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Sachsenenergie will Wärmeversorgung für 1,5 Milliarden Euro erdgasfrei machen

Die Pilotanlage von Sunfire in Dresden-Reick hat mit der Dieselproduktion aus Luft, Wasser und Ökostrom begonnen. Foto: Sunfire/ Cleantech Media

Auch Großelektrolyseure – hier eine Komplex-Pilotanlage von Sunfire in Dresden-Reick für die Dieselproduktion aus Luft, Wasser und Ökostrom – sind Teil des Dekarbonisierungskonzeptes von Sachsenenergie. Foto: Sunfire/ Cleantech Media

Neue Anlagen sollen Thermoenergie von Müll, Abwasser und Großrechner abzapfen

Dresden, 10. Oktober 2023. Sachsenenergie will rund 1,5 Milliarden Euro investieren, um Ostsachsen spätestens ab 2045 ohne Erdgas oder andere fossile Energieträger zu heizen. Das geht aus einem Dekarbonisierungs-Konzept hervor, das Sachsenenergie-Vorstand Axel Cunow heute in Dresden vorgestellt hat.

Axel Cunow. Foto: Oliver Killig für Sachsenenergie

Axel Cunow. Foto: Oliver Killig für Sachsenenergie

Das Konzept ist Teil eines Nachhaltigkeits-Programms, in dessen Zuge das Unternehmen insgesamt rund 13 Milliarden Euro in neue Solaranlagen, Windkraftparks sowie in bessere Wasser-, Strom- und Glasfasernetze investieren will – und eben in die Fernwärme-Dekarbonisierung. Konkret dieses Geld soll in eine neue Müllverbrennung, Großwärmepumpen, einen Megawatt-Elektrolyseur, Wasserstofftechnik und andere Anlagen fließen. Damit möchte Sachsenenergie die reichlich 900.000 Tonnen Kohlendioxid, die es bilanziell pro Jahr durch Wärmeerzeugung und -verteilung in die Luft bläst, letztlich auf Null herunterfahren.

Künftige Fernwärme-Preise noch unklar

Zu welchen Fernwärme-Preisen dieses Umweltschutzkonzept letztlich für die Endverbraucher führt, vermochte der Vorstand auf Oiger-Anfrage noch nicht abzuschätzen. „Wir haben jetzt einen technologisch machbaren Pfad zur Dekarbonisierung“, erklärte Axel Cunow. Wie teuer das für die Kunden werde, hänge von künftigen staatlichen Subventionen und Auflagen, der praktischen Verfügbarkeit von umweltfreundlich erzeugtem Wasserstoff, dem Fachkräftemangel und vielen anderen Faktoren ab. Auf jeden Fall aber hätten die Sachenenergie-Ingenieure das nun vorgelegte Dekarbonisierungs-Konzept auf modernen Großrechner auf Machbarkeit durchsimuliert – und dabei dem Computer als Prämisse einen möglichst niedrigen Preis für die Kilowattstunde Wärme vorgegeben.

Viertelmilliarde für neuen Müllverwertungs-Anlauf am Hammerweg geplant

Erreichen will Sachsenenergie dies durch ein Zusammenspiel mehrerer technologischer Ansätze- Die größte Einzelinvestition in diesem Konzept löst jedenfalls ein gewisses Déjà-Vu-Gefühl aus: Der ostsächsische Energieversorger will nämlich am Hammerweg in Dresden für eine Viertelmilliarde Euro eine Aufbereitungsanlage für den urbanen Müll bauen. Diese „Thermische Abfallbehandlungsanlage“ (Tab30) soll in Knast-Nähe verwertbare Fraktionen aus den Müllströmen aussortieren und den Rest dann zu Brennstoffen für Kraftwerke aufbereiten. Ähnliches hatte die Stadt Dresden bereits ab 2001 mit der „Biologisch-mechanischen Abfallaufbereitungsanlage“ (BMA) am Hammerweg versucht, konnte die aus Müll gewonnenen Pellets aber – entgegen allen Ankündigungen – nicht profitabel verkaufen, sondern musste für die Abnahme sogar zuzahlen. Dennoch ist Axel Cunow zuversichtlich, dass die „Tab30“ (die 30 steht fürs Startjahr 2030) alles besser machen und auch ohne Subventionen mindestens kostendeckend arbeiten wird. Außerdem könnte die Anlage als „Nebeneffekt“ den unverwertbaren Dresdner Restmüll um 40 Prozent mindern und jährlich 29 Millionen Laster-Kilometer sparen, die bisher für den Abfalltransport nötig sind – zu zumindest die Idee. Abzuwarten bleibt freilich, ob Sachsenenergie die Anlage am Wunschstandort genehmigt bekommt.

Im Supercomputer-Komplex der TU Dresden, dem Lehmann-Zentrum, sind neben den Uni-Rechnern auch Computer von Max Planck, Leibniz, DLR und anderen Forschungsinstitutionen installiert. Foto: Heiko Weckrodt

Der Supercomputer-Komplex der TU soll künftig beim Häuserheizen helfen. Foto: Heiko Weckrodt

Akademische Elektronenhirne heizen künftig Dresdner Häuser

Weitere Teilprojekte des Dekarbonisierungs-Konzeptes sind nicht ganz so teuer beziehungsweise befinden sich partiell sogar schon in der Anlaufphase. Konkret will Sachsenenergie für knapp 100 Millionen Euro mindestens drei Großwärmepumpen in Dresden installieren. Die Kleinste der Drei entsteht demnächst für 2,3 Millionen Euro auf dem Unicampus Süd: Sie soll ab 2024 die Abwärme der Supercomputer aus dem TU-Rechenzentrum auf Fernwärme-Niveau bringen und dann in die Heiznetze einspeisen. Sachsenenergie-Umweltschutzleiter Frank Wustmann geht davon aus, den akademischen Superrechnern jährlich etwa 246 Megawattstunden Heizenergie entringen und damit 1,2 Prozent des Dresdner Wärmebedarf decken zu können.

Wärmepumpe von Stiebel Eltron neben der Solarwatt-Fabrik. Foto: Heiko Weckbrodt

Wärmepumpe von Stiebel Eltron neben der Solarwatt-Fabrik. Foto: Heiko Weckbrodt

Zieht bald eine Groß-Wärmepumpe Heizenergie aus der Elbe?

Die Zweite Großwärmepumpe soll dann schon zur 12-Megwatt-Klasse gehören, rund 23 Millionen Euro kosten, und die thermische Energie aus den Dresdner Abwässern ziehen. Die Dritte schließlich wird für 42 Megawatt ausgelegt, soll rund 70 Millionen Euro kosten und der Elbe thermische Energie entziehen – vorzugsweise in Pieschen, wobei auch dieser Standort noch nicht feststeht.

Luftaufnahme vom Kraftwerk Reick - hier mit den alten und neuen Wärmespeicher-Behältern. Foto: Oliver Killig für die Drewag

Luftaufnahme vom Kraftwerk Reick – hier mit den alten und neuen Wärmespeicher-Behältern. Foto: Oliver Killig für die Drewag

Wärmespeicher und Elektrodenheizkessel sollen unsteten Ökostrom puffern

Außerdem stehen neue Solar- und Windkraftanlagen sowie ein 15-Megawatt-Elektrolyseur für die Wasserstoff-Eigenproduktion auf der Agenda. Weitere Elektrodenheizkessel und andere Energiespeicher sollen die Lieferspitzen und -täler von Wind und Solaranlagen puffern. Und zumindest prüfen wollen die Sachsenenergie-Ingenieure, ob sich in Dresden entgegen allen Erwartungen vielleicht doch Tiefen-Geothermie betreiben lässt.

Die neue Elektrodenheizkesselanlage am Kraftwerk Nossener Brücke in Dresden- Foto. Drewag

Elektrodenheizkesselanlage am Kraftwerk Nossener Brücke in Dresden. Foto: Drewag

Kraftwerk soll in Zukunft mit Öko-Wasserstoff statt Erdgas arbeiten

Ein Dreh- und Angelpunkt des ganzen Konzeptes wird aber vor allem die Wasserstofftechnik sein: Das Unternehmen will in den 2030er Jahren seine Kraftwerke als Rückgrat der Energieversorgung auf Öko-Wasserstoff umstellen, um das mittlerweile verpönte Erdgas loszuwerden. Das wird nicht nur in der Anschaffung teuer, sondern steht und fällt auch mit der Frage, genug bezahlbaren Wasserstoff in Dresden verfügbar zu machen. Selbst der geplante Megawatt-Elektrolyseur wird nur einen kleinen Teil des ostsächsischen Eigenbedarfs decken können. Vorstand Cunow setzt hier auf die Versprechungen von Bundes- und Landespolitikern, Dresden an das große europäische Wasserstoff-Leitungsnetz anzuschließen.

Fernwärme-Leitung im Dresdner Süden. Foto: Heiko Weckbrodt

Fernwärme-Leitung im Dresdner Süden. Foto: Heiko Weckbrodt

Ansturm aufs Fernwärmenetz: „Wahnsinnig viele Anfragen“

Apropos anschließen: Der Vorstand rechnet mit einem deutlichen Ausbau der Fernwärmenetze in Dresden und ganz Ostsachsen. Dahinter stecken nicht zuletzt das Gebäudenergie-Gesetz und weitere Umweltauflagen von Bundesampel und EU-Kommission. Um die dort geforderten Ökoenergie-Quoten für Heizungen überhaupt erfüllen zu können, sehen viele Eigenheimbesitzer und bisher mit Gas beheizte Siedlungen nun ihr Heil in einen Anschluss ans Fernwärmenetz. „Wir bekommen wahnsinnig viele Anfragen“, berichtete Axel Cunow. Geplant sei daher, das Ausbautempo von 160 auf 300 am Fernwärmenetz-Anschlüsse pro Jahr nahezu verdoppeln. „Das ist aber nicht zuletzt eine Frage der Genehmigungen und der verfügbaren Fachkräfte.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Auskünfte Cunow und Wustmann, Sachsenenergie, Oiger-Archiv, LHD

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt