Bücherkiste, zAufi

Zeitreise durch eine geschundene Stadt

Repro: Elbhang-Kurier-Verlag

Repro: Elbhang-Kurier-Verlag

Foto-Buch zeigt Leben in Dresden zwischen Ruinen, Abriss, Verfall und Wiederaufbau

Ungefähr 40 Minuten benötigte am Ende des Zweiten Weltkrieges eine alliierte Luftflotte, um eine deutsche Stadt in ein ausgebranntes Gerippe zu verwandeln. Stadt um Stadt wurde – ähnlich war die Situation in Japan – 1945 zerbombt, es war eigentlich egal, ob sie von militärischer Bedeutung war, ein wie auch immer gearteter „Grund“ fand sich schon, um eine Stadt zum gerechtfertigten Angriffsziel zu erklären. Dresden erwischte es am 13. Februar, kurz davor hatte es Magdeburg getroffen: 371 Flugzeuge, 1200 Tonnen Bomben, 39 Minuten. Danach waren 190.000 Magdeburger obdachlos, die Innenstadt ein Trümmerfeld. Wesel war am 16. Februar an der Reihe, es folgten bis zur bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, die explizit nicht den Bombenangriffen geschuldet war, noch Chemnitz, Dessau, Wesel, Pforzheim, Potsdam, Würzburg, Nordhausen….

Baufachmann Roland Ander dokumentierte Veränderungen über Jahrzehnte hinweg

Wie gesagt, Dresden lag am Ende des Dritten Reiches vor allem im Innenstadtbereich in Trümmern. Und als die weitgehend beseitigt bzw. abgeräumt waren, wobei nicht wenige erhaltene oder wiederaufbaufähige Gebäude dem Wiederaufbau geopfert wurden, was auf eine eine zweite Zerstörung der Stadt hinauslief, gab es zunächst mal riesige unbebaute Flächen, „eine ungeheure Leere“. Es sollte mehrere Jahrzehnte dauern, bis daraus wieder die Stadt wurde, die man kannte und heute kennt. Dr. Roland Ander, heute 88 Jahre alt, hat das alles miterlebt. Als Baufachmann von der Pike auf – nach Maurerlehre inklusive Enttrümmerung des Altmarkts, Studium und Tätigkeit für Bauaufgaben und Denkmalpflege der Ev.–luth. Landeskirche – beobachtete er sein Leben lang das Baugeschehen in Dresden, insbesondere die Jahre 1951 bis 2006. Wie man erfährt, verpflichtete man Baufirmen in der SBZ zu 14 bis 21 Tagen Enttrümmerung in Dresden, so auch Anders Lehrfirma Otto Hänsel aus Friedersdorf. Anders half beim Enttrümmern des Altmarkts mit, übernachten konnte er bei einem Onkel in Niedersedlitz, was ihm das Schlafen in einer Baracke ersparte. Niedersedlitz – der Volksmund habe den Namens des Stadtteils damals zu Niederlitz verballhornt, das mit SED habe man gestrichen.

Erst eine Altix, dann eine Exa als Kamera

Vom zweiten Gehalt kaufte sich Roland Ander seine erste Kamera, eine Altix, später dann eine Spiegelreflexkamera Exa 1. Seine Bilder und Zeichnungen legen Zeugnis ab vom großen respektablen Aufbauwillen, sie bekunden die von stalinistischen Dogmen beeinflussten Anfänge des Wiederaufbaus, den schleichenden Verfall in vielen anderen, vom Krieg verschonten Ecken Stadt in der Mangelwirtschaft der DDR und dokumentieren aber auch die Wirren der Wendezeit und die Wiedergeburt dieser und jener Immobilie als Wertanlage, wobei es durchaus auch zu Neuschöpfungen wichtiger architektonischer Kulturgüter kam. Gebäude um Gebäude hat Ander peu à peu eingefangen, um zu zeigen, wie sich die Stadt veränderte und neu erfand. Mit ungeschöntem, mit Retuschen nichts am Hut habendem Blick schaut er auf die Tief- und Höhepunkte der Stadtentwicklung, auf unwiederbringlich Verlorenes, aber auch auf zum Glück Gerettetes wie die Dreikönigs- oder Frauenkirche.

Ander setzt, da verspricht der Klappentext nicht zu viel, mit diesem im Dresdner Elbhang-Kurier-Verlag erschienenen Band einen sehr persönlichen Schlussstein in sein zweites Lebenswerk als Zeichner, Fotograf und Autor, dessen Auswertung mit dem Buch „Ich war auch eine Trümmerfrau…“ 2014 begann. Anders nahezu komplettes Arbeitsleben war geprägt von der Zerstörung Dresdens, der er hiermit als „,geschundener‘ Stadt ein eigenwilliges Denkmal setzt“.

Schleichender Verfall seiner Stadt in der Mangelwirtschaft

Mit ungeschöntem Blick schaut er auf Tief- und Höhepunkte der Stadtentwicklung – auf unwiederbringlich Verlorenes, aber auch Gerettetes wie die Dreikönigskirche und die Frauenkirche. Mit der Kamera und dem Zeichenstift war Roland Ander Zeitzeuge der von großem Aufbauwillen, aber auch von stalinistischen Dogmen beeinflussten Anfängen des Wiederaufbaus sowie des schleichenden Verfalls seiner Stadt in der Mangelwirtschaft der DDR bis hinein in die Wirren der Wendezeit mit der Wiedergeburt der Immobilie als Wertanlage.

Geboren wurde Roland Ander 1935 in Neusalza-Spremberg in der Oberlausitz, bereits ein Jahr später verschlug es ihn infolge des Umzugs der Eltern nach Dresden. Im biografischen Nachwort hält er fest: „Die Schrecken der Bombennacht und die Tagesangriffe mit Tieffliegern blieben mir wie ein Trauma im Gedächtnis.“. Anders‘ Erinnerung ist also anders als der Befund einschlägiger Bücher wie etwa dem von Helmut Schnatz, in dem versichert wird, dass alliierte Tieffliegerangriffe auf Dresden nahezu ein Ding der Unmöglichkeit waren und reine Legende sind. Wie auch immer: Anders und seine Familie, die kurz nach Heidenau geflüchtet war, überlebte den Angriff.

Deutsche Behördenmühlen mahlten rasch wieder

Mit seinem Buch lässt er nun eine breite Öffentlichkeit an seiner Sammlung einzigartiger, bislang unveröffentlichter Schwarz-Weiß- und sogar Farbfotos sowie Zeichnungen aus rund 50 Jahren Dresden-Geschichte teilhaben – versehen mit kurzen Kommentaren, die viele fast vergessene Fakten, aber auch den sarkastischen Witz der Dresdner wie auch den unfreiwilligen Humor der Bürokratie in Erinnerung rufen. So gab das Steueramt den Dresdner kurz nach Kriegsende der ums tägliche Brot und Überleben kämpfenden Bevölkerung bekannt: „Betriff: Öffentliche Erinnerung fällig gewesener Abgaben. Am 1. Mai 1945 war die 1. Rate der Hundesteuer für 1945… fällig. Es wird aufgefordert, sie nunmehr bis zum 30. Juni zu entrichten.“

1 Kilogramm Heidelbeerblätter für 88 Pfennig

Ein Foto zeigt Kinder beim Sammeln von Huflattichblüten. Für ein Kilogramm getrockneter Huflattich-Blüten gab es 2,73 Mark. Einem amtlichen Mitteilungsblatt des Rates der Stadt Dresden vom 15. Februar 1947, in dem eine Preisliste für „Wilddrogen“ abgedruckt war, konnte der Autor auch entnehmen, dass es für ein Kilogramm getrockneter Heidelbeerblätter nur 88 Pfennig gab, für ein Kilo Fichtennadeln gar nur 39 Pfennig. Apart auch eine abgedruckte Eintrittskarte zur Veranstaltung „Es lacht der Dresdner Aufbaulöwe“ im Freilichttheater „Junge Garde‘ im Großen Garten, u.a. wirkten das neben dem Großen Tanz- und Unterhaltungsorchester Josef Ihm und Peter Volkmann ein „rasender Reporter“ namens Fred Gigo und das beliebte Schlagerquartett Fidele Jungs mit.

Adenauer und Strauß als Atombomben-Politiker angeprangert

Deutlich wird, dass zu den Zumutungen des Alltags auch die allgegenwärtige Indoktrination gehörte. So zeigt ein Foto von 1957 den westdeutschen, anders als im Osten frei gewählten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland – Konrad Adenauer – als Atombombe, dazu ein Plakat mit der Aufschrift „Unsere Stimme den Kandidaten der Nationalen Front gegen Adenauers Atombombenpolitik“. Ins selbe Propaganda-Horn stößt eine Skulptur auf dem Postplatz. Sie zeigt den Bundesverteidigungsminister Franz Joseph Strauß, wie er eine Atombombe reitet. Den Sockel umspannt ein Tuch in Schwarz-Weiß-Rot – als Zeichen für den im Westen grassierenden Revanchismus.

Fotos von Kampfgruppen

Zum Kalten Krieg, der von Ost wie West insbesondere in den 1950ern erbittert geführt wurde, gehörten in den sozialistischen Ländern auch Demonstrationen, vorzugsweise, aber nicht nur am 1. Mai. Was dazu gehörte, führt Ander anhand einiger Fotos vor Augen, aber auch mit der Reproduktion eines Artikels über eine Übung einer Kampfgruppe. Kampfgruppen der Arbeiterklasse lautete, hier nun ein kleiner Service für unsere jüngeren Leser, die offizielle Bezeichnung für die seit 1953 in der DDR aufgestellten Milizverbände der SED. Als Konsequenz aus dem 17. Juni 1953 wurde auf der 14. ZK-Tagung der SED am 21.6.1953 vorgeschlagen, „Arbeiterwehren“ zu schaffen. Anfangs mit veralteten, leichten Waffen ausgerüstet, war es ihre Aufgabe, Betriebe gegen „Feinde des Sozialismus“ zu sichern, wobei ein Foto von Soldaten auf Beiwagenmotorrädern zeigt, dass Stahlhelme aus Wehrmachtsbeständen noch Verwendung fanden. Roland Ander ist bei der Gelegenheit weiterhin so frei, den Volksmund zu zitieren, der damals, unter der Hand natürlich nur, folgende spöttische Definition lieferte: „Es liegt im Gras und zittert – Was ist das? – Eine Kampfgruppe“. Ähnlich der Hohn zu einer Ehrentribüne mit Hammer, Sichel und Ährenkranz. Die Dresdner hätten dies, so Ander, der in vielen Bildunterschriften und sonstigen Ausführungen vielfach offenbart, dass er eher nicht als Freund der DDR und ihres Staatssozialismus einzuschätzen ist, wie folgt interpretiert: „Da hammer aber zu zirkln, damit mer um de Runden kumm.“

Details aus dem Alltag

Immer wieder sind es mal abgesehen von den Fotos kleine, aber bemerkenswerte Details, die dem Buch einen ganz eigenen Reiz verleihen. So etwa, wenn Ander in seinen Ausführungen zur Enttrümmerung vermittelt, dass in der Ruine des Textilkaufhauses die Lochreparatur und ein Lokschuppen untergebracht waren. Er schreibt: „Die Kellerdecke wurde durchbrochen und Gleise darüber verlegt. So konnten Loks auch von unten repariert werden. Im Keller lagerten Ersatzteile, damit man diese gleich zur Hand hatte. Hinten im Erdgeschoss befand sich das Schweißkabinett. Nebenan im ehemaligen Warenhaus ,Defaka‘ (Deutsches Familienkaufhaus) lagerten Gerät und Dieselkraftstoff.“

Dank für Dix-Fotos

Auch erfährt man, wie der Autor an ein Emailleschild vom Altmarkt von vor 1945 gelangte. Ein Enttrümmerer hatte es mitgenommen und an seine Gartenlaube genagelt. Als die später einfiel, erwarb es Roland Ander für zwei Flaschen Waldschlößchenbier. Zu den Personen, die den Weg von Roland Ander kreuzten, gehörte auch der Kunsthistoriker Fritz Löffler, auch er einer, der sich besonders um die Erhaltung und Dokumentation der architektonischen Denkmäler Dresdens verdient machte. Abgedruckt ist eine gemeinsamer Kartengruß Löfflers und des Malers Otto Dix (!) an Ander von 1980 – Löffler bedankt sich für ein Schreiben und „drei anliegende Dix-Fotos“, womit Ander ihm eine große Freude bereitet habe. Auch freut er sich „Schön, daß ihre Dresden-Sammlung solche Fortschritte macht“. Letztlich musste Ander aber noch 43 Jahre auf die Veröffentlichung seiner Fotos durch dieses Buch warten.

Sein Opus Magnum ist dank eines Personen-, Sach- sowie Straßen- und Ortsregisters ein vortreffliches Nachschlagewerk, jüngere Semester brauchen keine Berührungsängste haben, diverse Abkürzungen und Worte werden ebenfalls im Anhang erklärt. So etwa VMI, die Abkürzung für „Volkswirtschaftliche Masseninitiative“, der das Kürzel NAW für „Nationales Aufbauwerk“.

Roland Ander: Dresden 1951–2006 – Zeitreise durch eine geschundene Stadt. Elbhang-Kurier-Verlag, 232 Seiten mit 472 Abbildungen, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-936240-38-2

Autor der Rezension: Christian Ruf

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Bücherkiste, zAufi

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[caption id="attachment_175986" align="aligncenter" width="499"]Christian Ruf. Foto: hw Christian Ruf. Foto: hw[/caption]

Über Christian Ruf:

Christian Ruf wurde 1963 in München geboren und hat Geschichte sowie Politologie in München und Bonn studiert. Bereits vor dem Mauerfall reiste er mehrmals in die DDR, nach Polen und in die Sowjetunion. Nach der Wende zog er nach Sachsen um. Heute ist er als freier Journalist mit den Schwerpunkten Kultur und Geschichte in Dresden tätig, wenn er nicht gerade in anderen Ecken der Welt unterwegs ist.