Made in Saxony: Sport- und Hightech-Firmen aus Sachsen bauen GPS-Orter mit Chipbaukasten
Dresden, 13. September 2021. Beim Marathon, „Iron Man“ und anderen vielbejubelten Läufen wollen Sportler und Zuschauer möglichst genau wissen, wer sich gerade im allgemeinen Gewusel platziert hat. Dabei hilft seit einiger Zeit eine Kombination aus Künstlicher Intelligenz und moderner Halbleiter-Technologie. Gemeinsam mit sächsischen Mikroelektronik-Spezialisten hat das Dresdner Unternehmen „Racemap“ einen GPS-Orter („Tracker“) konstruiert. Dieses von einem sächsischen Technologie-Netzwerk entwickelte und produzierte Gerät meldet die die Position aller damit ausgerüsteten Läufer auf elektronischen Karten und in frei verfügbaren Apps – selbst bei Sportveranstaltungen mit Hunderten oder gar Tausenden Teilnehmern.
Früher verschwanden manche Teams für 40 Stunden komplett vom Radar
Ausgangspunkt der gemeinsamen Entwicklung von Racemap, Sensry, Globalfoundries, SMT und weiteren Partnern war eine gemeinsame Passion der „Racemap“-Gründer: Sie alle waren und sind begeisterte Freizeitläufer, ärgerten sich früher aber immer darüber, dass nur die Positionen der Spitzenläufer immer klar ermittelbar war – zumindest jenseits des Profi-Sektors. „Bei großen Wettbewerben verschwanden manche Teams für 40 Stunden komplett ,vom Radar’“, erzählt Ingenieur Konrad Treppe. „Für die Veranstalter war das in puncto Sicherheit ein Super-GAU.“ Und so tat er sich mit anderen laufbegeisterten Maschinenbauern sowie Programmierern zusammen. Gemeinsam entwarfen sie zunächst eine App, die auf dem Smartphone der Läufer installiert wird. Die App meldet dann stetig per Funk ihre Koordinaten an eine Software, die wiederum die Läuferpositionen auf einer Karte für die Veranstalter und die Zuschauer visualisiert.
Chinesische Lösung stieß bei großen Läufen an ihre Grenzen
Nachdem die neue Lauf-App beim „Dresden Marathon“ 2012 gut ankam, entwickelte das Team das System weiter und gründete 2018 die Firma „Racemap“. Die bot dann zunächst auch chinesische GPS-Tracker als Ortungslösung für all jene an, die keine Smartphones haben. Zudem hatte sich bald gezeigt: Die Sensortechnik von Mobiltelefonen ist doch zu ungebaut, wenn es um Zehntel- und Hundertstelsekunden im Spitzenfeld geht. Doch je größer die Läufe wurden, die die Dresdner mit ihrer Technik begleiteten, umso mehr zeigten sich auch die Schwächen der „chinesischen Lösung“: „Sie von Hand zu laden, einzulesen und so weiter, das ist bei zehn Trackern kein Problem“, erzählt Treppe. „Aber bei über 500 Läufern braucht man eine automatisierte Lösung. Aber da führte bei den chinesischen Trackern kein Weg rein.“
Sportfirma, Chipriese und Ausgründung schmieden Entwicklungsallianz
Und so verbündete sich „Racemap“ mit einem anderen jungen Dresdner Unternehmen: Die Chip-Designfirma „Sensry“ war Anfang 2019 aus einem sächsischen Gemeinschaftsprojekt: Unter dem Codenamen „Universelle Sensorplattform“ (USeP) hatten der Halbleiter-Auftragsfertiger Globalfoundries Dresden und vier Fraunhofer-Institute ab 2017 gemeinsam einen Chip-Baukasten für den Mittelstand entwickelt. Dahinter steckt ein standardisiertes Elektronik-Basismodul mit Rechenkern, Speicher und vielen Schnittstellen, über die der Kunde dann ganz unterschiedliche Sensoren, Funksender und andere Zusatzbauteile andocken kann. So lassen sich rasch und preiswert Robotersteuerungen, Überwachungssysteme für Maschinen oder neue Konsumelektronik-Ideen realisieren. „Mit dieser Plattform bekommen auch kleine Unternehmen Zugriff auf Spitzentechnologie – und brauchen keine Riesen-Ingenieurabteilungen dafür“, meint Globalfoundries-Sprecherin Karin Raths.
Sensry-Chef: Entwicklungskosten sinken für Kunden um 90 Prozent
Gebraucht wurde aber ein Mittler zwischen den „Hidden Champions“ mit ihren Produktideen und den großen Halbleiterfabriken, für die die Kleinserien eines Mittelständlers normalerweise unrentabel sind. Mit Konrad Herre engagierten sie dafür einen Experten, der schon seit Jahrzehnten in der ostdeutschen Mikroelektronik aktiv ist und so schnell wie kein Zweiter Ad-hoc-Fertigungsnetzwerke knüpfen kann. Unter seiner Regie passt Sensry seither die neuartigen Hightech-Baukästen an die jeweiligen Kundenwünsche an und vermittelt bei Bedarf regionale Zulieferer und Endmontagefabriken. „Für die Kunden reduzieren sich bei diesem Konzept die Entwicklungskosten um 90 Prozent, die Entwicklungszeiten um 80 Prozent“, schätzt Herre.
Kosmischer Glanz für den Chip-Baukasten
Um all dem etwas mehr Glanz zu verleihen, vermarktet Sensry die Module nicht unter den nüchternen Kürzel „USeP“, sondern mit kosmischen Namen. Pate stehen dabei die Monde des Riesenplaneten Jupiter: „Ganymed“ ist die aufwendigere Industrie-Variante mit Verschlüsselungstechniken, schnellen Risc-V-Prozessoren, eigener Identifizierungskennung und eingebetteter Künstlicher Intelligenz (KI). „Kallisto“ ist dagegen eher für Endkunden und Konsumelektronik gedacht.
System mit Sensoren, Funk und KI erweiterbar
Für „Racemap“ beispielsweise konzipierte Sensry einen modernen Läufer-Tracker auf Kallisto-Basis und rüstete ihn mit GPS-Ortung, Beschleunigungssensoren sowie Modulen für RFID-Funketiketten und „NBIoT“ – einem speziellen Mobilfunkstandard für das Internet der Dinge – auf. „Allein hätten wir das so niemals entwickeln können“, betont Racemap-Chef Treppe. „Dafür hätten wir gar nicht die Ressourcen gehabt.“ Nun ist er guter Hoffnung, mit dem neuen, eigenen GPS-Tracker in Zukunft auch richtig große Läuferfelder schnell und hochautomatisiert ausrüsten zu können. „Unsere Vision ist, dann Veranstaltungen mit über 14.000 Läufern vollständig mit eigenen Trackern auszustatten.“
Als Schnittstelle zwischen großen Chipfabriken, Mittelstand und kleinen Hightech-Akteuren gedacht
Abzuwarten bleibt indes, ob und in welcher Breite sich solche Konzepte auch auf andere Branchen übertragen lassen und wie groß das Interesse aus dem Mittelstand dann wirklich ausfällt. Wirtschaftspolitisch hängen jedenfalls einige Hoffnungen an den Jupitermonden von Sensry. Denn „Ganymed“, „Kallisto“ & Co. sollen auch für zusätzliche Wertschöpfung und neue Jobs in der Region sorgen. So könnten damit Mittelständler aus Sachsen ganz neue Produktkonzepte für die hochautomatisierten Fabriken der „Industrie 4.0“ und das „Internet der Dinge“ realisieren und daran wachsen. Zudem könnten deren Aufträge die Fabriken von Globalfoundries Dresden und anderen Technologieunternehmen in Sachsen besser auslasten. Dabei steht nicht nur die Chipproduktion selbst im Fokus. Für das Racemap-Projekt beispielsweise übernimmt der Dresdner Auftragsfertiger SMT die Endmontage der Elektronik, auch die Gehäusefertigung wird regional vergeben. „Insofern bauen wir um unsere Universelle Sensorplattform herum eine ganze virtuelle Fabrik mit einer langen Wertschöpfungskette in Sachsen auf“, betont Herre.
Sensry-Chef: Kann man in Deutschland schneller und in höherer Qualität als in Fernost machen
Dies habe auch eine industriepolitische Dimension: „Lange Zeit galt es wie ein Allheilmittel, solche Elektronik billig in China machen zu lassen. Aber wir zeigen hier, dass das in Deutschland schneller und in höherer Qualität gemacht werden kann – und das zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen.“
„Da wurde Sicherheit von Anfang an mitgedacht.“
Auch für die Diskussion um die digitale Souveränität Europas und besonders sichere Infrastrukturen sei das Konzept hochinteressant, meint Michael Kaiser, der Chef des Dresdner „Smart Systems Hub“: „Diese Plattform wurde in Deutschland entwickelt und wird hier produziert“, sagt er. „Da wurde Sicherheit von Anfang an mitgedacht.“ Mit seinen Verschlüsselungstechniken, seinem geringen Stromverbrauch, der eingebetteten Künstlichen Intelligenz und der Fähigkeit, Sensordaten selbst vorzuverarbeiten, bevor irgendwelche Daten in entfernte Cloud-Rechenzentren abfließen, biete Ganymed viel Potenzial für Unternehmen, die innovative Produkte für das „Internet der Dinge“ entwickeln. „Damit bekommt auch der Mittelständler einen relativ einfachen Einstieg in eine komplexe Technologie hin“, ist Kaiser überzeugt. „Da sehe ich einen wachsenden Markt.“
Module sollen auch Betriebe nachträglich für „Industrie 4.0“ nachrüsten
Dies eröffne beispielsweise für das ,Retrofit’ neue Perspektiven, also die Nachrüstung klassischer Fabrik-Maschinen mit Digitaltechnik und Sensorik. Auch Globalfoundries selbst will die USeP-Module künftig breit einsetzen: In einem Wettbewerb unter der Regie des „Smart Systems Hub“ hatten kreative Köpfe damit eine neuartige Ventil-Überwachung für die Reinstwasser-Ströme in einer Chipfabrik ersonnen, die mögliche Ausfälle vorhersieht und in solchen Fällen Reparaturen veranlasst. „In unserer Fab werden wir dieses System einsetzen“, berichtet Karin Raths von Globalfoundries Dresden. „Und wir wollen das auch den anderen Standorten im Unternehmen vorstellen – das dürfte weltweit für Chipfabriken interessant sein.“
Sensor-Baukasten im Kurzporträt:
- Name: „Universelle Sensorplattform“ – USeP
- Entwicklungszeit: 2017-2020
- Projektpartner: Globalfoundries Dresden, Fraunhofer IPMS Dresden, Fraunhofer ENAS Chemnitz, Fraunhofer IIS/EAS Dresden, Fraunhofer IZM-ASSID Dresden
- Ausgründung: Sensry GmbH (2019)
- Halbleiter-Plattform: 22FDX von Globalfoundries
- Rechenwerk (Ganymed-Version): Cluster aus neun RISC-V-Prozessoren plus Krypto-Koprpzessor, Schnittstellen und Ausstattung: WLAN, Bluetooth, MRAM-Magnetspeicher u.v.m.
- Zielszenarien: Internet der Dinge, Industrie 4.0, Maschinen-Nachautomatisierung, Infrastruktur-Überwachung
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Interviews Racemap, Sensry, Globalfoundries, SSH
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