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Dresdner Ingenieure reanimieren den Geist von Piet Mondrian

Ingenieure und Besucher testen im Mondrian-Raum im Barkhausen-Institut Dresden aus, wie sich abstrakte Entwürfe variieren lassen - und was passiert, denn der Datenschutz bröckelt. Das Zimmer ist teil des "Open Labs". Foto: Robert Arnold für die LHD

Ingenieure und Besucher testen im Mondrian-Raum im Barkhausen-Institut Dresden aus, wie sich abstrakte Entwürfe variieren lassen – und was passiert, denn der Datenschutz bröckelt. Das Zimmer ist teil des „Open Labs“. Foto: Robert Arnold für die LHD

Mit einem „Open Lab“ wollen Barkhausen-Forscher der TU Dresden einen heißen Draht zwischen Wissenschaftler und Laien spannen.

Dresden, 22. Juli 2020. Viele Grundlagenforscher finden nur mühsam den rechten Draht zum „nur“ allgemeingebildeten Bürger, der letztlich ihre Arbeit bezahlt. Beim noch jungen Barkhausen-Institut der TU Dresden liegt die Populärkommunikation dagegen quasi in den Genen: Die Idee, mit Laien allgemeinverständlich über ein sichereres Internet, verlässliche Roboter und digitale Laster-Horden ins Gespräch zu kommen, wurde von Anfang an in die Organisation und Innenarchitektur des 2018 gegründeten Instituts eingebettet.

Barkhausen-Institut Dresden: Tiphaine Cattiau führt im Mondrian-Zimmer eine Installation vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Barkhausen-Institut Dresden: Tiphaine Cattiau führt im Mondrian-Zimmer vor, wie sich die Modrian-Entwürfe mit modernen Schnittstellen verändern lassen. Foto: Heiko Weckbrodt

Offenes Labor soll auch Ängste vor 5G & Co. abbauen

Eigens dafür haben die Wissenschaftler um Professor Gerhard Fettweis und Dr. Tim Hentschel ein offenes Labor in der alten Bienert-Villa an der Würzburger Straße gegründet, wo das Institut derzeit residiert. Besonders spektakulär ist in diesem „Open Lab“ das Mondrian-Zimmer: Dr. Tiphaine Cattiau führt dort Besuchern in einer multimedial-interaktiven Schau vor, wie dieser Raum ursprünglich wirken sollte. Und sie zeigt, wie moderne Digitaltechnologien verpasste Chancen der Vergangenheit mit unserer Gegenwart überlagern können.

Mäzenatin Ida Bienert wollte von Mondrian ein modernes Damenzimmer

Denn 1926 hatte die Dresdner Mäzenatin Ida Bienert den niederländischen Expressionisten Piet Mondrian gebeten, ihr Zimmer in der Bienertvilla zu gestalten. Mondrian skizzierte zwar tatsächlich, wie er den Raum in zahlreiche farbige Flächen gliedern wollte. Doch nach Dresden kam er nie und das Projekt bliebt unvollendet – bis jetzt: „Als Ingenieure nähern wir uns den Ideen von Mondrian auf eine eigene Weise“, erklärt Cattiau, die mit ihrem „Open Lab“ im Barkhausen-Institut neue Wege der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft auslotet. „Wir realisieren seine Entwürfe als Lichtinstallation, die zugleich unsere Arbeit veranschaulicht.“

Das Barkhausen-Institut der TU Dresden residiert übergangsweise in der Bienert-Villa. Foto: Heiko Weckbrodt

Das Barkhausen-Institut der TU Dresden residiert übergangsweise in der Bienert-Villa. Foto: Heiko Weckbrodt

Besucher können die Entwürfe des Expressionisten variieren

Denn die Besucher sehen hier nicht nur die per Beamer an die Wände geworfenen Abstraktionen, wie sie sich Mondrian für ein modernes Damenzimmer ausgedacht hatte. Vielmehr können experimentierfreudige Gäste mit Mensch-Maschinen-Schnittstellen, wie sie Dresdner Forscher auch für künftige Roboter und das „Internet der Dinge“ erproben, die Entwürfe des Meisters variieren, ihnen eine ganz eigene Dynamik verleihen, den abstrakten Geist Mondrians gewissermaßen wiederbeleben. An der Kreuzung zwischen Kunst und Ingenieurgeist visualisiert diese Installation aber auch, was passiert, wenn Datenschutz und Datensicherheit wackeln, wenn die Feuermauer des Privaten bröckelt: Dann nämlich werden handschriftliche Briefe und andere persönliche Aufzeichnungen von Mondrian sichtbar.

Hockey-Spiel im "Open Lab" des Barkhausen-Instituts Dresden: Links lassen sich die Latenzzeiten in den Stufen des 3G-, 4G- und 5G-Mobilfunks einstellen - und damit die Reaktionszeiten des Roboter-Torwarts. Foto: Robert Arnold für die lHD

Hockey-Spiel im „Open Lab“ des Barkhausen-Instituts Dresden: Links lassen sich die Latenzzeiten in den Stufen des 3G-, 4G- und 5G-Mobilfunks einstellen – und damit die Reaktionszeiten des Roboter-Torwarts. Foto: Robert Arnold für die lHD

Mit 3G-Funk hat der Roboter-Torwart keine Chance

Daneben haben sich die Forscher allerlei Spiele ausgedacht, um ihre Arbeit – im wörtlichen Sinne – „begreifbar“ zu machen: Ein 5G-Eishockey zum Beispiel, an dem Spieler und Spielerinnen ausprobieren, wie reaktionsschnell oder wie träge ein Roboter-Torhüter auf heranrasende Pucks reagiert – je nachdem, ob seine künstlichen Augen und sein „Hirn“ nur über lahme 3G- und LTE-Verbindungen oder über latenzarmen 5G-Funk gekoppelt sind.

Platooning-Rennbahn im Barkhausen-Institut: Foto: Heiko Weckbrodt

Platooning-Rennbahn im Barkhausen-Institut. Foto: Heiko Weckbrodt

Und im Obergeschoss des Lichthofs haben die Ingenieure eine Spiel-Rennstrecke aufgebaut. Dort demonstrieren sie die „Platooning“-Technologie, die künftig deutsche Autobahnen entlasten soll: Dabei rasen vernetzte, robotergesteuerte Lastkraftwagen mit hoher Geschwindigkeit, aber nur wenigen Zentimeter Abstand wie ein dichtmarschierender Soldaten-Zug („Platoon“) hintereinander über die Piste. Visionäre wie der Elektroauto-Unternehmen Elon Musk und die Dresdner Barkhausen-Forscher wollen damit in Zukunft Staus vermeiden, den Straßenraum effektiver ausnutzen und den Gütertransport beschleunigen.

Ab Herbst 2020 im Schaufenster der Wissenschaft

Zwar hatte die Corona-Krise das „Open Lab“ in diesem Frühjahr etwas ausgebremst. Viele Spiele und Experimente wollen die Forscher aber ab September 2020 im neuen „Schaufenster der Forschung“ in den Technischen Sammlungen Dresden präsentieren, auch im städtischen „Juniordoktor“-Programm sowie während der virtuellen Tagungsmessen „5G Summit“ und „Connect EC“. „Weitere Kooperationen mit Dresdner Einrichtungen sowie Schulen sind in Planung für das Jahr 2021“, kündigte Tiphaine Cattiau an.

Prof. Gerhard Fettweis. Foto: Amac Garbe für die TU Dresden

Prof. Gerhard Fettweis. Foto: Amac Garbe für die TU Dresden

„Roboter dürfen keine Ohrfeigen verteilen“

„Wir wollen mit unserem ,Open Lab’ einen Diskurs zwischen Forschung und Öffentlichkeit eröffnen“, erklärt Fettweis. „Damit möchten wir auch Ängste vor Robotern, 5G und anderen Technologien wegnehmen.“ Denn ein Thema, an dem das Institut arbeitet, sind beispielsweise hochzuverlässige Roboter für die Digitalära, in der solche künstlichen Helfer immer mehr im Alltag zu sehen sein werden. „Die dürfen dann nicht anfangen, Menschen Ohrfeigen zu verteilen oder ähnlichen Unsinn anstellen.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Termin Barkhausen-Institut, TUD, Oiger-Archiv, Anfrage Open Lab, Wikipedia

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt