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Sachsen wollen Industriekultur stärker für Zukunftsthemen einspannen

Steht symbolisch für die Industriekultur in Sachsen: Immer noch funktionsfähige Dampfmaschine im Industriemuseum Chemnitz. Foto: Heiko Weckbrodt

Steht symbolisch für die Kontinuitätslinien in der Industriekultur in Sachsen: Immer noch funktionsfähige Dampfmaschine im Industriemuseum Chemnitz. Foto: Heiko Weckbrodt

Expertenumfrage: Freistaat sollte seine wirtschaftlichen Traditionen für Tourismus, Identitätsstiftung und neue Projekte nutzen

Dresden, 11. Oktober 2023. Sachsen sollte seine industriekulturellen Traditionen und Baudenkmäler stärker als bisher für Tourismus, Identitätsstiftung und Zukunftsprojekte nutzen. Das hat eine Expertenumfrage des „Landesverbandes Industriekultur in Sachsen“ ergeben. Dieses Erbe sei „eine Ressource für die Zukunft des Industriestandortes Sachsen“, heißt es in einer Auswertung, die der Landesverband in den Technischen Sammlungen Dresden vorgestellt hat.

Blick in die Schmiede und das Hammerwerk von Frohnau. Foto: Heiko Weckbrodt

Silber- und später Zinnbergbau lösten auch eine frühindustrielle Entwicklung und viele Erfindungen in Sachsen aus. Hier ein Blick in die Schmiede und das Hammerwerk von Frohnau. Foto: Heiko Weckbrodt

Sächsisches Vorreiterrolle für Industrialisierung begann schon mit Bergeschrey und Merkantilismus

Die befragten Forscher, Pädagogen, Künstler, Wirtschaftsvertreter und Touristiker sehen erhebliches Potenzial im Rückgriff auf industriekulturelle Traditionen. Die reichen im Freistaat bis auf die frühe Neuzeit zurück: auf die Manufakturförderung unter den merkantilistischen Kurfürsten, auf die technischen Erfindungen im Zuge des „Berggeschreys“, die Uhrenproduktion im Müglitztal und dergleichen Keimzellen mehr. Spätestens seit der Kaiserzeit galt Sachsen als eine der wichtigsten Industrieregionen im Reich, als Geburtsland zahlreicher Erfinder und erfolgreicher Unternehmer. Auch zu DDR-Zeiten waren spielten die Bezirke Dresden, Chemnitz und Leipzig immer wieder eine besondere Rolle in der ostdeutschen Industrie – etwa im Elektromaschinenbau, in der Mikroelektronik, im Büromaschinen- und Computerbau, aber auch im Werkzeug– und Textilmaschinenbau.

Ein "Lost Place", nun doch wieder für ein Zukunftsvorhaben stehen soll: Helmholtz will das alte Kondensatorwerk in Görlitz zum Hauptsitz des Casus-Forschungsinstituts für komplexe Systeme umbauen. Foto: Heiko Weckbrodt

Ein „Lost Place“, der bald doch wieder für ein Zukunftsvorhaben stehen soll: Helmholtz will das alte Kondensatorwerk in Görlitz zum Hauptsitz des Casus-Forschungsinstituts für komplexe Systeme umbauen. Foto: Heiko Weckbrodt

Zukunftslabore, Coworking Spaces und Lost-Places-Aktionen in alten Fabrikgebäuden auch auf dem Lande vorgeschlagen

Nach der Wende konnte Sachsen zumindest an einen Teil dieser Entwicklungslinien erneut anknüpfen, etwa in der Mikroelektronik und im Automobilbau. Andere industrielle Traditionen endeten mit der DDR – hinterließen aber viele Fabrikgebäude und andere Relikte. Die stärker als bisher zum Beispiel für Bildung und Identitätsfindung, aber auch für neue Tourismus-Konzepte, Geschäftsmodelle und Arbeitsformen zu nutzen, bietet sich aus Sicht der befragten Experten unbedingt an. So gelte es, an industriekulturelle Werte wie Arbeitsethos, Innovationskultur und Veränderungsbereitschaft anzuknüpfen, die auch für die Zukunft gebraucht werden. All sei gewissermaßen im Erbgut der Sachsen fest eingebettet. Zudem tauge die sächsische „Industriekultur als Anker der Identität“ und der Stolz auf die eigene Vorreiterrolle während der Industrialisierung als ein starkes Bindemittel für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen.

Neue Formen des Arbeitens und Lebens in alten Industriebauten

Auch biete sich an, noch mehr ehemalige Fabriken gerade auf dem Lande stärker touristisch – zum Beispiel im Zuge der „Lost Places“-Bewegung – zu nutzen. Auch seien viele bauliche Hinterlassenschaften der sächsischen Industrie heute als Zukunftslabore, Gemeinschaftsbüros („Coworking Spaces“), Kreativräume oder als Experimentalorte für neue Formen des Zusammenlebens nutzbar.

Plädoyer für eine interdisziplinäre Industriekulturforschung

Als konkrete Nahziele schlagen die Experten neue Forschungsprojekte zur sächsischen Industriekultur, einzelnen Unternehmen oder Branchen in der Regionen vor, außerdem Zeitzeugen-Befragungen und denkmalpflegerische Projekte. Gefragt sei dabei eine „interdisziplinäre Industriekulturforschung“, für die Historiker, Wirtschaftsexperten, Archäologen, Denkmalpfleger, Architekten, Landschaftsplaner, Soziologen und Kreislaufwirtschaftler zusammenarbeiten. Sinnvoll sei es zudem, die sächsische Industriekultur auch in den Lehrplänen an den Schulen mit zu verankern.

Kulturministerin Barbara-Klepsch. Foto: Christian Hüller für das SMKT

Kulturministerin Barbara-Klepsch. Foto: Christian Hüller für das SMKT

„Industriekultur ist ein wesentlicher Teil der Lebenswelt“

Fürs Erste hat der Landesverband nun angekündigt, die Strategien zum Thema „Industriekultur in Sachsen“ zu erneuern und dies in einem überarbeiteten „Fahrplan Industriekultur“ zu fixieren. Dies wünscht sich auch die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU): „Industriekultur ist ein wesentlicher Teil der Lebenswelt und der Alltagserfahrungen der Menschen in Sachsen“, erklärte die Ministerin. „Sie identifizieren sich mit ihrem industriekulturellen Erbe und seinen Transformationen in der Gegenwart.“ Umso wichtiger sei es, dabei auf neue Entwicklungen zu reagieren. Das Industriekulturkonzept müsse „an aktuelle Entwicklungen angepasst werden und neue Herausforderungen aufgreifen“, betonte sie. „Dazu zählen unter anderem die Erfahrungen mit der Pandemie, der Klimawandel, die Energiekrise und der demographische Wandel.”

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Landesverband Industriekultur Sachsen, Expertenbefragung-Exposé, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt