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Sachsen stellen automatischen Krebs-Fahnder vor

Ein Modaplex-Analysegerät. Foto: Biotype GmbH

Ein Modaplex-Analysegerät im Test. Foto: Biotype GmbH

„Biotype“ will mit „Modaplexen“ die individuelle Tumor-Gendiagnostik auf neue Stufe heben

Dresden, 27. September 2023. Neue molekular-diagnostische Analysegeräte aus Sachsen sollen die Früherkennung und Therapieauswahl bei Gebärmutter-, Darm- und anderen Krebsarten demnächst deutlich beschleunigen und genauer machen. Nach dreijähriger Entwicklung hat die Dresdner Biotechnologie-Firma „Biotype“ dafür nun ein „Modaplex“-Tischgerät vorgestellt. Das kann mit einer einzigen Blut- oder Gewebe-Probe innerhalb von vier Stunden zahlreiche genetische Erkennungszeichen („Biomarker“) für Tumore im Erbgut des Patienten oder der Patientin entdecken. In späteren Geräte-Generationen soll es sogar möglich sein, die Proben in einem Durchlauf gleich auf mehrere Krebsarten zu durchforsten.

Komplex-Befund über Nacht

„Statt tagelang auf Einzelbefunde aus vielleicht sogar verschiedenen Laboren zu warten, bekommt der behandelnde Arzt durch unser Gerät über Nacht gebündelt alle Ergebnisse“, erklärt Biotype-Chef Norman Gerstner. Zudem könne der Onkologe anhand der entdeckten Biomarker rasch eine genau auf den Patienten oder die Patientin zugeschnittene Individual-Therapie beginnen – was letztlich die Heilungschancen verbessert.

Paradigmenwechsel hin zur Behandlung von Individuen statt von Krankheiten

„In der Medizin ist derzeit im Paradigmenwechsel im Gange“, erläutert der Biologe Gerstner. Möglich sei dies durch enorme Fortschritte in den Behandlungsmethoden, aber auch in der molekularen Präzisionsdiagnostik. Die könne immer mehr genetische Indikatoren für ganz verschiedene Tumore, aber auch Hinweise auf viele Infektionskrankheiten identifizieren. Ein Beispiel dafür war die rasche Verfügbarkeit von Corona-Tests. „Zudem sind die Therapiemöglichkeiten für viele komplexe Krankheiten regelrecht explodiert.“ Auch ist ein tieferes Verständnis gewachsen, welche individuellen genetischen Veranlagungen und Auslöser für bestimmte Krankheiten es eigentlich gibt – und was Mediziner im Einzelfall dagegen tun können. Die Folge: „Während sich Behandlungen bisher an Krankheiten orientiert haben, wird nun das Individuum behandelt“, sagt Gerstner.

Gerät soll Präzisionsdiagnosen auch für kleinere Labore erschwinglich machen

Und hier will Biotype nun eben die Diagnosemöglichkeiten sowohl in Spitzenlaboren in der Forschung, aber auch in kleineren Laboren auf dem Lande auf eine neue Stufe heben: Hatte sich das Unternehmen früher auf einzelne molekulardiagnostische Test-Pakete konzentriert, für deren Labor-Einsatz es besonders geschulten Personals und spezieller, oft recht teurer Geräte bedurfte, bauen die Sachsen nun eigene Komplex-Analysesysteme. Die kombinieren optische, genetische und chemische Untersuchungsverfahren wie die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und die Kapillarelektrophorese, um Proben in einem Zuge auf zahlreiche verdächtige Biomarker zu testen. Ein eigens dafür entworfene Software wertet die daraus generierten Daten dann aus und bereitet sie für die Fachärzte auf.

Eine eigens dafür entwickelte Software wertet die Biomarker-Daten vom Modaplex aus. Foto: Biotype GmbH

Eine eigens dafür entwickelte Software wertet die Biomarker-Daten vom Modaplex aus. Foto: Biotype GmbH

Irgendwann kommt auch der Universal-Krebstester

Die Molekulardiagnostik und Geräte-Konzepte hat Biotype nach und nach verbessert, bis das System serienreif war. Die nun vorgestellten Modaplexe können unter anderem Gebärmutter- und Darmkrebs erkennen. Die nächsten Generationen sollen dann auch Anzeichen für Blasen-, Lungen- und andere Karzinome im Erbgut des Patienten finden. In weiterer Zukunft seien sogar Geräte denkbar, die anhand einer einzigen Probe jede mögliche Krebsart herausfinden können, die im Erbgut eines Menschen lauert, meint der Biotype-Chef. „Irgendwann wird das möglich sein“, ist Gerstner überzeugt.

Produktion übernimmt Auftragsfertiger aus Chemnitz

Aber nun steht erst mal der Bau erster Serien an. Die Produktion der Modaplexe hat der Chemnitzer Auftragsfertiger „IMK“ übernommen, der bisher unter anderem für Automobilbauer tätig war. „Unser Partner kann sowohl kleine Serien herstellen als auch – worauf wir natürlich hoffen – große Stückzahlen“, betont Wilhelm Zörgiebel, der die Biotype-Muttergesellschaft „Molecular Diagnostics Group“ (MDG) in Dresden-Hellerau leitet. Verkaufen wollen die Dresdner ihre Modaplexe dann an regionale Medizin-Labore, Krankenhaus-Pathologieabteilungen, aber auch an Forschungseinrichtungen.

Die Biotype-Chefs Wilhelm Zörgiebel (rechts, 67) und Felix Zörgiebel (36) begutachten im Reinraum eine Modaplex-Anlage. Foto: André Wirsig für Biotype

Die Biotype-Chefs Wilhelm Zörgiebel (rechts) und Felix Zörgiebel haben auf dieser Archivaufnahme im Reinraum eine frühere Version der Modaplex-Anlage gezeigt. Foto: André Wirsig für Biotype

Vom genetischen Fingerabdruck für die Kripo bis zur Präzisionsdiagnostik

„Biopotype“ selbst wurde 1999 gegründet, entwickelte zunächst DNS-Tests für die Kriminalpolizei, spezialisierte sich dann aber mehr und mehr auf die molekulare Präzisionsdiagnostik von Krebs und Infektionskrankheiten. Die Dresdner hatten unter anderem während der Corona-Krise in kurzer Zeit eine Großproduktion von Covid19-Testsets aufgebaut. Mit dem Modaplex steigt Biotype nun ins Systemgeschäft ein – und hofft auf erhebliche Wachstumsschübe: „Der weltweite Markt für Molekulardiagnostik hat 2023 knapp 17 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet, wovon die molekulare Präzisionsdiagnostik circa ein Drittel ausmacht“, berichtet Biotype-Vermarktungschefin Manja Böhme. „Dieser Markt wird in den nächsten fünf Jahren jährlich im zweistelligen Prozentbereich wachsen.“

Regionale Bio- und Medizintech-Gruppe gewachsen

Zur Dachgesellschaft MDG gehören neben „Biotype“ außerdem die auf Diagnostik-Programme spezialisierte Softwareschmiede „Qualitype“ sowie der Radiopharma-Hersteller und Theragnostik-Entwickler „Rotop“ in Dresden-Rossendorf. Insgesamt beschäftigt dieser sächsische Biotech und Pharma-Verbund rund 300 Mitarbeiter und realisierte zuletzt einen Jahresumsatz von zirka 35 Millionen Euro. In jüngster Zeit habe die Gruppe rund 43 Millionen Euro in Dresden investiert. Weitere Investitionen, vor allem bei Rotop, seien bereits in Planung, kündigte Zörgiebel an. Er will nach und nach aus seiner familiengeführten MDG einen auch international aktiven Spitzenakteur formen, der sich vor allem auf moderne Individual-Diagnostik und -Therapie sowie deren Fusion in der Theragnostik fokussiert.

MDG-Chef Zörgiebel: Allein kann an so etwas gar nicht schaffen

Dafür haben er und seine Mitstreiter auch Bündnisse mit dem Uniklinikum Dresden, den Max-Planck-, den Fraunhofer-Instituten und weiteren Forschungseinrichtungen geschmiedet, um biotechnologische und medizinische Innovationen zügig in die Praxis zu transferieren. Ohne die starke Forschungsumfeld in Dresden und Leipzig wäre solch eine Entwicklung in einer wettbewerbs- und kostenintensiven Branche wie der medizinischen Biotechnologie gar nicht denkbar, daran hat Zörgiebel keinen Zweifel: „Als Mittelständler kann man so etwas gar nicht allein gar nicht schaffen, dafür brauchen wir immer Partner.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Auskünfte MDG, Biotype, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt