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IF Vergangenheit$ = „Basic“ THEN GOTO Gottkomplex?

Heimcomputer von Commodore. Foto: Heiko Weckbrodt

Heimcomputer von Commodore mit Joystick. Foto: Heiko Weckbrodt

Olde Hansen untersucht in „Von BASIC zur IT-Crowd“ die Nachwirkungen der Heimcomputer-Ära in Ost und West

Haben Heimcomputer und die darin integrierte Anfänger-Programmiersprache „Basic“ den Boden für die digitale Transformation bereitet, die wir jetzt gerade beschleunigt beobachten? Oder vertiefte womöglich der – gerade in der DDR – sehr selektive Zugang zu Heimcomputern eher die „digitale Kluft“, von der später so oft die Rede waren? War der Heimcomputer doch nur ein Spielzeug für dilettantische Digital-Heimwerker oder waren die Basic-Auskenner der 1980er die Hacker-Könige der Nuller Jahre? Mit diesen und verwandten Fragen setzt sich der Berliner Historiker und Programmierer Olde Hansen in seinem neuen Buch „Von BASIC zur IT-Crowd. Eine kleine Geschichte des Programmierens mit BASIC in Deutschland“ auseinander, das er nun im Eigenverlag veröffentlicht hat.

Olde Hansen. Foto. privat

Olde Hansen. Foto: privat

Diskussion über Basic nahm teils „egozentrische und schrille Züge“ an

Die angerissenen Fragen deuten es schon an: Olde Hansen greift eine bereits mehrfach geführte kontroverse Debatte auf, die er mit einer systematischen und wissenschaftlichen Betrachtung zu entscheiden versucht. Zurecht verweist der Autor darauf, dass „der Ton, mit dem in den 70er und 80er Jahren in der Fachwelt um die für gute Programme am besten geeignete Programmiersprache gerungen wurde, egozentrische und schrille Züge annehmen konnte“. Beispielhaft verweist er auf eine besonders provokative Sentenz des niederländischen Informatikers Edsger W. Dijkstra, der 1975 postulierte: „Es ist praktisch unmöglich, Studenten, die schon einmal mit BASIC in Berührung gekommen sind, gutes Programmieren beizubringen: Als potenzielle Programmierer sind sie geistig verstümmelt, ohne dass es eine Hoffnung auf Besserung gäbe.“ Am anderen Ende des Meinungsspektrums standen Behauptungen teils selbsternannter „Hacker-Könige“ und Nerds, sie seien durch das Aufwachsen mit Heimcomputer und Basic in der digitalen Welt zu Dingen imstande gewesen, die andere nie vermocht haben.

Grenzen und Möglichkeiten vieler Basic-Dialekte ausgewertet

Wie so oft, liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Um zu objektivierbaren Befunden jenseits polarisierender Urteile zu gelangen, analysiert der Autor die Fähigkeiten und Grenzen der verschiedenen Basic-Dialekte, die über die Dekaden hinweg verfügbar waren, und vergleicht sie mit den Möglichkeiten (moderner) Profi-Programmiersprachen – eine besonders aufwendige Arbeit. Darüber hinaus wertet Olde Hansen zahlreiche Meinungsäußerungen von Laien- und Profi-Programmierern, Dozenten, Informatik-Forschern und anderen Akteuren zum Thema „Basic“ aus. Auch untersucht er den sozialen Hintergrund von Basic-Nutzern in Ost- und Westdeutschland und die Zugangsmöglichkeiten zu Heimcomputern in der BRD und der DDR. Dabei rückt er auch die breiten und teils exotischen Anwendungsbeispiele für Basic-Programme in den Fokus – bis hin zum Einsatz ostdeutscher Heimcomputer in staatlichen Wirtschaftsbetrieben, die partout keinen PC zugeteilt bekamen, oder Projekte, die auf die Überwachung eines kompletten Atomkraftwerks zielten. Insofern nähert sich Hansens Analyse aus verschiedenen Blickwinkeln der Frage, welche Bedeutung Basic zu Hochzeiten erlangte, wie es nachwirkte und wie es das Selbstbild der vermeintlichen „Generation Commodore“ prägte.

Im Prinzip alle Probleme einer Turingmaschine lösbar

„Wie umfangreich Heimcomputer benutzt wurden, bleibt beeindruckend“, bilanziert der Autor. „Die BASIC-Dialekte der Homecomputer waren universell einsetzbare Programmiersprachen, die zumindest in der Theorie erlaubten, alle Probleme zu lösen, die eine universelle Turingmaschine zu lösen vermag.“ Die wohl wichtigste Langzeitwirkung sieht Olde Hansen in Mentalität und Karrierewegen der Kinder, die mit Commodore, Atari, Robotron-HC und anderen Heimcomputern groß geworden waren: Sie kannten später keine Scheu vor Rechentechnik aller Couleur. Aus ihnen dürfte sich letztlich ein Teil jenes informationstechnologischen Fachpersonals rekrutiert haben, das Deutschland vor allem ab der Jahrtausendwende verstärkt brauchte. Allerdings befindet Hansen auch: „Die häufige Verwendung von ,Visual Basic’ in der Arbeitswelt der 90er und 00er Jahre dürfte den ehemaligen BASIC-Programmierern der Homecomputer keinen besonderen Vorteil beim Berufseinstieg gegeben haben.“

Da kam es auf jede Speicherzelle an, die sich mit dem "Poke"-Befehl direkt beschreiben ließ: Der Heimcomputer "Z 9001" von Robotron musste in Kleincomputer KC85/1 umbenannt werden, da das Gerät recht rasch wieder aus dem Handel verschwand und nur noch an "gesellschaftliche Bedarfsträger" verkauft wurde. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Der DDR-Heimcomputer „Z 9001“ von Robotron musste in Kleincomputer KC85/1 umbenannt werden, da das Gerät recht rasch wieder aus dem Handel verschwand und nur noch an „gesellschaftliche Bedarfsträger“ verkauft wurde. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

„Exklusives Lernmittel, das eine digitale Kluft aufbaute“

Auch sei es verfehlt, von einer ganzen „Generation Heimcomputer“ zu sprechen: Es dürfe „nicht verschwiegen werden, dass die soziale Gruppe der jugendlichen Nutzer eines Homecomputers, so groß und vielfältig sie heute auch erscheinen mag, keine offene Gruppe war“, heißt es da. „In Westdeutschland waren Hauptschüler oder Kinder aus ärmeren Familien, die keine Computer besaßen, oft ausgeschlossen. Mädchen und jungen Frauen wurden diskriminiert. In der DDR hatten es Jugendliche aus Familien mit Westkontakten oder hohem Einkommen erheblich leichter, an die Geräte heranzukommen und an ihnen zu arbeiten. Schüler einer normalen Polytechnischen Oberschule bekamen einen ,KC’ jedoch nur in Ausnahmefällen zu sehen.“ Womöglich seien die Homecomputer der 1980er Jahre eben doch ein ein eher exklusives Lernmittel gewesen, „das eine digitale Kluft aufbaute, die in der Tendenz zwischen männlichen Kindern aus privilegierten Familien und ihren restlichen Altersgenossen verlief“, betont Olde Hansen. „Von so manchen ,Computer-Kindern’ wurde sie allzu gerne übersehen und umgedeutet, indem sie behaupteten, zu ,beherrschen, was andere nicht können’, sich als virtuose ,Bitniks’ inszenierten oder mit kümmerlichen Spektakeln wie dem ,BTX-Hack’ belehrend in die Öffentlichkeit drängten.“

Manch Spiegelgefecht mit dem gemeinen Nerd

Kritisch mag man anmerken, dass sich der Autor etwas zu sehr auf Spiegelgefechte gegen selbsternannte Nerds, Hacker und „unschönes“ Programmieren einlässt. Auch leidet die flüssige Lesbarkeit gelegentlich unter allzu langen Sätzen voller Einschübe.

Mal schlicht, mal großspurig: Handbücher für verschiedene Heimcomputer. Repro (hw) aus: Hansen: Von Basic...

Mal schlicht, mal großspurig: Handbücher und Werbung für verschiedene Heimcomputer. Repro (hw) aus: Hansen: Von Basic…

Fazit: Streibare, aber interessante Analyse der BASIC-Langzeitwirkungen

Bisher war Hansen eher für Bücher über das antike Karthago wie „Hannibal Minor“ oder „Der dritte Römisch-Karthagische Krieg“ bekannt. Mit „Von BASIC zur IT-Crowd“ wechselt er das Genre und legt eine streitbare, aber zweifellos interessante und aufwendige Analyse aus der Digitalwelt vor: über die Langzeitwirkung einer längst verflossenen Programmiersprache und die Selbstbilder jener „Heimcomputer-Kinder“, die mit C64, Atari 800 XL, HC900, ZX Spectrum und KC87 groß geworden sind. Das Buch selbst folgt mit Aufbau, Quellennachweisen und Anmerkungsapparat wissenschaftlichen Standards. Im Anhang finden sich alte Basic-Programme im Quellcode sowie zahlreiche Abbildungen. Darunter sind „Nerd-Bonbons“ wie Umschlagbilder zeitgenössischer Computerbücher und -zeitschriften, Heimcomputer-Grafiken, die Repro einer ZX81-Tatstatur und dergleichen mehr.

Umschlag des Buches "Von Basic zur IT-Crowd" von Olde Hansen. Grafik: Eleonor Katharina Prinz, Umschlag-Gestaltung: Olde Hansen, Repro: hw

Umschlag des Buches „Von Basic zur IT-Crowd“ von Olde Hansen. Grafik: Eleonor Katharina Prinz, Umschlag-Gestaltung: Olde Hansen, Repro: hw

Kurzüberblick:

  • Titel: „Von BASIC zur IT-Crowd. Eine kleine Geschichte des Programmierens mit BASIC in Deutschland“
  • Autor: Olde Hansen
  • Genre: Sachbuch, Geschichte, Informatik
  • Umfang: 200 Seiten mit Anmerkungsapparat, Basic-Quellcodes, Fotos, Skizzen, Grafik-Repros u. a.
  • Erscheinungsort und -jahr: Berlin 2024
  • Preis: 22 Euro
  • Bezugsquellen: epubli.com, amazon.de
  • ISBN: 9783758489297
  • Eine Leseprobe gibt es hier

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt