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Markt für Bio-Kunststoffe legt bis 2033 um 10 % pro Jahr zu

Besteck, Schalen, Flaschen und andere Haushaltsdinge aus Kunststoff haben heute keinen so großen Fan-Club mehr wie in den 1960er Jahren - besonders, wenn sie aus Erdöl oder anderen fossilen Ablagerungen hergestellt sind. Foto: Heiko Weckbrodt

Besteck, Schalen, Flaschen und andere Haushaltsdinge aus Kunststoff haben heute keinen so großen Fan-Club mehr wie in den 1960er Jahren – besonders, wenn sie aus Erdöl oder anderen fossilen Ablagerungen hergestellt sind. Foto: Heiko Weckbrodt

IDTechex: Druck durch Umweltgesetze und Verbraucher wächst, ölbasierte Plaste zu ersetzen

Cambridge, 14. August 2022. Weil die globale Kunststoff-Nachfrage trotz aller Mülldiskussionen weiter stark steigt, Regierungen weltweit aber ihre Umweltgesetze verschärfen und auch das Verbraucherinteresse an ökologischen Lösungen wächst, ist in den nächsten Jahren mit einem kräftigen Wachstum von Bio-Kunststoffherstellern zu rechnen. Das hat das Marktforschungsunternehmen „IDTechex“ aus dem britischen Cambridge prognostiziert.

Nachfrage für Bio-Kunststoff wächst stärker als der Gesamtmarkt

Demnach wird sich einerseits der weltweite Kunststoffverbrauch bis 2050 verdoppeln. Anderseits legt der Teilmarkt für Kunststoffe aus biologisch gewonnenen Ausgangsstoffen überproportional zu – nämlich allein in dieser Dekade um etwa zehn Prozent pro Jahr zu. Allerdings müssen die Entwickler und Produzenten solcher synthetischen Bio-Materialien ihre Herstellungskosten weiter senken und einige technologische Probleme lösen, um beispielsweise marktgängige Alternativen zu PET-Kunststoffflaschen zu schaffen.

Eigentlich ein alter Hut

Kunststoffe auf biologischer Basis gibt es zwar eigentlich schon sehr lange, wenn man etwa an Kautschuk und dergleichen denkt. Die auf fossilen Ablagerungen basierten Produkte haben diese Kunststoffe aber in hohem Maße verdrängt: weil sie über Jahrzehnte mit billigem Erdöl und -gas herstellbar waren, die dafür entwickelten Prozesse Erzeugnisse in reproduzierbar hoher Qualität lieferten und weil sich Mineralöl, Erdgas und Kohle viel schneller und einfacher abbauen lassen als die meisten nachwachsenden „Bio“-Materialien.

Biokunststoffindustrie stürzte nach 2010 in ein Tal des Todes

„Die Biokunststoffindustrie begann vor Jahrzehnten, aber in den 2010er Jahren stürzte die Branche tief in das Tal des Todes“, heißt es in einer Zusammenfassung zur IDTechex-Studie „Bioplastics 2023-2033: Technology, Market, Players, and Forecasts“. Neben den vergleichsweise hohen Kosten für Biokunststoffe spielten dabei auch Probleme eine Rolle, die Produktion vom Kleinserien- in den Großindustrie-Maßstab hochzufahren. In der Folge seien zahlreiche Anbieter pleite gegangen oder hätten ihre Geschäftsmodelle verändert.

Andy Ko. Foto: IDTechEx - Pressefoto

Andy Ko. Foto: IDTechEx – Pressefoto

Mix aus Verboten, Verbraucher-Nachfrage und Sorge der Markenhersteller um Rufschäden

„Doch die jüngsten Veränderungen haben das Blatt in der Biokunststoffindustrie gewendet und ihren Wachstumsmodus wiederbelebt“, ist Studienautor Andy Ko überzeugt. Das komme erstens durch den staatlichen Druck in vielen Ländern, in denen die jeweiligen Gesetzgeber vor allem fossile Einweg-Kunststoffe verbieten und Substitute von der Industrie fordern. Zweitens versuchen viele Markenhersteller, ihren Ruf durch Öko-Programme aufzubessern – etwa, indem sie sich von fossilen Rohstoffen und Energieträgern zugunsten von „Bio“-Produkten lösen. Und drittens drängen eben auch viele Endkonsumenten in Europa und Nordamerika auf mehr Umweltschutz in der Industrie.

Energiepreisschock hat hohe Kosten für Bio-Kunststoff relativiert

Folge: „Viele Unternehmen beginnen, den Engpass im kommerziellen Maßstab zu überwinden, und mit der Weiterentwicklung der Technologie werden Biokunststoffe zu geringeren Kosten hergestellt“, heißt es in der IDTechex-Analyse. „Außerdem sind die Verbraucher jetzt eher bereit, den Aufpreis für nachhaltige Biokunststoffe zu zahlen.“ Auch haben die jüngsten steilen Preisanstiege für fossile Energieträger die höheren Kosten von biobasierten Kunststoffen relativiert.

Recycling steht teils nur auf dem Papier

Allerdings stehen viele Biokunststoff-Anbieter und Nutzer auch jenseits der Kostenfrage vor erheblichen Herausforderungen: Viele sogenannte „Bio“-Kunststoffe zum Beispiel lassen sich nicht wirklich sinnvoll wiederverwerten. Zum Beispiel kann Polymilchsäure (PLA), das am weitesten verbreitete, zu 100 % biobasierte Kunststoffmaterial, industriell kompostiert werden“, betonen die britischen Analysten. „Dies bietet dem Kompost jedoch keinen Wert, sodass es in der Industrie nur wenige Abnehmer gibt.“

Debatte um Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe

Von daher gibt es eben auch Stimmen, die sagen: Selbst ölbasierter Kunststoff ist per se kein ökologisch verwerfliches Material. Denn er ist leicht zu verarbeiten, ersetzt deutlich ressourcenintensivere Materialien etwa auf Metallbasis und eignet sich für den Leichtbau, der wiederum Kraftstoffe und andere Ressourcen spart. Zudem lassen sich viele Polymere gut aufschmelzen und sinnvoll wiederverwerten – wenn auch verbunden mit einer gewissen Qualitätsminderung mit jedem durchlaufenen Kreislauf. Das Problem beginnt nach dieser Lehrmeinung erst dann, wenn man keine leistungsstarken Sammel- und Recyclingwege beziehungsweise eine echte Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe aufbaut. Manche wie etwa Bettina Weber vom Dresdner Verein „Konglomerat“ meinen gar: „Wir müssen begreifen und danach handeln, dass Kunststoffe so viel wert sind wie Gold. Ganz besondere Werkstoffe eben.“

Aus Plastemüll machen die in Containern eingehausten Pyrolyse-Anlagen der "Biofabrik" Dresden synthetisches Öl sowie weitere verwertbare Stoffe. Echter "Abfall" bleibt kaum übrig, versichern die Ingenieure aus Sachsen. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch ein Weg, die Ökobilanz des globalen Kunststoffverbrauchs zu verbessern: Aus Plastemüll machen die in Containern eingehausten Pyrolyse-Anlagen der „Biofabrik“ Dresden synthetisches Öl sowie weitere verwertbare Stoffe. Echter „Abfall“ bleibt kaum übrig, versichern die Ingenieure aus Sachsen. Foto: Heiko Weckbrodt

Allerdings setzt dies eben auch voraus, dass die ausgemusterten Kunststoff-Flaschen, -Tüten und anderen Produkte nicht einfach auf die Straße geworfen werden, wie das in manchen Ländern weitverbreitet ist, sondern getrennt gesammelt werden. Ab diesem Punkt sind dann nämlich auch hohe Verwertungsquoten möglich, wie aus Statistiken des Bundesumweltamtes hervor geht. Hier gilt es aber wiederum, den Anteil wieder als Werkstoff genutzter Kunststoff-Abfälle weiter zu erhöhen.

Umweltpolitisch motivierte Verbote und Subventionen können ganz schnell in unerwünschte Nebeneffekte umschlagen, wenn man etwa an die Raps-, Palmöl- und Mais-Monokulturen denkt, die sich als Folge der europäischen "Biosprit"-Ziele ergeben haben. Foto: Heiko Weckbrodt

Umweltpolitisch motivierte Verbote und Subventionen können ganz schnell in unerwünschte Nebeneffekte umschlagen. Man danke da zum Beispiel an die Raps-, Palmöl- und Mais-Monokulturen, die sich als Folge der europäischen „Biosprit“-Ziele ergeben haben. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch Monokultur-Gefahr im Auge behalten

Daneben ist bei der Diskussion um ein Ende fossiler zugunsten „biologischer“ Kunststoffe ein weiterer Punkt zu beachten: Bei massiven staatlichen Eingriffen über Verbote oder Förderungen droht erfahrungsgemäß auch immer die Gefahr von Fehlsteuerungen oder, umgangssprachlicher ausgedrückt, vom Regen in die Traufe zu kommen. Greenpeace und Agrarforscher haben schon mehrfach davor gewarnt, wie sehr die Beimischungen von „Biosprit“ in Europa weltweit Raps-, Palmöl- und andere Monokulturen gefördert haben, die dort wiederum eine ausgewogene Landwirtschaft behindern.

Immer noch keine durchschlagende Alternative zur PET-Flasche im Handel

Und auch technologisch gibt es noch einige Probleme zu lösen: Bisher gibt es – zumindest im Handel – noch keine hunderprozentig biobasierten PET-Flaschen. Zwar lassen sich Biomaterialien bei der Produktion von „Polyethylenterephthalat“ (PET) durchaus einsetzen. Aber ein wichtiger PET-Baustein, die Terephthalsäure (TPA), lässt sich bisher nur aus fossilem Öl erzeugen. Die Analysten sehen derzeit zwei konkurrierende Lösungsansätze: „Eine besteht darin, ein biobasiertes TPA zu entwickeln, um 100 % biobasiertes PET zu erhalten. Die andere besteht darin, TPA vollständig durch eine andere ähnliche, aber vollständig biobasierte Säure auszutauschen.“ Dies führe zu „Polyethylenfuranoat“ (PEF), einem Polymer, das womöglich den Markt für biobasiertes PET als billigere Alternative aufmischen könnte. Bisher sei aber noch keine dieser Lösungen großserienreif.

Autor: hw

Quelle: IDTechex, Bundesumweltamt, Oiger-Archiv

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt