Foto-Atelier-Klemm für das SMR

Regionalminister Schmidt plädiert für mehr Geld, Ökoenergie und Fachkräfte für Schlüsselindustrie – und mehr Augenmaß

Dresden, 14. Juli 2023. Mehr Ökoenergie und Subventionen sowie eine Fachkräfte-Offensive hat der sächsische Regionalminister Thomas Schmidt (CDU) für die Mikroelektronik in Deutschland und speziell in Sachsen gefordert. In der Debatte „Halbleiter Made in Europe – Weg zu mehr (Un)abhängigkeit?“ der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung verwies er auf erhebliche wirtschaftliche, ökologische und demografische Herausforderungen, vor denen Europas Halbleiterindustrie derzeit stehe.

Mitschnitt der Debatte
durch die Landeszentrale
für politische Bildung:

Fast schon „erpresserisch“

Angesichts der konkurrierenden Chipförderprogramme in den USA, in Südkorea, China, Indien und anderen Staaten sei kaum vorstellbar, dass die bisher für das europäische Chipgesetz („European Chips Act“) eingeplanten EU-Mittel ausreichen werden, um die gewünschte Aufholjagd von Europas Mikroelektronik zu schaffen. „Da kommen zwar noch die nationalen Investitionen wie beispielsweise für Intel in Magdeburg hinzu“, betonte Schmidt, der bei den Beratungen zum Chipgesetz als Vertreter der Regionen agiert hatte. Dennoch sei klar: „Das muss mehr Geld werden.“ Anderseits dürfe sich Europa nicht zum Spielball hoch pokernder Investoren machen: Wie Intel die Subventionen für seine geplanten beiden Chipfabriken in Magdeburg auf knapp zehn Milliarden Euro hochgetrieben habe, sei fast schon „erpresserisch“.

Das stillgelegte Kohlekraftwerk im saarländischen Ensdorf mit einer Animation der geplanten 200-Millimeter-Siliziumkarbid-Halbleiterfabrik von Wolfspeed und ZF. Visualisierung: ZF und Wolfspeed

Das stillgelegte Kohlekraftwerk im saarländischen Ensdorf mit einer Animation der geplanten 200-Millimeter-Siliziumkarbid-Halbleiterfabrik von Wolfspeed und ZF. Visualisierung: ZF und Wolfspeed

Die meisten Subventionen zahlen die Zielländer

Zur Erinnerung: Ein Großteil der Subventionen im Rahmen des Chip-Gesetzes stemmen letztlich die einzelnen Nationalstaaten und Regionen. Beispiele dafür sind eben die Zuschüsse für Intel in Magdeburg, Infineon in Dresden und Wolfspeed im Saarland, aber auch die Versuche der Spanier, in der Schaltkreis-Endmontage („Backend“) eine starke Marktposition aufzubauen.

Eher bescheidener Beitrag aus EU-Haushalt

Die EU selbst hingegen will selbst für ihr Mikroelektronik-Aufholprogramm nur 3,3 Milliarden Euro ausgeben. Den Rest sollen eben die Industrie selbst und die jeweiligen Mitgliedsstaaten finanzieren. Hinzu kommen in Europa allerdings noch die Milliarden-Summen, die für „Projekte von besonderem europäischen Interesse“ in der Mikroelektronik (Ipcei ME 1 und 2) geflossen sind und fließen.

Die in Shanghai beheimatete SMIC gehört inzwischen zu den größten Chip-Foundries weltweit und ist auch technologisch nicht mehr weit vom Weltstand entfernt. Abb.: SMIC

Die in Shanghai beheimatete SMIC gehört inzwischen zu den größten Chip-Foundries weltweit und ist auch technologisch nicht mehr weit vom Weltstand entfernt. Abb.: SMIC

Konkurrierende Standorte tragen Ansiedlungs-Wettbewerb mit exorbitanten Summen aus

Zum Vergleich: Der US-Chips Act sieht 52 Milliarden Dollar Subventionen vor und wird von von weiteren staatlichen Beihilfeprogrammen flankiert. Südkorea steckt bis 2030 rund 432 Milliarden Dollar in sein Mikroelektronik-Programm. Die chinesischen Förderprogramme sind weit verzweigt und schwer zu überschauen. Doch der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI aus Frankfurt am Main geht davon aus, dass das Reich der Mitte allein zwischen 2014 und 2019 rund 170 Milliarden Dollar in die Mikroelektronik-Förderung gesteckt hat – und in ähnlichen Größenordnungen weiterfördert. In Taiwan sind es wiederum eher private Akteure, die viel Geld in den Kapazitätsausbau stecken – allein TSMC investiert über 30 Milliarden Dollar pro Jahr in seine Chipfabriken. In Indien ist es wiederum die Regierung, die den Aufbau einer eigenen indischen Halbleiterindustrie aus dem Nichts mit mindestens zehn Milliarden Dollar bezuschussen will.

Blick in die Galliumarsenid-Waferfertigung bei FCM. Die Freiberger wollen nun auch die Galliumnitrid-Technologie in den Griff bekommen. Abb.: FCM

Blick in die Galliumarsenid-Waferfertigung in Freiberg. Abb.: FCM

Zu rasches Verbot von Arsen und Fluor-Ätzgasen könnte ganze Industrie ins Wanken bringen

Aber Geld sei nicht alles, betont der sächsische Minister Schmidt mit Blick auf diesen Wettlauf. Er wünscht sich auch ein Programm, um mehr Fachkräfte für die deutsche Halbleiterwirtschaft zu generieren. Außerdem plädierte er für eine durchdachtere Chemikalien-Politik der EU. Es sei beispielsweise zwar nachvollziehbar, wenn das giftige Arsen möglichst aus Produktionskreisläufen entfernt werden solle. Doch eben dieser Wunsch drohe zum Beispiel die Produktion von Galliumarsenid-Wafern in Freiberg unmöglich zu machen. Digitalreferent Nikolaus von Peter von der EU-Kommission versprach daraufhin, diese Kritik an nach Brüssel weiterzugeben. Denn diese besonderen Verbindungshalbleiter aus Gallium-Arsen-Verbindungen werden unter anderem für die Hochfrequenztechnik im Mobilfunk, in der Radartechnik und anderen Spezialanwendungen gebraucht.

MEMS-Sensoren sorgen in Smartphones zum Beispiel dafür, das der Bildschirm automatisch vom Hoch- ins Querformat wechselt. Foto: Bosch

MEMS-Sensoren von Bosch sorgen in Smartphones zum Beispiel dafür, das der Bildschirm automatisch vom Hoch- ins Querformat wechselt. Foto: Bosch

Mems, Hochfrequenz- und Auto-Schaltkreise: Europa Chipindustrie in einigen Nischen führend

Und eben hier stecken eben die europäischen Stärken, die Politiker wie Schmidt durch Chips Act & Co. weiter ausbauen wollen: Die Halbleiterindustrie in Sachsen, Bayern, Grenoble, Löwen und an anderen europäischen Standorten beherrscht zwar nicht die Spitzen-Chips mit Strukturen unterhalb von zehn Nanometern (Millionstel Millimeter) wie TSMC und Samsung. Die europäischen Fabriken sind aber bei einigen speziellen Chips unter anderem für die Automobilindustrie und den Maschinenbau, mit Hochfrequenz-Schaltkreisen, besonderen Sensoren und mikro-elektromechanischen Systemen (Mems) sogar weltweit führend. So stecken beispielsweise Halbleiter von Bosch und Infineon in vielen Smartphones weltweit. Darauf hat Vizedirektor Jörg Amelung vom Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme (IPMS) in Dresden hingewiesen. „Und Leistungshalbleiter sind für Europas Industrien regelrecht essenziell“, betonte der Forscher.

„Verbot würde dazu führen, dass alle Chipfabriken schließen müssten“

Auch er sieht erhebliche ökologische und toxikologische Herausforderungen, vor denen die sächsische und die ganze europäische Chipindustrie stehe. Ein Beispiel sei das Verbot fluorhaltiger Chemikalien wie Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (Pfas) oder von Schwefelfluor-Ätzgasen, die die EU schrittweise durchzusetzen versuche. Diese Stoffe sind umweltschädlich, in den komplexen Fertigungsprozessen der Mikroelektronik aber auch nur sehr schwer zu ersetzen. „Ein sofortiges Verbot würde dazu führen, dass alle Chipfabriken in Europa schließen müssten“, warnte Amelung.

Luftbild von Globalfoundries Dresden. Hinten sind die Schornsteine der beiden Energieversorgungs-Centren (EVC) zu sehen. Foto: GF DD

Luftbild von Globalfoundries Dresden. Hinten sind die Schornsteine der beiden Energieversorgungs-Centren (EVC) zu sehen, die das Unternehmen perspektivisch auch mit Wasserstoff speisen will. Außerdem plant das Unternehmen, seinen Stromverbrauch künftig teilweise durch eigene Solaranlagen zu decken. Foto: GF DD

Enormer Ressourcenverbrauch der Chipfabriken im Fokus

Eine „offene Baustelle“ ist weiterhin auch der hohe Verbrauch von Halbleiterwerken, die enorme Mengen an Wasser, Strom und anderen Ressourcen verschlingen. Hier sehen Schmidt wie auch Amelung den raschen Ausbau von Ökostrom-Quellen als Königsweg. „Die Verfügbarkeit erneuerbare Energie ist ein Standortvorteil von wachsender Bedeutung“, betonte Amelung, der mehrere Jahre auch die Innovationsprojekte der nationalen „Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland“ (FMD) geleitet hatte.

„Mit der Brechstange geht das nicht“

Dies sieht Minister Schmidt ähnlich und verweist auf Sachsens Versuche, mehr Flächen für Windräder zu organisieren. „Das wird aber nur gut funktionieren, wenn wir die Bevölkerung dabei mitnehmen und an den Gewinnen finanziell beteiligen“, ist er überzeugt. „Mit der Brechstange geht das nicht.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: SLPB-Debatte „Halbleiter Made in Europe“, Einschätzungen Amelung, Schmidt, von Peter, Oiger-Archiv, EU-Kommission, ZVEI, Wikipedia, Linkedin, deutschlandfunk.de, handelsblatt.de

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt