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Organische Winzlinge im Helm weisen Kradfahrern den Weg

Digades-Chef Tim Berger führt einen Motorradhelm mit eingeklinktem AR-Displaysystem vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Digades-Chef Tim Berger führt einen Motorradhelm mit eingeklinktem AR-Displaysystem vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Fraunhofer-Mikrodisplays aus Dresden in innovativen AR-Helmvisieren

Dresden, 28. September 2023. Der Nachwende-Aufschwung der sächsischen Mikroelektronik hatte jahrelang einen Schönheitsfehler: Anders als zu DDR-Zeiten, als Dresdner Chips auch gleich in der Region in Robotron-Computer, Fernseher, Herzschrittmacher und andere Endprodukte verbaut wurden, gab es nach der Wende kaum noch hiesige Konsumgüterproduzenten, die zum Beispiel Prozessoren, Speicher und Spezialschaltkreise aus den Dresdner Chipfabriken von AMD, Qimonda, Infineon & Co. brauchten.

Langsam formen sich wieder komplette Ketten vom Chip bis zum Endprodukt in Sachsen

Dieses Bild wandelt sich langsam: die GPS-Orter von „Racemap“ oder die Neurocomputer von Professor Christian Mayr beispielsweise gehen auf Chips zurück, die das Dresdner Globalfoundries-Werk hergestellt hat. Jüngstes Beispiel für solch eine geschlossene Wertschöpfungskette sind die Navi-Motorradhelme der Marke „Tilsberkvon „Digades“ aus Zittau: Sie spiegeln Kradfahrern während der Fahrt Navigationshinweise, das aktuelle Tempo und andere Informationen ein. War das bisher nur einfarbig möglich, kann Digades dafür dank des sächsischen Verbund-Projektes „Backplane“ nun auch mehrfarbige Visiere anbieten.

Bisher monochrom, künftig dank neuer organischer Mikrodisplays auch mehrfarbig: Die Tilsberk-AR-Systeme spiegeln in Motorradhelme Navi-Anweisungen ein. Foto: Digades / Tilsberk

Bisher monochrom, künftig dank neuer organischer Mikrodisplays auch mehrfarbig: Die Tilsberk-AR-Systeme spiegeln in Motorradhelme Navi-Anweisungen ein. Foto: Digades / Tilsberk

Die organischen Mikrobildschirme dafür hat das Dresdner Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) entwickelt und produziert, die Ansteuerelektronik hat Globalfoundries im Dresdner Norden produziert, das Helmvisier selbst hat ein zweiköpfiges Forscherteam in Dresden entworfen.

Ein Oled-Mikrobildschirm mit einer Silizium-Steuerelektronik, die wenig Strom verbraucht. Foto: Claudia Jacquemin für das Fraunhofer FEP

Ein Oled-Mikrobildschirm mit einer Silizium-Steuerelektronik, die wenig Strom verbraucht. Foto: Claudia Jacquemin für das Fraunhofer FEP

Backplane-Projekt: Vom Entwurf über Chipproduktion und Display bis zum Endprodukt

„,Backplane’ ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit von Forschungs- und Wirtschaftsakteuren und zielgerichteter Förderung in Sachsen“, meint Digades-Chef Tim Berger. „Erst dadurch wurde es möglich, Mikrodisplays zu schaffen, die für die Industrie wirklich interessant sind und deren Anforderungen entsprechen.“ Denn das neue Mikrodisplay ist einerseits mehrfarbig und hochauflösend, verbraucht anderseits auch nur wenig Strom, so dass es mit einer Batterie recht lange in den Helmen betriebsbereit bleibt. Die Navigations-Infos zieht es sich drahtlos vom Smartphones des Motorradfahrers. Ganz billig ist der Heimeinsatz mit rund 400 Euro allerdings nicht.

Uwe Vogel vom Fraunhofer-Institut FEP in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Uwe Vogel vom Fraunhofer-Institut FEP in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Nächtlicher Wildschwein-Warner geplant

Aber das ist wohl auch erst der Anfang. Künftig wollen Berger und sein Forschungspartner Dr. Uwe Vogel vom FEP die Mikrobildschirme in Richtung augmentierte Realität (AR) und Künstliche Intelligenz weiterentwickeln. Weil die organischen Winzlinge von Fraunhofer Dresden nämlich Displays und Sensoren in einem sind, wären in Zukunft auch im Visier eingespiegelte Warnungen vor drohenden Wildunfällen möglich. Infrarot-Augen sollen dann bei Nachtfahrten überwachen, ob beispielsweise aus dem nahen Wald ein Wildschwein angerannt kommt. Für solche komplexeren Bilderkennungs-Aufgaben wollen die Fraunhofer-Forscher ihren Mikrobildschirmen aber noch etwas mehr lokale Eigenintelligenz („Edge AI“) einpflanzen. Dafür planen sie gemeinsam mit Partnern wie Racyics Dresden spezielle KI-Chipsysteme (SoC).

Kurzvideo: Videos auf
monochromen Mikrodisplays
vom Fraunhofer-FEP (Video: hw):

Navi-Brillen auch für Holzfäller und Reha-Patienten interessant

Zudem rechnet Berger mit neuen Anwendungsmöglichkeiten für die AR-Bildsysteme etwa für Feuerwehrleute, die sich in verrauchten Häusern orientieren müssen, für Forstarbeiter, die Fäll-Kandidaten im Wald finden müssen, oder in der Industrie. Auch Uwe Vogel sieht noch viel Potenzial für seine organischen Mikrodisplays: Sie könnten beispielsweise die Reha von Uniklinik-Patienten visuell unterstützen, die nach einer Ohren-OP eben erst das Hören wieder erlernen. Ein französisches Unternehmen statte seine Fahrradfahrer-Sportbrillen auch schon mit AR-Mikrodisplays auf der Basis von Dresdner Fraunhofer-Mikrodisplays aus. Und ganz neue Einsatzfelder könnten sich aus dem nächsten geplanten Forschungsschritt ergeben: Vogel und sein Team wollen die Mikrodisplays nämlich halbdurchsichtig konstruieren – durch eine ultradünne siliziumbasierte Steuerelektronik. Durch den vom sächsischen Wirtschaftsministerium geförderten „Backplane“-Verbund seien nun eben innovative Mikrodisplay-Systeme möglich geworden, die viele neue Szenarien ermöglichen: „Dies möchten wir nun nutzen, um sie längerfristig mit sächsischen Herstellern in künftige Produkte zu überführen.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Fraunhofer FEP, Auskünfte Vogel, Berger, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt