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Universale Recycling-Testfabrik für Elektronikschrott in Freiberg geplant

Testanlage fürs Elektronikschrott-Erkennen bei Helmholtz Freiberg. Foto: Heiko Weckbrodt

Testanlage fürs Elektronikschrott-Erkennen bei Helmholtz Freiberg. Foto: Heiko Weckbrodt

Helmholtz will in 108 Millionen Euro teurer „Flexiplant“ per Roboter, Sensoren und KI Wertstoffe automatisch zurückgewinnen

Freiberg, 18. September 2023. Angesichts wachsender Elektronikschrott-Berge wollen Helmholtz-Forschungsteams im sächsischen Freiberg eine „Flexiplant“ einrichten. In dieser Pilotfabrik möchten sie mit moderner Sensortechnik, Robotern und Künstlicher Intelligenz (KI) vorexerzieren, wie sich Müllströme aus ganz unterschiedlichen elektronischen und elektrischen Geräten vom Smartphone bis zum Kühlschrank hochautomatisch verwerten lassen. Das hat Prof. Karl Gerald van den Boogart angekündigt, der in Personalunion an der Bergakademie Freiberg und im Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie (HIF) forscht. Anlass war ein Besuch von Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) in Freiberg.

Pilotanlage soll „Recycling 4.0“ vorexerzieren

Die „Flexiplant“ sei als vollautomatische Pilotanlage für eine flexible physische Aufbereitung konzipiert, erklärte van den Boogart, der als Mathe-Professor an den komplexen Modellen für die Elektronikmüllerkennung arbeitet. „Wir wollen hier zeigen, wie Recycling 4.0 funktioniert.“

Die Illustration zeigt das Recycling-Potenzial, das in einem Laptop steckt. Visualisierung: Sander Münster für das HZDR

Die Illustration zeigt das Recycling-Potenzial, das in einem Laptop steckt. Visualisierung: Sander Münster für das HZDR

Die Investitionen, um eine alte Halle hinter dem HIF entsprechend umzubauen und auszurüsten, sowie weitere Begleitkosten schätzen die Projektpartner vom HIF-Mutterinstitut, dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) und von der Bergakademie auf 108 Millionen Euro. Dafür wollen sie Fördergelder vom Bund beantragen.

Erklärvideo des HZDR
zur Flexiplant:

Denn das Vorgaben ist anspruchsvoll und soll mehrere neuere technologische Ansätze zusammenführen. Bisher wird Elektro- und Elektronikschrott – soweit er überhaupt die richtigen Recycling-Anlagen erreicht und nicht in Kellern, auf Müllhalden und in Verbrennungsöfen landet – meist teils händisch, teils mechanisch zerkleinert. Eine sortenreine Trennung einzelner Metalle und Kunststoffe ist damit nicht möglich.

Probe mit Elektroschritt aus einem zerkleinerten Kühlschrank. Helmholtz-Freiberg-HIFFoto: Heiko Weckbrodt

Probe mit Elektroschritt aus einem zerkleinerten Kühlschrank. Helmholtz-Freiberg-HIF
Foto: Heiko Weckbrodt

Deutsche werfen jährlich eine Million Tonnen Elektronikschrott weg

Und dahinter stehen erhebliche Müllmengen: Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden geht davon aus, dass in Deutschland jährlich über eine Million Tonnen Elektro- und Elektronikgeräte in den Abfallsammelstellen landen, Tendenz: steigend. Europaweit sind es sogar 4,7 Millionen Tonnen. Soviel E-Schrott nur teilweise zu verwerten, gilt einerseits als große Last für die Umwelt, andererseits aber auch als Ressourcenverschwendung. Denn gerade in alten elektronischen Geräten stecken viele strategisch wichtige Rohstoffe, die Deutschland nur in begrenzten Mengen selbst fördern kann oder komplett importieren muss. Dazu gehören Gold, Platin, Kupfer, Kobalt, Lithium, Silber und dergleichen mehr.

Zusammenspiel aus Hyperspektralaugen, Laseraugen, Robotern und Künstlicher Intelligenz

Um diese Wertstoffe künftig effizient und treffsicher in hochautomatisierten Müllfabriken zu trennen und für die Produktion neuer Hightech-Geräte aufzubereiten, setzen die Freiberger Forscherinnen und Forscher auf ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Technologien: Die E-Geräte werden erst vordemontiert und dann auf Fließbänder geschoben. Dort mustern Hyperspektral-Augen, Laser-Höhenmesser, Kameras, Infrarot- und andere Sensoren die Kleingeräte, Platinen und anderen E-Komponenten. Die Hyperspektral-Anlagen zum Beispiel strahlen den Müllstrom an und können aus der Zusammensetzung des zurückgesandten Lichts recht genau die stoffliche Zusammensetzung des Elektronikabfalls auf dem Fließband ermitteln. Danach begutachten Roboter mit Sensorköpfen die Bauteile aus der Nähe, um die Stoffanalysen zu verfeinern. Die Laser wiederum helfen den Sensoren, die Höhe der einzelnen Schrottteile abzuschätzen. Künstliche Intelligenzen werten dann die Sensordaten aus und steuern die Zerkleinerungswalzen weiter hinten an, wie fein sie den nahenden Müllstrom zermahlen müssen, um Seltene Erden, Edelmetalle, Kunststoffe und andere Materialien freizulegen. Die Krümel werden dann durch Luftdüsen, Magnete und andere Vorrichtungen vom Fließband geholt und getrennt. Auch Flotations-Prozesse und andere chemisch-physikalische Recycling-Stufen sind möglich.

Auch mit Flotationsanlagen wie hier bei Helmholtz-Freiberg lassen sich verschiedene Stoffe trennen. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch mit Flotationsanlagen wie hier bei Helmholtz-Freiberg lassen sich verschiedene Stoffe trennen. Foto: Heiko Weckbrodt

Anlage soll 90% der bisher verlorengegangenen Rohstoffe in Stoffkreislauf einspeisen

Unterm Strich erhalte man so lernfähige Systeme, die E-Abfall hochrein aufbereiten können, verspricht van den Boogart. „Dadurch können bis zu 90% der bisher verlorengegangenen Rohstoffe dem Stoffkreislauf wieder zugeführt werden“, heißt es von den Helmholtz-Wissenschaftlern. Vor allem aber könne sich solch ein Recycling-Werk flexibel auch neuen Müllarten anpassen – daher auch der Projektname „Flexiplant“. Interessant sei das Konzept auch für die Hersteller elektronischer und elektrischer Geräte, weil sie so bereits vorab die Recyclingfähigkeit und die ökologische Bilanz ihrer neuen Produkte zertifizieren können.

Auch Autoindustrie zeigt Interesse

Im Labormaßstab funktioniert dies bereits, das haben die HIF-Teams bereits im kleinen Maßstab nachgewiesen. Nun soll mit der geplanten „Flexiplant“ eine größere Pilotanlage folgen, die diese Prinzipien in größerem Maßstab mit ganz unterschiedlichen Müllströmen praxisnah erprobt. Und dabei stehen nicht nur alte Toaster, Handys, Laptops oder Kühlschränke auf der Freiberger Agenda: Sie sehen auch Chancen, ihre Technologie auf alte Solarpaneele und andere energietechnische Anlagen auszuweiten. Zudem bereiten sie bei Leipzig gemeinsame Versuche mit der Autoindustrie vor, wie sich ganze Kraftfahrzeuge schreddern und dann besser als bisher wiederverwerten lassen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Auskünfte van den Boogart, HIF, Wikipedia, Destatis, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt