Roboter in Textilindustrie noch unterrepräsentiert
Chemnitz, 19. November 2021. Roboter werden in der Textilfabrik der Zukunft zwar eine weit stärkere Rolle als heute spielen. Derzeit allerdings sind sie in den Textilbetrieben im Vergleich zu der Automobilindustrie, der Mikroelektronik oder anderen Industriezweigen noch „stark unterrepräsentiert“. Das hat Falko Schubert vom „Sächsischen Textilforschungsinstitut“ (STFI) in Chemnitz während einer Online-Gesprächsrunde „Robotik und Automatisierung“ der „Sächsischen Industrieforschungsgemeinschaft“ (SIG) eingeschätzt.
Textilmaschinen seit erster „Spinning Jenny“ enorm ausgereift
Die Hintergründe sieht der Ingenieur in der langen Tradition, der kleinteiligen Struktur, den „Werkstoffen“ und den erheblichen Losgrößen der Textilindustrie. Denn Web-, Strick- und Spinnmaschinen gehörten zu den ersten Maschinen überhaupt, die im Zuge der ersten industriellen Revolution konstruiert worden waren. Eines der frühesten Beispiele für den Übergang vom Manufaktur- zum Industriebetrieb ist der Einsatz der Spinnmaschine „Spinning Jenny“, die vor etwa 250 Jahren in England erfunden wurde. Diese Anlagentechnologien sind inzwischen hochausgereift und innerhalb der eigenen Prozessketten bereits hochautomatisiert. Von daher gab es in der Branche bisher wenig Druck, sich mit Robotik auseinanderzusetzen.
Die Zeit der riesigen Losgrößen ist in Europa längst vorbei
Auch sind die Löhne in den Textilbetrieben vergleichsweise niedrig, was Prozess-Innovationen erfahrungsgemäß verzögern kann. Und anders als die riesigen Kombinate vor der Wende, die durch die noch niedrigeren damaligen Löhne in der DDR auch problemlos Pullis, Strumpfhosen, Kinderkleider und andere Textilen in den Westen exportieren konnten, ist die heutige Textilbranche in Ostdeutschland drastisch zusammengeschrumpft und besteht größtenteils eher kleinen Betrieben mit wenig Kapitalreserven für größere Investitionen.
Problem: Normale Roboter können „schlabbrige“ Stoffe nur schwer greifen
Hinzu kommt eine weitere Besonderheit: Textilien sind weich, schlaff und meist luftdurchlässig. Mit diesen Materialien kommen Roboter mit klassischen Parallelgreifern, wie man sie etwa aus dem Autobau kennt, nur schwer zurecht. Allerdings gibt es für dieses Problem inzwischen Lösungen in Form von nadelbestückten Greifern und Vakuumsaug-Greifern. Weitere Alternativen befinden sich in der Entwicklung. Dazu gehören beispielsweise elektrostatische Systeme sowie Greifer, die mit integrierten Kameras und Sensoren erkennen können, was sie fassen sollen.
Chemnitzer Fabrik der Zukunft soll zum Vorbild werden
Diese und weitere junge Technologien wollen Falko Schubert und seine Kollegen vom STFI in einer Demonstrations-Textilfabrik der Zukunft zusammenführen und weiterentwickeln. Einsetzen wollen sie dort Roboter, die Webmaschinen mit Spulen bestücken, die Materalien innerhalb der Werkhalle hin- und herfahren, oder die zum Beispiel zugeschnittene Matten den Nähautomaten reichen und wie ein Mensch entlang der Nähkontur bewegen. Auch kollaborative Roboter, die ohne Schutzzaun mit Menschen zusammenarbeiten können, und sich dadurch besser als klassische Industrieroboter für die oft eher engen Textilbetriebe eignen, arbeiten hier. Damit solche Fabriken „Industrie 4.0“-tauglich werden, vernetzen die Forscher die Maschinen untereinander und mit den Robotern. In der finalen Stufe möchten sie die Technik schließlich zu einer selbstständigen Arbeitsorganisation befähigen.
Kleinere Lose und mehr Varianten zwingen zum Umdenken
Denn auch in der Textilbranche wächst der Druck, „Industrie 4.0“-Technologien einzusetzen: Die Lose werden kleiner, gefragt sind mehr und mehr auch kundenspezifische Kleinserien, die Zahl der gewünschten Varianten steigt. Der demografische Wandel verschärft zudem den Fachkräftemangel. Selbst mit Lohnerhöhungen dürfte die Branche dieses Problem langfristig kaum in den Griff bekommen – ein verstärkter Robotereinsatz könnte aber zumindest viele monotone Arbeiten überflüssig machen. Auch hat gerade die sächsische Textilindustrie nach der Wende eine Transformation weg von Massenwaren hin zu spezialisierten Produkten, technischen Textilien und Zulieferungen für die Auto- und Luftfahrtindustrie durchgemacht. Wenn man dabei etwa an spezielle Auslegetechniken für Leichtbauteile denkt, dann könnte ein konsequenter Robotereinsatz dabei für erhebliche Senkungen der Bauteilkosten führen.
Das STFI stützt sich bei seinen Forschungen für die Textilfabrik der Zukunft auf langjährige Erfahrungen der traditionsreichen Textilindustrie und des Maschinenbaus in Sachsen. 1992 ging das gemeinnützige Privatinstitut aus dem „Forschungsinstitut für Textiltechnologie“ (FIFT) Chemnitz und dem „Institut für Technische Textilien“ (ITT) in Dresden hervor. Heute hat die Forschungseinrichtung rund 150 Beschäftigte und etwa 16 Millionen Euro Jahresumsatz Das STFI ist Mitglied der „Sächsischen Industrieforschungsgemeinschaft“ (SIG) und der Zuse-Gemeinschaft.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: SIG Science Talk, Oiger-Archiv
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