Optische, astronomische und geodätische Geräte aus dem Mathematisch-Physikalischen Salon Dresden im Fokus.
Dresden, 9. November 2020. Die Verschlüsselung von Nachrichten ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Der römische Biograph Sueton berichtet, Cäsar habe Briefe vertraulichen Inhalts in einer Geheimschrift an Cicero geschickt. Berühmt ist mittlerweile der englische Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing, der während des Zweiten Weltkriegs entscheidend dazu beitrug, den Code der deutschen Rotor-Chiffriermaschine „Enigma“ zu entschlüsseln, wodurch einmal mehr klar wurde, dass mitunter nicht nur Kampfgeist, Waffenstärke oder strategisches Denken, sondern manchmal schlicht und ergreifend auch die Überwachung und Enträtselung des feindlichen Nachrichtenverkehrs ein entscheidendes Moment im Krieg sein können.
Chiffriermaschinen mit 24 Ringen
Zwei Objekte im Mathematisch-Physikalischen Salon in Dresden sind solche Chiffriermaschinen. So ließen sich bei einem solchen Gerät – bis zur massiven Beschädigung im Zweiten Weltkrieg – mit Hilfe von 24 Ringen die Buchstaben einer Botschaft unterschiedlich weit im Alphabet verschieben. Zum Beispiel der erste Buchstabe um eine Stelle, der zweite um zwei und so fort. Aus dem Wort SALON wird damit zum Beispiel die verschlüsselte Buchstabenfolge TCOSS. In den Sammlungsinventaren des 19. Jahrhunderts wurde dieses Chiffriergerät als Permutationsmaschine bezeichnet – und es fehlt natürlich nicht in einer neuen, von den Staatlichen Kunstsammlungen herausgegebenen Publikation, die den Titel „Mathematisch-Physikalischer Salon“ trägt.
Krieg als Katalysator für den Instrumentenbau
Man schrieb das Jahr 1728, als Sachsens heute so populärer Regent August der Starke das „Königliche Cabinet der mathematischen und physikalischen Instrumente“ als eigenständiges Museum im Zwinger einrichtete, wo all jene gesammelten Werkzeuge und wissenschaftliche Instrumente landeten, mit deren Hilfe die Höhe der Sterne oder die nächste Sonnenfinsternis berechnet, aber auch Kanonen ausgerichtet werden konnten. Denn man mache sich nichts vor: Artilleristische Richtinstrumente waren wichtig, um über Kimme und Korn anvisieren zu können. An solcherart von Instrumenten, die den enormen Erfindungsreichtum sowie das große artilleristische Wissen der sächsischen Instrumentenbauer bezeugen, ist in den Beständen des Mathematisch-Physikalischen Salons kein Mangel.
Kurfürst höchstselbst vermaß sein Land
Maßgeblichen Anteil am Aufbau der Sammlung von technischen Objekten und sonstigem innovativen „Schnickschnack“ aller Art hatte Kurfürst August von Sachsen. Der unterschied sich nicht zuletzt dadurch von anderen zeitgenössischen Potentaten, dass er sich aktiv an der Vermessung seines Landes beteiligte. Er war Auftraggeber für innovative mechanische Wegweiser, zudem sind von ihm zahlreiche eigenhändige Risse und Karten überliefert – sowohl von seinem Territorium als auch von Reisen, die er unternahm.
Wie man in der Publikation, zu der Wolfram Dolz, Michael Korey sowie Peter Plaßmeyer die Texte verfassten, erfährt, sammelten nachfolgende sächsische (Kur-)Fürsten dann zwar weiterhin solcherart Instrumente, aber nicht so intensiv wie August. Ihnen waren aufwendige Uhren und Figurenautomaten lieber, sie waren eben nicht ganz so ein Nerd wie Sheldon Cooper, jenes wichtigen Protagonisten der US-Sitcom „The Big Bang Theory“, der einmal bekräftigte: „Es gibt nur eine bewusstseinserweiternde Droge, die mir Spaß macht und die nennt sich Wissenschaft!“
Grandiose Planetenuhr für August
Die Sachsen-Fürsten scheuten keine Kosten und Mühen, wenn es um darum ging, dieses oder jenes Objekt zu besitzen. So etwa im Fall der monumentalen Planetenuhr, die zu den mechanisch aufwendigsten und künstlerisch herausragenden Uhren der Frühen Neuzeit gehört. Sie entstand im Auftrag des Kurfürsten August von Sachsen am Hof seines Schwagers, des hessischen Landgrafen Wilhelm IV., und folgte einer ersten, für Wilhelm selbst gebauten Uhr, die sich noch heute in Kassel befindet. Die Uhr zeigt den Lauf der sieben mit bloßem Auge sichtbaren, teils nur vermeintlichen „Planeten“, die man damals kannte: Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn sowie Sonne und Mond – nach der spätantiken Ptolemäischen Theorie. Wo sich ein jeder Planet am Himmel, von der Erde aus gesehen, befindet, wird auf einem emaillierten Tierkreisring angezeigt.
„nicht wenig erlüstigt und ergölzet“
Noch bevor die Uhr überhaupt fertiggestellt war, wurde an den Höfen Europas bereits kolportiert, dass sie „schöner, größer und kunstreicher“ als ihr berühmtes Kassler Vorbild sei. Weder ein Ausbruch der Pest in Hessen noch wiederholte technische Schwierigkeiten und Kostensteigerungen bremsten Augusts Verlangen, dieses Wunderwerk sein Eigen nennen zu können. August hielt es eher nicht mit einer Sentenz Buddhas, die da lautet: Das Glück liegt in uns, nicht in den Dingen.“ Letztlich betrug die Wartezeit fünf Jahre. Wer zu DDR-Zeiten einen Trabant orderte, wird dies durchaus als Klacks ansehen. Als das „Teil“ dann endlich 1568 in Dresden präsentiert wurde, war August über vielfältigen Anzeigen der Himmelsbewegungen „nicht wenig erlüstigt und ergölzet“, wie es in einem Augenzeugenbericht heißt.
Von seiner Frau erhielt Kurfürst Christian I. zu Weihnachten ein technisches Wunderwerk
Viel Arbeit steckt auch in jener Türmchenuhr, die Kurfürst Christian I. von seiner besseren Hälfte, der Kurfürstin Sophia, zu Weihnachten geschenkt bekam. Geschaffen wurde das technische Wunderwerk 1578 vom Nürnberger Uhrmacher Paulus Schuster. Die wichtigsten Zentren des Uhrmacherhandwerks um 1600 waren die Freien Reichsstädte Nürnberg, Augsburg und Straßburg – das wie der Rest des Elsass bis zur Annexion durch Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. noch Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war. Kleine wie große Zifferblätter dieser Uhr geben vielfältige astronomische, astrologische und mechanische Informationen. Tischuhren wie diese, nämlich mit Türmchen, so dass sie wie die Miniaturausgabe mittelalterlicher Uhrtürme wirkten, waren typisch für die Zeit um 1600.
Der Totenkopf zeigt die Zeit
Tragbare Uhren wurden in nahezu unbegrenzter Formenvielfalt hergestellt, sei es in Gestalt eines Kreuzes, einer Tulpe oder eines Totenkopfes. Häufig entstanden auf der Suche nach ausgefallenen Motiven kuriose wie virtuose Kabinettstückchen. So wie im Fall einer Totenkopf-Anhängeruhr, wo sich das Uhrwerk in der Schädelkalotte befindet und man dadurch zum Zifferblatt gelangt, indem man den Unterkiefer aufklappt.
Der rückwärtige Krebsautomat im Krieg verloren
Mitunter müssen die Zifferblätter regelrecht gesucht werden, so etwa bei einem Krebsautomaten, der einem Flusskrebs nachgebildet ist. In diesem Fall fehlt das Zifferblatt mittlerweile. Es war Teilstück eines Paares von zwei Krebsautomaten, von denen der eine vorwärts und der andere rückwärts kriechen konnte. Der rückwärts kriechende „Krebs“ ging im Zweiten Weltkrieg verloren, sein Pendant kann seine Scheren, die Beine und den Schwanz bewegen. Vorwärts bewegt wird er durch zwei Zahnräder, die aus dem Brustkorb herauskommen, und durch ein weiteres Stützrad – die Beine bewegen sich frei in der Luft. Jede Wette drauf – Q, jener Tüftler, der in den einschlägigen „James Bond“-Filmen Agent 007 mit allerlei technischen Spielereien ausrüstet, hätte seine Freude an diesem Teil.
Buch dient als Museumsführer
Bis heute beherbergt der Salon jedenfalls zahlreiche Prunkstücke. Dazu gehören Erd- und Himmelsgloben, faszinierende optische, astronomische und geodätische Geräte sowie historische Hilfsmittel zum Rechnen, Zeichnen und Messen. Der neue Museumsführer leitet durch die 2013 neu eröffnete größere Ausstellung, dokumentiert die Sammelleidenschaft der Fürsten und vermittelt, auf welchen Grundlagen unser heutiges Wissen beruht. Etliche Ausführungen sind technischer Natur, aber man muss auch nicht vier Semester Maschinenbau oder Physik studiert haben, um sie zu verstehen. Viele Begriffe werden vermittelt, etwa dass bereits im Altertum Uhren in Gebrauch waren, die den Lauf der Sonne in einer der vermeintlichen Himmelskugel nachempfundenen Hohlkugel abbilden. Diese Sonnenuhren nennen sich „Skaphen“.
Drei Erfinder als „Sächsischer Archimedes“ betitelt
Erinnert wird an diverse Männer, die sich um die Erfindung optischer Geräte verdient machten. So an den Hofmechanikus Andreas Gärtner, den Hoftischler Peter Höse sowie Johann Gottlieb Michaelis, der einst Direktor des Mathematisch-Physikalischen Salons war. Sie alle erhielten ob ihres Erfindungsreichtums den Beinamen „Sächsischer Archimedes“ – So viel zur Behauptung „Es kann nur einen geben“, die der Film „Highlander“ mit Christopher Lambert und dem unlängst verstorbenen Sean Connery suggeriert. Ein anderer wichtiger Mann war Christoph Trechsler der Ältere. Der Instrumentenbauer war im ausgehenden 16. Jahrhundert der wichtigste Instrumentenbauer. Kurfürst August ließ Trechsler, der eigentlich Büchsenmacher gelernt hatte wissenschaftliche Instrumente bauen. So legte er die Basis für eine Tradition, die Sachsen schließlich unabhängig von entsprechenden Werkstätten in Augsburg und Nürnberg werden ließ.
Reichsgraf Hans hatte sein eigenes Mechaniklabor
Und da wäre dann noch jenes „Mechanische Laboratorium“, das der Reichsgraf Hans von Löser im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts auf seinem Gut Reinharz in der Dübener Heide einrichtete. Die in dieser Werkstatt fabrizierten optischen, mathematischen und physikalischen Instrumente und Uhren waren den besten zeitgenössischen Produkten aus den Metropolen London und Paris ebenbürtig. Nach Lösers Tod wurde die Werkstatt aufgelöst. Das Gros der Instrumente kam nach Dresden, wo sie die Sammlungsbestände des Mathematisch-Physikalischen Salons wesentlich erweiterten.
Zudem erwarben Sachsens Kurfürsten schon im 16. Jahrhundert kostbare Erd- und Himmelsgloben. Doch der systematische Ausbau zu einer Globensammlung von europäischem Rang gelang erst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Kurzüberblick:
Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Mathematisch-Physikalischer Salon – Meisterwerke. Sammlung im Zwinger, Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Deutscher Kunstverlag, 160 Seiten, 30 s/w Abbildungen und 120 farbige Abbildungen, 16,50 Euro
Autor der Rezension: Christian Ruf
Zum Weiterlesen:
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