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Streichelsaurier im Metaversum und globale Orchester im Echtzeit-Strom

Dino-Streichelzoo im Metaversum alias Cyberspace alias Second Life: Neben der VR-Datenbrille sollen neue Mensch-Maschine-Schnittstellen auf Basis von "Fast"-Technologien wie hier für die Finger ein immersives Erlebnis in der virtuellen Realität (VR) ermöglichen. Foto: Heiko Weckbrodt

Dino-Streichelzoo im Metaversum alias Cyberspace alias Second Life: Neben der VR-Datenbrille sollen neue Mensch-Maschine-Schnittstellen auf Basis von „Fast“-Technologien wie hier für die Finger ein immersives Erlebnis in der virtuellen Realität (VR) ermöglichen. Foto: Heiko Weckbrodt

„Fast“-Finale an der TU Dresden: Forscher haben Datenfunk auf Trab gebracht

Dresden, 10. November 2022. Draußen senkt sich die Dunkelheit über den Uni-Campus, drinnen strömt die Feuerlustigen aus dem Hörsaal im Dresdner Süden. Die jungen Frauen und Männer umringen gespannt den Gitarristen im Foyer, der da sein Instrument zurechtrückt. Umgeben von Lautsprechern, Verstärkern und einem Dutzend Bildschirmen wirkt der Informatik-Professor von der Hochschule Anhalt wie ein einsamer Solo-Bühnenstar. Er stimmt ein paar Akkorde ein. Plötzlich fällt eine Bassgitarre ein, dann beginnt eine Frau zu singen, dann noch eine. Das Besondere daran: Keiner aus der 22-stimmigen „Fast Music“-Band, mit der Prof. Alexander Carôt da aufspielt, ist auch nur in seiner Nähe: Sie stimmen über einen besonders performanten Videodatenstrom aus anderen Städten ein, manche haben sich von den USA aus zugeschaltet. Und sie alle musizieren und singen ohne hörbare Verzögerung zusammen, so dass die Künstler aufeinander reagieren oder improvisieren können.

Video (hw) mit Konzerneindrücken:

„Fast“-Ziel: mehr Tempo und weniger Latenz für Datenverkehr in Autos, virtuellen Welten und in der Arbeit mit Robotern

Möglich wurde diese orchestrale Echtzeitvernetzung durch das sächsische Forschungscluster „Fast Actuators Sensors & Transceivers“, kurz „Fast“ (deutsch: Schnelle Aktoren, Sensoren und Übertragungstechnik), das nun im Heinz-Schönfeld-Hörsaal der TU Dresden seine Abschlussbilanz gezogen hat. In den vergangenen acht Jahren hatten in diesem Verbund insgesamt 85 Institute, Lehrstühle und Technologiefirmen die Funksysteme, Datennetze und Rechenwolken, mit denen wir heute und morgen arbeiten, deutlich auf Trab gebracht. Ein Ziel war es, die Reaktionszeiten (Latenzen) von drahtgebundenen und drahtlosen Kommunikationssträngen drastisch zu senken, deren Energiebilanz zu verbessern und neue Applikationen für schnelle Datennetze zu schaffen. In vielen Fällen konnten die Projektpartner die besagten Reaktionszeiten bis auf wenige Millisekunden drücken, so dass Menschen kaum noch eine Verzögerung bei der Arbeit mit den darauf basierenden Autos, Robotern oder ferngesteuerten Fabriktransportern spüren. En passant haben die Ingenieureden Energieverbrauch dieser Systeme auch noch deutlich gesenkt.

Prof. Alexander Carôt vernetzt sich im Foyer des Heinz-Schönfeld-Hörsaals an der TU Dresden mit Musikern aus anderen Städten und Ländern zu einem virtuellen Echtzeit-Orchester. Möglich wird dies durch besondere Kompressionstechnologien und niedrige Latenzzeiten, die im "Fast"-Cluster entwickelt worden sind. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Alexander Carôt vernetzt sich im Foyer des Heinz-Schönfeld-Hörsaals an der TU Dresden mit Musikern aus anderen Städten und Ländern zu einem virtuellen Echtzeit-Orchester. Möglich wird dies durch besondere Kompressionstechnologien und niedrige Latenzzeiten, die im „Fast“-Cluster entwickelt worden sind. Foto: Heiko Weckbrodt

Fast-Sprecher Ellinger: In Corona-Zeit sind die Nutzerzahlen explodiert

Und als besonders beliebtes Einsatz-Szenario der „Fast“-Technologien hat sich eben die Echtzeitvernetzung von Künstlern erwiesen: Der englische Musikstar Jamie Cullum nutzte das System beispielsweise 2019 für eine Fern-Talentsuche. „In der Corona-Zeit sind die Nutzerzahlen regelrecht explodiert“, berichtet „Fast“-Sprecher Prof. Frank Ellinger von der TU Dresden. „Inzwischen können wir damit Orchester mit bis zu 60 Musikern vernetzen.“

„Home Office“ bald auch für den Fabrikarbeiter?

Die pandemische Isolation hat aber nicht nur das Bedürfnis gestärkt, sich aus der Ferne künstlerisch zusammen zu tun, sondern auch die Frage in den Vordergrund gerückt, ob wirklich nur Ingenieure und Büroarbeiter von daheim aus sinnvoll arbeiten können, oder auch Fabrikarbeiter. Für die hat das Fast-Konsortium auch eine Lösung ersonnen, oder zumindest einen Ansatz für die Telearbeit in einer Werkhalle: eine taktile Fernsteuerung für Kommissionierwagen in Fabriken. Sie lassen sich nun von daheim aus mit der Datenbrille auf der Nase steuern – und geben dem Nutzer dank kurzer Latenzzeiten um die elf Millisekunden auch fühlbare Rückmeldungen, ob die Bremse einrastet oder der Teiletransporter irgendwo aneckt.

Und Fabrikarbeit vom Wohnzimmer-Sofa aus ist gar nicht mehr so weit: In modernen Chipfabriken warten und justieren manche Ingenieure inzwischen Maschinen und ganze Anlagen teilweise schon von daheim aus.

Wie fühlt sich der Schuppenpanzer einer Urzeitechse an?

Noch spektakulärer ist ein Saurier, den die Fast-Teams ins Hörsaal-Entree gelockt haben, damit er sich dort streicheln lässt. Nein, hier haben keine Genforscher aus dem „Jurassic Park“ ausgestorbene Reptilien geklont, sondern Hightech-Ingenieure, Designer und Experten für Virtuelle Realitäten (VR). Im Zuge des Fast-Teilprojekts „Fast Haptic“ haben sie die Urzeit-Echse als Computermodell im Metaversum zum Leben erweckt. Wenn nun jemand wissen will, wie es sich ein Schuppenpanzer anfühlt, muss er oder sie eine VR-Datenbrille aufsetzen und die Hand auf eine Art Klaviatur legen. Letztere sorgt für das haptische Feedback, setzt dem Finger also Kraftimpulse entgegen, die das Gefühl geben, über Schuppen zu streichen, die er oder sie gerade sieht. Und das fühlt sich eben nur authentisch an, wenn es keine Verzögerung zwischen den Bild und haptischer Rückmeldung, zwischen den Bewegungen von Mensch und Saurier gibt. Mit ähnlichen Mensch-Maschine-Schnittstellen experimentieren die Fast-Teams auch, um eine neue Generation Sportler-Übungsräumen zu schaffen, zum Beispiel für Kanuten.

Bosch will in Autos Energie und Daten durch die selbe Leitung jagen

Andere Fast-Ergebnisse mögen zwar nicht soviel immersiven Schau- und Fühlwert haben, dürften sich dafür aber rascher in der Industrie in Euro und Cent auszahlen. Dazu gehört beispielsweise ein „Power over Dataline“-Chip für künftige Elektroauto-Generationen, an dessen Entwicklung unter anderem Bosch beteiligt war. Der soll in Zukunft dafür sorgen, dass Daten und Strom im Auto verlustarm über eine Leitung fließen, was viel Kabelage-Kosten sparen kann. Auch lokale Intelligenz für Autosensoren und die ultraschnelle Synchronisierung von Elektromotoren an jeder Achse gehören zu den Themen, an denen die Fast-Partner gearbeitet haben.

Der Dresdner Professor Frank Ellinger baut zusammen mit Kollegen an der TUD die Testplattform "More" für ultraschnelle Chips auf. Auf dem Monitor ist ein stark vergrößerter Chip zu sehen, der bei sehr hohen Frequenzen von etwa 200 Gigahertz arbeitet. Entwicklet wurde er von Dr. Paolo Valerio Testa für die ultra-schnelle drahtlose Datenkommunikation. Foto: Kretzschmar für die TUD

Der Dresdner Professor Frank Ellinger baut zusammen mit Kollegen an der TUD die Testplattform „More“ für ultraschnelle Chips auf. Auf dem Monitor ist ein stark vergrößerter Chip zu sehen, der bei sehr hohen Frequenzen von etwa 200 Gigahertz arbeitet. Entwicklet wurde er von Dr. Paolo Valerio Testa für die ultra-schnelle drahtlose Datenkommunikation. Foto: Kretzschmar für die TUD

Wertschöpfungs-Matrix in Sachsen: „Das haben weder China noch das Silicon Valley“

Dass diese und weitere anspruchsvolle Lösungen letztlich gelungen sind, liegt nach Einschätzung von Fast-Sprecher Ellinger nicht zuletzt an der großen Wertschöpfungstiefe und -breite in und um die Hochtechnologie-Region „Silicon Saxony“: Dadurch ließen sich komplette Entwicklungsketten vom Design, über die Chipproduktion, die Entwicklung ganzer Systeme und die Programmierung der passenden Software zu großen Teilen in Sachsen realisieren – wobei aber auch Unternehmen und Institute außerhalb des Freistaats im Konsortium vertreten waren. Entstanden sei eine einzigartige Wertschöpfungs-Matrix. „Das haben weder China noch das Silicon Valley“, meint Ellinger.

Mehr Umsatz, neue Firmen

Entsprechend spürbar seien auch die wirtschaftlichen Folge-Effekte durch „Fast“, meinen die Koordinatoren: in Form von Mehrumsatz und neuen Produkten für die beteiligten kleinen und mittelständischen Unternehmen, aber auch durch neu akkumulierte Technologie-Expertise in der Region, darunter 16 Patente. Mit Blick auf die volkswirtschaftlichen Effekte von Fast habe sich das eingesetzte Steuergeld bereits rentiert, sind die federführenden Professoren Frank Ellinger und Gerhard Fettweis überzeugt. Insgesamt hatte das „Fast“-Cluster für seine Forschungs- und Entwicklungsprojekte von Anfang 2014 bis Ende 2022 fast 60 Millionen Euro zur Verfügung, darunter knapp 46 Millionen Euro Fördergelder vom Bundesforschungsministerium.

5G-Campusnetz-Container vom Ceti Dresden. Solche Container, aber auch nur koffergroße Ausführungen mobiler Funkstationen will "Campus Genius" der freien Wirtschaft anbieten. Foto: Heiko Weckbrodt

5G-Campusnetz-Container vom Ceti Dresden. Solche Container, aber auch nur koffergroße Ausführungen mobiler Funkstationen bietet „Campusgenius“ inzwischen der freien Wirtschaft an. Foto: Heiko Weckbrodt

7 „Fast“-Ausgründungen

Zudem verweisen Ellinger und Fettweis auf sieben Ausgründungen im Zuge der „Fast“-Forschungen:

  • „Siliconally“, gegründet im April 2019, Fokus: Gigabit-Ethernet für Systeme vor allem in elektrischen und automatisch fahrenden Autos
  • Advancing Individual Network (AIN), Fokus: Optimierung von Funk-Datennetzen für Spezialapplikationen zum Beispiel in robotergestützten Fabriken
  • Campusgenius, gegründet 2020, 12 Mitarbeiter, Fokus: Abgeschirmte private 5G-Netzwerke für Industriebetriebe, Häfen und andere Profi-Nutzer
  • Mimetik, 2020 gegründet, Fokus: Datenhandschuhe für das Metaversum bzw. den Cyberspace
  • PowerOn, 2019 gegründet, Fokus: künstliche Muskeln für Roboter und Prothesen
  • Meshmerize, 2020 gegründet, Fokus: akute Funklöcher für Roboter und Drohnen stopfen
  • Wandelbots, 2018 gegründet, Fokus: No-Code-Robotik

Ievgenii Tsokalo von Mimetik Dresden zeigt seinen Sensor-Handschuh. Foto: Heiko Weckbrodt

Ievgenii Tsokalo von Mimetik Dresden zeigt seinen Sensor-Handschuh. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Nachfolge-Projekte

Und obgleich die „Zwanzig20“-Förderung nun ausläuft, ist das längst nicht das Ende der Forschungen. Vielmehr solle man Fast wie eine Eiche mit vielen Trieben sehen, vergleicht das Prof. Ellinger. Auf dem einmal geformten Cluster bauen mittlerweile viele Nachfolgeprojekte auf. Dazu gehören das

  • Exzellenzzentrum für taktiles Internet mit Menschen in der Schleife (Ceti)
  • Projekt E4C („Extrem Energieeffiziente Edge Cloud Hardware am Beispiel Cloud Radio Access Network“)
  • Projekt „DAKORE“ (Datenfunknetz mit Adaptivhardware und KI-Optimierung zur Reduktion des Energieverbrauches), die beide den Stromverbrauch künftiger Rechnerwolken und Funknetze stark dämpfen sollen
  • Projekt „6G-Life“ (neue Mensch-Maschine-Schnittstellen)
  • Projekt „Semeco“ (beschleunigte und teilautomatisierte Zertifizierung neuer Medizintechnik durch Künstliche Intelligenzen)
  • Projekt „REC2“ (Responsible Electronics in Climate Change Era“ – dieses geplante Vorhaben zielt auf weniger Energieverbrauch bei der Produktion, im Betrieb und beim Recycling von Elektronik

Prof. Frank Fitzek leitet den Telekom-Stiftungslehrstuhl für Kommunikationsnetze an der TU Dresden. Hier ist er im Show-Raum des 5G-Labs zu sehen. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Frank Fitzek leitet den Telekom-Stiftungslehrstuhl für Kommunikationsnetze an der TU Dresden. Hier ist er im Show-Raum des 5G-Labs zu sehen. Foto: Heiko Weckbrodt

Technologie sickert allmählich in Praxisprodukte ein

Manches davon liegt noch weit in der Zukunft, andere „Fast“-Ableger werden wohl schon in den nächsten Jahren in unseren Alltag hineinwachsen. Dazu gehören anwenderspezifische Schaltkreise, die das Erlanger Halbleiterdesign-Unternehmen „Eesy-IC“ auf der Basis von Fast-Technologien demnächst auf den Markt bringen will, die „Power over Dataline“-Chips und Ethernet-Transceiver von Bosch für die nächsten Automobil-Generationen, die 5G-Fabrikbnetze von Campusgenius und dergleichen mehr.

Prof. Gerhard Fettweis. Foto: Amac Garbe für die TU Dresden

Prof. Gerhard Fettweis. Foto: Amac Garbe für die TU Dresden

Dresdner Mobilfunk-Guru prophezeit: 6G-Funk wird ab 2030 den Heimroboter-Einsatz auf eine neue Stufe heben

Ab 2030 sei dann auch damit zu rechnen, dass die nächste, die sechste Generation (6G) des Mobilfunks online geht, prognostiziert Prof. Gerhard Fettweis. Dann dürften die Latenzzeiten endlich auch unter die Millisekunden-Grenze fallen, die eigentlich schon mit 5G fallen sollte. Und der Dresdner Mobilfunk-Guru ist überzeugt: Dann werden Heimroboter, Exoskelette für Rentner, Aufräumroboter fürs Kinderzimmer und andere  künstliche Alltagshelfer in den Massenmarkt hineinwachsen.

Felix Hillemeier vom "Kompetenzzentrum Robotik" der Handwerkskammer Dresden führt beim "Dresden Robotics Festival" ein aktives Exoskelett für Handwerker vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Felix Hillemeier vom „Kompetenzzentrum Robotik“ der Handwerkskammer Dresden führt beim „Dresden Robotics Festival“ ein aktives Exoskelett für Handwerker vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Wird der Mensch für Roboter vorhersagbar?

Für solch ein enges Miteinander von Mensch und Roboter werde die Industrie dann sogar negative Latenzen brauchen, ergänzt sein Kollege Ellinger. Das meint: Die Maschine muss schon vorab „erahnen“, was der Mensch neben ihr gleich tun wird. Dies lasse sich mit innovativen Voraussage-Modellen realisieren, so Ellinger. Und für die Herausforderungen der Zukunft gelte es zu klotzen, statt nur zu kleckern, fordert Fettweis: „Wir müssen hier wieder wegkommen von nur kleinen inkrementellen Verbesserungen und uns mehr auf revolutionäre Innovationen konzentrieren, für die Deutschland früher bekannt war.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: FAST-Präsentation, TUD, Bosch, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt