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Upgrade zum Übermenschen

Wo endet der Mensch, wo beginnt die Maschine? Szenenfoto aus der Neuverfilmung des Cyborg-Thrillers "Robocop". Abb.: MGM

Wo endet der Mensch, wo beginnt die Maschine? Szenenfoto aus der Neuverfilmung des Cyborg-Thrillers „Robocop“. Abb.: MGM

Technikphilosoph Prof. Wiegerling warnt vor einer Zukunft, in der die Gesellschaft in reiche „Verbesserte“ und arme Bio-Menschen gespalten sein könnte

Prof. Klaus Wiegerling. Foto: KIT-ITAS

Prof. Klaus Wiegerling. Foto: KIT-ITAS

Dresden/Karlsruhe, 10. Januar 2015. Medizinischer technischer Fortschritt mag eine tolle Sache sein: Eingepflanzte Herzschrittmacher zum Beispiel verlängern das Leben Hunderttausender Herzkranker signifikant, Brillen lassen die Blindfische unter uns wieder sehen, Hörgeräte die Schwerhörigen wieder an Alltagskommunikation teilhaben, Keramik-Implantate die Lahmen wieder laufen. Doch was, wenn sich diese Entwicklung immer weiter fortsetzt und nicht mehr nur nach Ersatz, sondern auch nach Verbesserung trachtet? Gibt es eine Grenze des Menschseins, des Individuums, das sich mit allzu vielen Implantaten aufgerüstet hat? Diesen Fragen ist Prof. Klaus Wiegerling in dieser Woche in Dresden nachgegangen. Auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung erörterte der Philosoph vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (KIT-ITAS) aus Karlsruhe im Stadtmuseum vor Publikum die „Grenzen von Leib und Leben“ erörtert – und erntete trotz des anspruchsvollen Diskurses viel Aufmerksamkeit und Beifall.

Ist Googles Datenbrille der erste Schritt zum Cyborg?

Die Vorstellung, der Mensch könne sich durch technologische Implantate zu einem „verbesserten“ Cyborg, einem halb organischen, halb technischen Wesen weiterentwickeln, mag auf den ersten Blick utopisch oder vielmehr dystopisch klingen, als ein Sujet aus Science-Fiction-Filmen wie „Robocop“, „Star Trek“ oder „Doctor Who“. Und doch erscheint es angesichts des medizinisch-technischen Fortschritts sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, welche ethischen, psychologischen und sozialen Konsequenzen dieser Fortschritt haben kann, ob wir ihn überhaupt wollen. Denn: Wie groß ist beispielsweise der Unterschied zwischen einer gewöhnlichen Brille, die bloße Weitsichtigkeit ausgleicht, und den neuen Datenbrillen von Google, Fraunhofer & Co., die dem Träger eine ausdrücklich „erweiterte Realität“ (Augmented Reality = AR) vor Augen führen? Handwerklich-technologisch ist der Unterschied zwischen beiden Brillen kaum ein fundamentaler, eher ein nuancierter. Oder, wie Technikphilosoph Wiegerling mit Blick auf Prothesen und Implantate meint: „Die Grenze zwischen der Wiederherstellung von verlorenen Vermögen und deren Verbesserung ist fließend.“

Vor allem Männer interessieren sich für die Google-Datenbrille. Foto: Google

Senior mit Google-Datenbrille. Foto: Google

Arm-Prothesen könnten in naher Zukunft stärker als die Originale sein

Denken wir das Beispiel des eingepflanzten Herzschrittmachers etwa weiter: Was wäre, wenn wir das Gerät nicht nur so programmieren, dass es Aussetzer des Herzens beziehungsweise Kammerflimmern verhindert, sondern mit seinen elektrischen Impulsen das Herz und den Menschen zu höheren Leistungen anregt? Und auch wenn die Medizintechnik bisher amputierte Arme und Beine nur durch unzulängliche Prothesen zu ersetzen versteht, so muss das angesichts des technischen Fortschritts nicht immer so bleiben. Wie weit ist dann der Weg bis hin zur gemeinsamen Entscheidung von Chirurg und finanzkräftigem Patienten, anstelle eines bloßen Ersatzes für die verunfallten Gließmaße einen verbesserten Arm einzusetzen, der den Patienten stärker macht als jeden anderen Menschen?

Der künftige 5G-Mobilfunk soll auch die Funkvernetzung von Exoskeletten über große Distanzen ermöglichen - ein Anwendungsbeispiel ist die Fern-Physitherapie. Foto: NASA

Experimentelle Exoskelette ermöglichen bereits heute Menschen übermenschliche Leistungen. Foto: NASA

Krankheit ist irrelevant

Und wir können den Faden noch weiter spinnen: Vorstellbar wäre dann auch bald ein Mensch, der aus vielen solchen Implantaten besteht, die ihn „verbessern“, ihn „aufrüsten“. „Er wird seinen Körper jederzeit umrüsten können und in einer biologisch-informatischen Werkstatt warten können“, sinniert Prof. Klaus Wiegerling. Für diesen „Menschen 2.0“ wären wahrscheinlich Krankheit und Schmerz irrelevante Größen. Er würde beispielsweise ganz andere Risiken als „normale“ Menschen eingehen, wäre doch jeder Fehlschlag, jeder Unfall durch einen Gang zum Cyborg-Chiurgen flickbar.

Ent-Individualisierung bei Transformation zum Cyborg

Dies aber führe zu wichtigen grundsätzlichen Fragen, so Wiegerling. Zum Beispiel: „Wie lange können wir menschliche Organe und Gliedmaßen substituieren, ohne dass der Mensch auch qualitativ einen Wandel erfährt? … Wäre die Rede von einem ,Menschen’ noch angemessen, wenn wir von einem Westen sprechen, das über andere Sinnesorgane verfügt, etwa solche, die Strahlenbelastungen spüren, und über andere intellektuelle Ressourcen…? Wann also wären wir bei einem ,Übermenschen’ oder ,Menschen 2.0’ angelangt?“ Und: In welchem Maße kann man überhaupt noch von einem Individuum sprechen, dass zu großen Teilen aus Implantaten aus einer Massenproduktion besteht, das nicht mehr altere, sondern nur noch „abnutze“, das stets im Jetzt lebe, aber für das Konzepte wie individuelle Vergangenheit und Zukunft fast jede Bedeutung verloren haben, da nahezu alles austauschbar geworden ist? „Es findet“, so prophezeit jedenfalls Technikphilosoph Wiegerling, „bei der Transformation des Menschen zum Cyborg eine Entindividualisierung statt“.

Exoskelette - hier ein Modell der TU Berlin - sollen die menschliche Kraft verstärken, vielleicht sogar Gelähmte wieder gehen lassen. Foto: TU Berlin

Foto: TU Berlin

Nicht jeder wird sich Verbesserung zum „Mensch 2.0“ leisten können

Und auch vor einer gefährlichen sozialen Dimension solch einer Entwicklung hin zum technologisch und biotechnisch „verbesserten“ Menschen warnt Wiegerling, vor einer neuen und noch elementareren Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, in „Biomenschen“ und „Verbesserte Menschen“ gewissermaßen: „Es ist denkbar, dass wir in den hoch technisierten Gesellschaften zwei soziale Gruppen haben werden, deren Menschsein sich körperlich fundamental unterscheidet. Auf der einen Seite werden Menschen stehen, die nicht zuletzt aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten bis ins hohe Alter vital und leistungsfähig sein werden und … auch ein enormes Wissen besitzen werden… Auf der anderen Seite wird die Masse derer stehen, die nur noch auf ein reduziertes, aber finanzierbares medizinisches Angebot wird zugreifen können. Sie werden früher altern… Wir werden dann zwei Menschentypen haben, die durch eine Kluft getrennt sind, die durch soziale Maßnahmen nicht zu überbrücken ist.“

Notiert von Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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