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Dresdner Carbon-Hocker kommt ins Designmuseum

Bringen selbst nur 650 Gramm auf die Waage, tragen aber bis zu 200 Kilogramm: die Karbon-Hocker von Polymerforschern aus Dresden. Foto: IPF

Bringen selbst nur 650 Gramm auf die Waage, tragen aber bis zu 200 Kilogramm: die Karbon-Hocker von Polymerforschern aus Dresden. Foto: IPF

Leichtbau-Möbelstück war auch technisch eine Pionierleistung

Dresden/Weil am Rhein, 6. Dezember 2023. Der Dresdner Kohlefaser-Hocker „L1“ kommt ins Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein. Das haben das Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) Dresden und die Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTWD) mitgeteilt, die dieses Leichtbau-Exponat vor über zehn Jahren entwickelt hatten.

Sammlungsleiterin Susanne Graner vom des Vitra-Design-Museum nimmt den Leichtbauhocker von Prof. Peter Laabs (links) und Prof. Axel Spickenheuer (rechts) entgegen. Foto: Vitra-Design-Museum

Sammlungsleiterin Susanne Graner vom des Vitra-Design-Museum nimmt den Leichtbauhocker von Prof. Peter Laabs (links) und Prof. Axel Spickenheuer (rechts) entgegen. Foto: Vitra-Design-Museum

650 Gramm leicht, kann aber 200-Kilo-Lasten tragen

„Der Carbonhocker vereint in sich das Potenzial einer Zusammenarbeit von Technik und Design“, betonen beide Forschungseinrichtungen: „Eine neue Technologie wird vom Design aufgegriffen und in enger Kooperation mit dem technischen Partner ein Objekt entwickelt, das bestehende Ansätze in beiden Bereichen aufnimmt und exemplarisch weiterdenkt.“ Auch technologisch gilt das extravagante Möbelstück als Pionierleistung: „Der Hocker demonstriert das Potenzial von Faserverbundwerkstoffen für extremen, ressourcenschonenden Leichtbau“, heißt es von IPF und HTW: Obwohl er nur zirka 650 Gramm wiegt, kann er Lasten von zirka 200 Kilogramm tragen.

Geheimnis liegt im maßgeschneiderter Faser-Ausrichtung

Möglich wurde dies durch die am IPF Dresden entwickelten „Tailored Fiber Placement“-Technologie (TFP). Dabei legen Maschinen Kohlenstoffverstärkungsfasern genau so zurecht, wie sie später in der Praxis meist belastet werden. Dafür berechne eine spezielle Software mittels Finite-Elemente-Analyse (FEA) vorab optimale Ablagepfade für die Verstärkungsfasern, die Maschinen dann „zu bauteilspezifisch perfekt angepassten Faser-Preformen“ sticken, mit Epoxidharz tränken und schließlich aushärten.

Zum Beweis haben die Forscher große Lasten auf die Kohlenstoff-Hocker gestapelt. Foto: IPF

Zum Beweis haben die Forscher große Lasten auf die Kohlenstoff-Hocker gestapelt. Foto: IPF

„Alle, die den Hocker betrachtet und in die Hand genommen haben, waren überrascht“

Um diese damals noch junge TFP-Technologie an einem praktischen Beispiel zu demonstrierten, taten sich 2011 Prof. Axel Spickenheuer, Dr. Lars Bittrich, Dr. Kai Uhlig, Emanuel Richter und Nicole Schmidt vom IPF sowie Prof. Peter Laabs und die damaligen Studenten Joachim Stief, Frank Hahnewald und Benjamin Sporer von der HTWD zusammen. „Die Wahl fiel auf die Entwicklung eines kulturell gut etablierten Objektes, dessen ästhetische Wahrnehmung und Gebrauch außergewöhnlich sein sollten und welches dabei die vorgegebene Technologie im Sinne der Wissenschaftskommunikation zum Ausdruck bringen würde“, erläutert Prof. Peter Laabs. In der Folge entstand ein echter Hingucker – und ein Exponat, das in der Folge durch zahlreiche Messen und Ausstellungen tingelte. „Alle, die den Hocker betrachtet und dann in die Hand genommen haben, waren überrascht über die Diskrepanz zwischen visuell eingeschätztem und tatsächlichem Gewicht sowie der erfahrbaren Belastbarkeit bei einer Sitzprobe“, erinnerrt sich Prof. Axel Spickenheuer vom IPF.

Dr. Axel Spickenheuer vom Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) Dresden mit einem Fahrrsattel-Demonstartor aus Leichtbau-Materialien, die Glas- und Polymerfasern kombinieren. Foto: Heiko Weckbrodt

Dr. Axel Spickenheuer vom Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) Dresden mit einem Fahrrsattel-Demonstartor aus Leichtbau-Materialien, die Glas- und Polymerfasern kombinieren. Foto: Heiko Weckbrodt

Leichtbau-Industriecluster im Raum Dresden gewachsen

Inzwischen ist das damals am Hocker demonstrierte Verfahren längst etabliert und seit Jahren auch industriell im Einsatz, so HTW und IPF. Betriebe fertigen damit unter anderem besonders leichte und doch belastungsfähige Fensterrahmen für den Airbus A350. Und derweil haben die seinerzeit beteiligten Forscher die TFP-Technologie weiterentwickelt, weitere Einsatzmöglichkeiten und Leichtbau-Beispiele ausgelotet. Prof. Spickenheuer entwickelte beispielsweise einen leichten Fahrradsattel aus Kohle- und Glasfasern. Die Ausgründung „Hightex“ in Klipphausen produziert mittels TFP und verwandten Technologien leichte Komponenten für den Auto- und Flugzeugbau sowie die Raumfahrt. Durch die Dresdner Forschungen an TFP sowie verwandten Leichtbau-Prinzipien auf Karbon- und Kunststofffaser-Basis entstanden zudem weitere Ausgründungen wie die Softwarefirma „Complex Fiber Structures GmbH“ (CFS), der Bauteil-Produzent „EAST-4D“, der Thermoplast-Bauteilproduzent Fertiger „Herone“ und andere mehr.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: IPF, HTWD, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt