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Dresden: Erst Lichtgöttin, dann Turm als Wahrzeichen

Die Lichtgöttin an den früheren Ernemann-Kamerawerken in Striesen war das Sinnbild für eine aufstrebende Photo- und Filmtechnik-Industrie im Dresden der Kaiserzeit. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Lichtgöttin an den früheren Ernemann-Kamerawerken in Striesen war das Sinnbild für eine aufstrebende Photo- und Filmtechnik-Industrie im Dresden der Kaiserzeit. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Sonderausstellung „Zeitfenster“ in den Technischen Sammlungen reflektiert die Historie der Ernemann-Werke und Pentacon

Dresden, 29. Februar 2024. 100 Jahre Ernemann-Turm ist für die Technischen Sammmlungen Dresden Anlass für eine Sonderschau, die durch „Zeitfenster“ bis in die Boom-Zeit der sächsischen Kameraindustrie zurückschaut.

Die Bild-Ton-Maschine „Ernemann VII B“ war ab 1936 im In- und Ausland sehr gefragt. Foto: Deutsche Fotothek, Höhne, Erich & Pohl, Erich

Die Bild-Ton-Maschine „Ernemann VII B“ war ab 1936 im In- und Ausland sehr gefragt. Foto: Deutsche Fotothek, Höhne, Erich & Pohl, Erich

Um 1900 tuckerte die große Wohlstandsmaschine

Denn um die vorletzte Jahrhundertwende tuckerte die große Wohlstandsmaschine, der Kapitalismus, munter vor sich hin und gebar immer weitere Wunder. In aller Unschuld – noch. Nach der Periode der Textilien und der Eisenbahnen verhießen zu jener Zeit insbesondere Chemie und Elektrizität neue Reichtümer. Auf der Weltausstellung anno 1900 in Paris lief ein von Tausenden Glühbirnen illuminierter „Elektrizitätspalast“ allen anderen Sensationen den Rang ab. Licht war das Maß aller Dinge. Überall erhellten Glühbirnen die Dunkelheit (unsere Zeit, in der EU-Suchtrupps die Keller nach 100-Watt-Birnen ohne Aufenthaltsgenehmigung durchsuchen, weil die Glühbirne der Energiesparlampe zu weichen hat, war noch nicht angebrochen), in der der Malerei wimmelte es plötzlich von Lichtgöttinnen. Ein Ableger davon ist die Lichtgöttin, die Hans Unger (1872-1936), ein prominenter Künstler des Jugendstils, als erstes Logo für das Unternehmen von Heinrich Ernemann (1850-1928) entwarf.

Diese „Lichtgöttin“ zierte Produkte, Kataloge, Verpackungen, Plakate und Inserate sowie ab 1907 auch – in Form eines Großmosaiks – die Ecke des 1907 fertiggestellten Erweiterungsbaus der Ernemann-Werke, die heute die Technischen Sammlungen Dresden beherbergen. Die Schutzmarke sollte potenzielle Kunden davor bewahren, minderwertige Nachahmungen anstelle echter Ernemann-Kameras zu erwerben. Ab 1920 fand das Symbol der Lichtgöttin ausschließlich für die Fotoplatten aus dem eigenen Werk in Bannewitz Verwendung.

Turm der Ernemann-Werke vor rund 100 Jahren gebaut

Das gelbe Klinkergebäude des Erweiterungsbaus samt Turm entstand als Teil des Fabrikensembles, das Heinrich Ernemann zwischen 1898 und 1913 in mehreren Bauabschnitten errichten ließ, wie auf einer Texttafel in der Sonderausstellung „Zeitfenster“ vermittelt wird. Anlass der Schau: Der Turmbau der Technischen Sammlungen Dresden wurde 1923, vor etwas über 100 Jahren also, für die Erweiterung der Produktion von Kameras und Kinoprojektoren der Ernemann-Werke AG errichtet. Auf dem Rundgang durch das Museum laden hier und da „Zeitfenster“, sprich Bild-Text-Tafeln, dazu ein, sich mit der Geschichte des Hauses zu beschäftigen und Interessantes über das Gebäude und das Arbeitsleben in der Fabrik zu erfahren. Alles in allem sind es 15 Stationen, drei davon im Außenbereich, wie Vera Beyer, die Kuratorin der Schau, mitteilte.

Persönlicher Aufzug für den Direktor

Was vermittelt wird ist in vielerlei Hinsicht interessant, gerade auch (aber mitnichten nur) für historisch Interessierte. So wird über die hochwertige Gestaltung des Empfangsraums der Kamerafabrik eingegangen, mit der Besucher beeindruckt werden sollten. Der Terrazzo-Fußboden zeigt in der Mitte das ab 1920 von der Firma genutzte Markenzeichen in der Form eines Malteserkreuzes mit drei Armen. Auch die Wände sowie die Rahmen über den Holztüren greifen das Motiv auf, das ein mechanisches Bauteil in der Filmtechnik symbolisiert. Vom Stolz des Firmengründers zeugt die Bronzebüste von Heinrich Ernemann. In den angrenzenden Büros sind die Wände mit Nussbaum und eingefärbtem Ahorn vertäfelt. Dahinter verbergen sich Garderoben, Waschbecken und Regalsysteme. Ein Personenaufzug gestattete der Firmenleitung den direkten Zugang zu den Produktionsräumen in den oberen Etagen. Mit einem Umstieg war sogar die Aussichtsplattform auf dem Turm erreichbar.

Ursprünglich mit Sternwarte geplant

Einen solchen Turm gab es, weil Heinrich Ernemann bei der Planung des Fabrikneubaus anno 1912, sich einen hohen Turm mit einer Sternwarte als machtvolles Symbol seines unternehmerischen Erfolgs und des wissenschaftlichen Weltbildes wünschte. Doch hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht, in dem Fall den Gemeindevorstand der wenige Jahre zuvor errichteten Versöhnungskirche. Der protestierte entschieden, man wollte keinen Turm in nächster Nähe der höher war als der eigene. Am Ende blieb der Ernemann-Turm mit 48 Metern deutlich niedriger als der 62 Meter hohe Turm der Kirche. Gleichwohl ließ Ernemann der Gemeinde 1922 eine stattliche Spende zukommen, was schon insofern bemerkenswert ist, als es nicht zuletzt finanzielle Gründe waren, weshalb er auf die so sehnlich erwünschte Sternwarte verzichtete. Der Turm avancierte auch zum Wahrzeichen des VEB Pentacon, Nachfolger des Volkseigenen Betrieb (VEB) Kamera- und Kinowerke Dresden, zu dem die Mehrzahl der Dresdner Kamerafabriken 1959 zwangsvereinigt worden waren. Namenspaten von Pentacon waren, „wer wüsste es nicht, das als Sucher verbaute Pentaprisma und die Spiegelreflexkamera „Contax“.

Nach dem Vorbild amerikanischer Hochhäuser

Es waren die Architekten Prof. Emil Högg (1867-1954) und Prof. Dr.-Ing. Richard Müller (1877-1930) gewesen, die 1914 den von den Ernemann-Werken ausgelobten Wettbewerb zum Bau einer Fabrik für Foto- und Kinoapparate hatten. Ihr Entwurf sah einen Geschossbau aus Stahlbeton vor, mit großen Fensterflächen für helle Produktionsetagen und ein Turmhaus nach dem Vorbild amerikanischer Hochhäuser. Das neue Gebäude sollte um ein Vielfaches größer werden als der gerade erst fertiggestellte Fabrikbau Ernemanns auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Der bis 1923 errichtete Turm und die Gebäudeflügel an der Junghans- und der Schandauer Straße sowie der Anbau von 1938 an der Glashütter Straße blieben letztlich durchaus weit hinter den Plänen zurück. „Der Ernemann-Bau ist ein Fragment und doch ein imposantes Beispiel für die Industriearchitektur des frühen 20. Jahrhunderts“, wird festgehalten.

„Geist der neuen Zeit“

Das Presse-Echo war zwiespältig. Als „das erste Turmhaus in Dresden“ feierten ihn die Dresdner Neuesten Nachrichten. Högg und Müller hätten „einen schönen und charaktervollen Industriebau geschaffen, der den Ernemann-Werken und der ganzen Stadt zur Zierde gereicht.“ Das Neue Universum sprach sich zwar gegen „amerikanische Riesenhäuser“ in deutschen Städten aus, würdigte aber den Ernemann-Neubau als Beweis dafür, „dass ein solches Haus einer sonst öden Fabrikgegend hohen Reiz verleihen kann“. Diese Dresdner Kamerafabrik verkörpere „den Geist der neuen Zeit“.

Kameraproduktion, 60er Jahre / Montierte die Kameras, noch ohne Objektiv werden in die nächste Abteilung gebracht. Foto: Deutsche Fotothek, Erich Höhne & Erich Pohl

Kameraproduktion, 60er Jahre / Montierte die Kameras, noch ohne Objektiv werden in die nächste Abteilung gebracht. Foto: Deutsche Fotothek, Erich Höhne & Erich Pohl

Zeitweise bis zu 7000 Menschen beschäftigt

Nun arbeiteten, zu Spitzenzeiten Tausende von Leuten im Werk von Ernemann, wie Roland Schwarz, der Direktor der Technischen Sammlungen, mitteilte. „Zur Hochzeit von Pentacon in den 1980er Jahren waren es gut 7000 Beschäftigte“. Schon früh bildeten die Ernemann-Werke Nachwuchskräfte in den technischen Berufen für die Dresdner Foto- und Kinoindustrie aus. Dreher und Fräser gehörten genauso dazu wie Werkzeugmacher, Feinmechaniker und Feinoptiker. Die Lehrlinge begannen schon mit 14 Jahren nach Abschluss der 8. Klasse, seit Ende der 1950er Jahre dann nach der 10. Klasse. Die Ausbildung fand in speziellen Lehrwerkstätten statt, ein Teil des theoretischen Unterrichts sogar in einem Turmzimmer. Bis zum Ende der DDR waren auch Schüler aus dem Fabrikalltag nicht wegzudenken. Sie absolvierten dort alle 14 Tage den Polytechnischen Unterricht und lernten den Umgang mit Werkzeugen und Maschinen kennen. Unweigerlich dürften sich jüngere Besuchern wie wie auch solche aus den westlichen Bundesländern Fragen in den Kopf kommen. Fragen wie, ob da vorzugsweise niedere Arbeiten verrichtet wurden, einfach weil das geschulte Stammpersonal in Zeiten zunehmenden Arbeitskräftemangels genug zu tun hatte?

Ringtische entwickelt

Um arbeitstechnisch eher stupide und lange arbeitsintensive, weil unzählige Handgriffe erfordernde Arbeitsprozesse wie das Entgraten der Kamera-Gehäuse aus Aluminium oder auch das Bohren, Senken und Gewindeschneiden zu vereinfachen, entwickelte die Abteilung für Rationalisierungsmittelbau so genannte Ringtische. „Auf einem kreisrunden Gestell waren alle notwendigen Bearbeitungsmaschinen montiert“, ist auf einer Texttafel dazu lesen. Die eingespannten Kameragehäuse wurden nach dem jeweiligen Arbeitsschritt automatisch von Station zu Station gerückt. Nur zwei Personen waren nun noch für die Bedienung und die Qualitätskontrolle erforderlich. „Die drei zwischen 1966 und 1973 aufgestellten Ringtische waren bis zur Liquidation des Betriebes der ganze Stolz der Pentacon-Technologen“.

Mit der Tarnung als Kirchturm schützten die Mitarbeiter den Ernemann-Turm erfolgreich während der Bombenangriffe 1945. Foto: Technische Sammlungen Dresden

Mit der Tarnung als Kirchturm schützten die Mitarbeiter den Ernemann-Turm erfolgreich während der Bombenangriffe 1945. Foto: Technische Sammlungen Dresden

Auch Zwangsarbeiterinnen im Einsatz

Das dunkle NS-Kapitel in der Geschichte der Ernemann-Werke wird nicht unter den Teppich gekehrt. Es begann mit 13 Arbeiterinnen aus dem besetzten Polen – sie waren ab dem 27. November 1941 die ersten Zwangsarbeiterinnen. Die zur Zeiss Ikon AG gehörende Kamerafabrik produzierte fast ausschließlich Militärgüter für die Luftwaffe, vor allem Kreisel und Visiere. In den Betrieben der Zeiss Ikon AG in Dresden arbeiteten Ende 1944 über 2500 ausländische Arbeitskräfte, darunter fast 900 KZ-Häftlinge. Im Ernemann-Werk waren zu diesem Zeitpunkt 375 Frauen und Männer zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sie waren in Lagern auf der Winterbergstraße 153, der Hepkestraße 89 und der Bodenbacher Straße 152/154 untergebracht. Allein dort lebten in 53 Baracken bis zu 1850 Menschen. Die Dokumente belegen minimale Löhne und lange Arbeitszeiten, zudem Fluchtversuche, Schwangerschaften und Todesfälle.

Kurzinfo

  • Ausstellung: „Zeitfenster“
  • Öffnungszeiten: bis 20. Oktober 2024 jeweils Di – Fr 9 bis 17 Uhr, Sa/So/feiertags 10 bis 18 Uhr
  • Mehr Infos unter: www.tsd.de

Autor der Rezension: Christian Ruf

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Geschichte, News, zAufi

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[caption id="attachment_175986" align="aligncenter" width="499"]Christian Ruf. Foto: hw Christian Ruf. Foto: hw[/caption]

Über Christian Ruf:

Christian Ruf wurde 1963 in München geboren und hat Geschichte sowie Politologie in München und Bonn studiert. Bereits vor dem Mauerfall reiste er mehrmals in die DDR, nach Polen und in die Sowjetunion. Nach der Wende zog er nach Sachsen um. Heute ist er als freier Journalist mit den Schwerpunkten Kultur und Geschichte in Dresden tätig, wenn er nicht gerade in anderen Ecken der Welt unterwegs ist.