Millisekunden-Technik soll Unfälle vermeiden helfen. Die Uni plant nun eine Firmengründung.
Dresden, 19. August 2020. Ingenieure und Ingenieurinnen der TU Dresden haben innovative Modulatoren entwickelt, die zehnmal schneller reagieren als die bisher modernsten Geräte für den Mobilfunk der 5. Generation (5G). „Wir haben ein 5G-Modem gebaut, das die Latenzen auf eine Millisekunde drückt“, informierte Professor Gerhard Fettweis vom Vodafone-Lehrstuhl für mobile Kommunikationssysteme an der TU Dresden. Geplant sei, ein Unternehmen aus der Uni auszugründen, das diese innovative Technik zur Marktreife führt und kommerzialisiert. „Wir sind aber noch in der Vorgründungsphase“, betonte der Professor
Kurze Reaktionszeiten wichtig für Kobots, vernetzte Autos, VR-Klassenfahrten und 5G-Spiele
Derartige Modems dürften auf großes Interesse in der Industrie stoßen. Denn erst wenn funkvernetzte Datenbrillen, Roboterautos, Fernsteuerungen und andere Geräte binnen höchstens einer Millisekunde (ms = Tausendstel Sekunde) auf Benutzereingaben oder Umweltsignale reagieren, empfinden Menschen keine spürbare Verzögerung mehr. Erst mit solchen reaktionsschnellen Empfängern werden beispielsweise virtuelle Klassenfahrten mit Echtzeit-Interaktionen zwischen den Schülern oder 5G-vernetzte Spiele in virtuellen Welten ohne Schwindelgefühle möglich. Noch wichtiger ist solche Technik für vernetzte und autonom fahrende Autos sowie für kollaborative Roboter (Kobots), die zusammen mit Menschen arbeiten. Denn hier kann jede Millisekunde Reaktionszeit zuviel zu folgenschweren Unfällen führen.
LTE ist zu lahm – und heutiges 5G auch
Ältere Mobilfunk-Systeme wie LTE reagieren jedoch in der Praxis meist nur mit Verzögerungen (Latenzen) um die 50 bis 100 Millisekunden. Und das war auch einer der Gründe, warum die Industrie so scharf auf 5G ist und ihn als kleine Revolution feiert: Der neue Mobilfunkstandard kann die Reaktionszeit von Mobilfunk-Signalen theoretisch auf nur noch eine Millisekunde drücken. „Gerade für Industrieanwendungen sind geringe Verzögerungen bei gleichzeitiger hoher Verlässlichkeit unabdingbar“, schätzte beispielsweise Bernhard Niemann vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) ein. Mit 5G könnten „zeitkritische Prozesse in industriellen Umgebungen besser gesteuert und optimiert werden können als mit der heutigen Mobilfunktechnologie“.
In der Praxis allerdings kommen heutige 5G-Systeme meist nur auf zehn bis 30 Millisekunden Reaktionszeit. 5G-Mitentwickler Prof. Fettweis und sein Team haben deshalb nicht locker gelassen und schließlich ein 5G-Millisekunden-Modem konstruiert. Von diesem Prototypen sollen in der neuen Ausgründung die Ideen und die damit gesammelten Erfahrungen in ein marktfähiges neues Produkt einfließen, erklärte Prof. Fettweis.
5G-Guru verspricht bessere Ernten
„Damit kommen wir auch zu einer ganz neuen Landwirtschaft“, prognostizierte der TU-Professor. Mit solcher 5G-Technik ausgestattete Erntemaschinen können beispielsweise in Echtzeit den Reifefortschritt in den Ackerfurchen auswerten. „Wenn die Maschinen nur noch die reifen Pflanzen ernten und die unreifen stehenlassen und auch viel gezielter düngen, dann wird das zu einer enormen Ertragssteigerung führen“, ist Fettweis überzeugt. Gemeinsam mit Praxispartnern richten Forscher von TU und Fraunhofer Dresden derzeit Testfelder in der Lausitz ein. Dort wollen sie die 5G-vernetzte und hochautomatisierte Agrarwirtschaft in der bäuerlichen Praxis ausprobieren. Parallel dazu soll die ausgegründete Firma die ultraschnellen 5G-Modems weiterentwickeln.
URLLC bohrt ab 2022 den 5G-Standard auf
Die neue 1-ms-Technik heißt „Ultra Reliable and Low Latency Communications” (URLLC), übersetzt „ultra-zuverlässige Niedriglatenz-Kommunikation“. Sie soll ab 2022 als „Zusatzfähigkeit“ den 5G-Standard erweitern – als Zwischenstufe zum Mobilfunk der 6. Generation (6G), an der auch Dresdner Forscher bereits arbeiten.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: TUD – Vodafone-Lehrstuhl, Vor-Ort-Termin Ceti, Fraunhofer-IIS, Oiger-Archiv
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