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Sensor-Handschuhe sorgen für den letzten Schliff

Ievgenii Tsokalo von Mimetik Dresden zeigt seinen Sensor-Handschuh. Foto: Heiko Weckbrodt

Ievgenii Tsokalo von Mimetik Dresden zeigt seinen Sensor-Handschuh. Foto: Heiko Weckbrodt

Ceti-Ausgründung „Mimetik“ entwickelt in Dresden KI-gestützte Mensch-Maschine-Schnittstellen für Profi-Massagen, Industrie 4.0 und virtuelle Welten

Dresden, 25. Juni 2021. Gibt es womöglich schon bald Therapie-Handschuhe mit eingebauten digitalen Physiotherapeuten im Sportladen zu kaufen? Dann müsste man sich nach einem Sturz vom Fahrrad nur diesen Handschuh überstreifen und könnte sich vom integrierten virtuellen Assistenten autodidaktisch die Massage-Tricks der besten Physotherapeuten beibringen lassen, um die Schmerzen zu lindern. Möglich machen sollen dies intelligente Sensor-Handschuhe, die Ingenieur Ievgenii Tsokalo im Dresdner „Centre for Tactile Internet with Human-in-the-Loop“ (Ceti) ersonnen hat. Die können selbst feinste Fingerbewegungen erkennen und dem Träger per Rückkopplung neue Tricks beibringen.

Mit dem Handschuh statt Controller durch virtuellen Welten

Diese Superhandschuhe sollen aber nicht nur dem Medizinsektor neue Perspektiven eröffnen, sondern auch den Stress in „Industrie 4.0“-Fabriken mindern, Videospielen erfühlbar machen und Erkundungsreisen durch virtuelle Welten eine inuitivere Note geben. Angesichts des großen Marktpotenzials hat der promovierte Elektroniker im Juli 2020 eine eigene Firma namens „Mimetik“ aus der TU Dresden ausgegründet. In der führt ein 14-köpfiges Team nun die Ceti-Technologie zur Marktreife.

Sensorpulk wie im Smartphone im Handschuh eingebettet

Zwar gibt es durchaus schon Sensorhandschuhe auf dem Markt – aber eben keine so einfühlsamen und schlauen wie die von Ievgenii Tsokalo. Die nämlich sind gespickt mit spezieller Elektronik und zahlreichen Sensoren, wie man sie so ähnlich aus Smartphones kennt: Winzig kleine Kreiselkompasse (Gyroskope), Magnetfeld- und Beschleunigungssensoren sind hier eingebettet und erkennen selbst kleinste Fingerbewegungen. Später will Tsokalo auch noch Drucksensoren einbauen, die auch messen, wie kraftvoll die Fingerbewegungen sind. „Auf eben diese Bewegungsdetails kommt es ja an, wenn man etwas richtig gut lernen und machen will“, betont der gebürtige Ukrainer. „Dafür braucht man sehr schnelle Sensoren und eine hohe Abtastrate.“

Edge-KI hilft Handschuh, die feinen Fingerbewegungen zu „verstehen“

Zudem ist es eben nicht getan damit, eine leichte Krümmung des kleinen Zeigefingers oder ein Daumenschnipsen bloß zu messen. „Wenn Maschinen den Sinn von Handbewegungen verstehen sollen, dann braucht man ,Künstliche Intelligenz’“, sagt Tsokalo. Und diese KI hat er direkt in die Handschuhe (für die Sensor-Vorverarbeitung) und in nahe Rechnerwolken gepackt. Dieses „Edge Cloud“-Konzept hat vor allem zwei Gründe: Wenn die Handschuh-Sensoren ihre Messwerte von Handbewegungen erst über Tausende Kilometer in die großen Rechenzentren in die USA und wieder zurück senden, wäre eine Auswertung in Echtzeit kaum noch möglich. Zu diesem Geschwindigkeitsargument gesellt sich der Datenschutz: Wenn etwa ein deutsches Technologieunternehmen die Mimetik-Handschuhe einsetzt, um Monteure zu schulen, dann sollten die Betriebsgeheimnisse gar nicht erst die Werkhallen verlassen.

Virtueller Assi soll für weniger Stress in der Montage sorgen

Gerade dieses Industrieszenario wird wahrscheinlich auch der erste Praxiseinsatz für die Dresdner Technologie sein. „Bei Industrie 4.0 denkt man oft an Roboter und vollautomatische Fabriken. Aber dabei vergisst man leicht, dass 72 Prozent der Arbeiten immer noch von Menschen gemacht werden“, erklärt Tsokalo. „Vor allem in der Montage ist ein Mensch viel flexibler als Maschinen.“ Auf der anderen Seite ermüden Menschen eben auch leichter als Roboter, machen kleine Flüchtigkeitsfehler, müssen deshalb die ganz Schicht über ihre Aufmerksamkeit hochschrauben und empfinden deshalb Stress. Dort soll das Mimetik-System wie ein virtueller Assistent für jeden einzelnen Arbeiter arbeiten, ihn oder sie bei Fehlern warnen. Für solche Montage-Szenarien, bei denen ein zu steifer Handschuh nur hinderlich wäre, arbeitet das Mimetik-Team auch an einer leichteren Variante, bei der der Mensch nur noch einen Sensor-Aufsatz überstreift statt eines kompletten Handschuhs. „Mit solch einem System können wir den Stress für die Arbeiter reduzieren, ihre Produktivität steigern und die Dokumentation der Arbeitsgänge automatisieren“, sagt der Mimetik-Gründer. Dass solch ein System von Fabrikarbeitern und -arbeiterinnen auch als Gängelei und Überwachung empfunden werden könnte, ist ihm dabei durchaus klar. „Aber der Assistent kann ja auch Fehlerhinweise geben, ohne dass der Chef davon erfährt.“

Wandelbots gleich nebenan

Binnen Jahresfrist ist Mimetik auf nun 14 Köpfe gewachsen. Das Team weiß sich übrigens in guter Nachbarschaft: Wenige Schritte vom Firmensitz an der Wiener Straße residiert Wandelbots, eine weitere universitäre Robotik-Ausgründung, die allerdings nicht mit Sensorhandschuhen, sondern mit Sensorjacken ihre ersten Erfolge gefeiert hatte. Und da beide Kollektive nicht weit vom Großen Garten arbeiten, sehen sie dort womöglich bald schon eine weitere Einsatzmöglichkeit für ihre Sensortechnik: „Mir würde es gut gefallen, wenn ich beim Spaziergang mit ein paar Handbewegungen meine E-Mails checken könnte“, sagt Tsokalo. Also wundern Sie sich nicht, wenn Ihnen demnächst jemand im Park mit zappelnden Fingern entgegenkommt: Da rackert sich wahrscheinlich gerade jemand mit Mimetik-Technologie durch die alltäglich Spam-Flut.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Mimetik, Ceti, Oiger-Archiv

Zum Weiterlesen:

Ceti-Forscher planen Roboter-Bar in Dresden

Wandelbots unterrichtet mit Lernstiften Roboter

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt