Künstliche Intelligenz, News, zAufi

Lernschub für Künstliche Intelligenzen

Thuy Linh Jenny Phan. Foto: Trendsetter Chemnitz

Thuy Linh Jenny Phan. Foto: Trendsetter Chemnitz

Statt Wirtin wurde die junge Dresdnerin Thuy Linh Jenny Phan eine Expertin für „Active Learning“ und „Data Augmentation“ – und wird nun mit einem „Zeiss Women Award“ geehrt

Dresden, 14. Oktober 2022. Den Vorsprung der großen amerikanischen und chinesischen Datenkraken bei der „Künstlicher Intelligenz“ (KI) aufzuholen, wird für Europa eine echte Herausforderung: Damit zum Beispiel eine KI in einer Fabrik automatisch Produktionsfehler erkennen kann, braucht es für den Anlernprozess viele, viele Beispielbilder – und die müssen erst mal gesammelt und verschlagwortet werden. Während viele Konzerne in Übersee und Fernost bereits riesige Datenbanken mit Fotos, Videos, Informationen und Zusammenhängen aufgebaut haben, müssen viele Unternehmen in Deutschland erst mal „Lernmaterial“ für ihre KIs zukaufen und diese damit trainieren. Wie sich aber auch mit einem relativ bescheidenem Bilder-Startbestand steile Lernkurven von KI-Systemen erreichen lassen, hat nun die Dresdner Nachwuchs-Wirtschaftsinformatikerin Thuy Linh Jenny Phan in ihrer Master-Abschlussarbeit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft herausgearbeitet. Ihr Konzept, das auf „Active Learning“ und „Data Augmentation“ beruht, hat ihr nun einen „Zeiss Women Award“ eingetragen.

Immer mehr Fabriken setzen auf KI, um Routine-Aufgaben zu automatsieren – und brauchen Bilderfluten dafür

Einsatzfelder könnten zum Beispiel die Automobilindustrie und andere Branchen sein, die Qualitätskontrolle und andere Routineaufgaben mit KI-Kamerasystemen automatisieren wollen. „Mit dieser Technik lassen sich Zeit und Kosten für das Training minimieren“, erklärt die 26-jährige Dresdnerin, die ursprünglich mal Gaststätten-Wirtin werden sollte und sich inzwischen doch lieber für eine Hightech-Laufbahn entschieden hat. „Bisher ist die Datenbeschaffung für solche Anlernprozesse sehr aufwendig – da kann Active Learning helfen.“

Active Learning: Die Kunst, Unsicherheiten effizient auszuradieren

„Active Learning“ ist eine noch relativ junge Disziplin des maschinellen Lernens (ML). Beispiel: Wenn eine KI in einer Elektromotor-Fabrik lernen soll, wie ein ordentlich gewickeler Läufer aussehen muss, wird sie zunächst in eine Art „Schule“ geschickt. Dort legen ihr die „Lehrer“ Zehntausende Bilder vor, die menschliche Qualitätsingenieure zunächst beschriftet haben: Aus langjähriger Erfahrung geben sie beispielsweise der einen Aufnahme das Etikett „richtig gewickelt“, anderen dann vielleicht Fehlerhinweise wie „ungleichmäßig gewickelt“, „Kurzschlussgefahr“ oder „kompletter Ausschuss“. Aus diesen Datenfluten lernt die KI dann, in der laufenden Produktion selbst in Sekundenbruchteilen zu solchen Qualitätsurteilen zu kommen. Und nun kommt „Active Learning“ ins Spiel: Dabei fangen die Lehrer mit ein paar Hundert Lernbildern an und prüfen dann, welche Fehler die KI mit diesen Kurztraining bereits recht zuverlässig erkennt und wofür sie mehr Bildmaterial braucht. Mit diesem Ansatz werden unter Umständen nur wenige Hundert statt über 60.000 Aufnahmen gebraucht, bis die KI sattelfest urteilen kann.

„Data Augmentation“: Methode „Photoshop“ füllt Anlern-Datenbanken schneller

Der zweite Baustein in Phans Masterarbeit ist die Datenaufwertung. Hinter dieser „Data Augmentation“ steckt letztlich ein Konzept, das viele in einfacher Form von Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop kennen: Dabei werden automatisiert jedes bereits besammelte KI-Trainingsbild noch einmal gespiegelt, vergrößert, verkleinert, gedreht beziehungsweise im Ausschnitt verändert. Dadurch lässt sich die schon generierte Bilddatenbank rasch künstlich vergrößern, um die Beschaffungs- und Anlernprozesse für die KI weiter zu verkürzen.

Zeiss will mit Frauen in die IT-Branche locken

Diese Kombination mehrere Verfahren hat die Zeiss-Jury so beeindruckt, dass sie der Nachwuchs-Akdemikerin nun in Dresden den mit 2000 Euro dotierten dritten Rang beim „Zeiss Women Award“ verliehen hat. Diesen Preis vergeben Zeiss beziehungsweise vorher die – inzwischen von Zeiss gekaufte – Dresdner Softwareschmiede „Saxonia Systems“ bereits seit zwölf Jahren, um herausragende Nachwuchs-Informatikerinnen zu ehren und damit junge Frauen zu einer Karriere in den Informationstechnologien zu überzeugen.

Programmier-Kurs im TU-Wirtschaftsstudium stuppste Studentin zur HTW

Auch bei der diesjährigen Preisträgerin Thuy Linh Jenny Phan war seinerzeit ein kleiner „Stupps in die richtige Richtung“ nötig gewesen: Die in Bad Schlema geborene Tochter eines südvietnamesischen Flüchtlings und einer nordvietnamesischen DDR-Vertragsarbeiterin sollte ursprünglich nämlich später einmal das Restaurant übernehmen, das die Eltern in Chemnitz aufgebaut hatten. „Der Gedanke gefiel mir auch“, erzählt Phan. „Deshalb habe ich zunächst angefangen, Wirtschaftswissenschaften an der TU Dresden zu studieren, weil dort schon mein Bruder gewesen war.“ Aber rasch merkte die Studentin, dass ihr dieses Fach doch zu trocken und theoretisch war. „Allerdings gab es da auch Programmier-Module – und die haben mit wirklich Spaß gemacht.“ Und so wechselte Phan nach drei Semestern im Jahr 2017 hinüber zu den Wirtschaftsinformatikern an die HTW Dresden. Und diese Disziplin erwies sich dann doch eher als ihre wahre Berufung, wie auch die nun errungene Auszeichnung zeigt. „Ich musste meinen Eltern dann eröffnen, dass ich ihr Restaurant doch nicht übernehme“, berichtet die junge Wirtschaftsinformatikerin. Doch Mutter und Vater hätten sie in ihrer Entscheidung unterstützt: „Sie haben mir gesagt, das ist in Ordnung.“

In der KI-Forschung will Thuy Linh Jenny Phan aber nicht bleiben, sie bewirbt sich statt dessen nun um einen Job in der freien Wirtschaft. „Wenn möglich, will ich aber hier in Sachsen bleiben: Hier leben meine Eltern und all meine Freunde.“

Woman Award vom lokalem Preis zu europäischer Ehrung gewachsen

Die Auszeichnung, die Phan nun gewonnen hat, dürfte sich bei ihren Bewerbungen sicher gut im Lebenslauf machen. Denn der anfänglich eher regional ausgerichtete Woman Award hat über die Jahre hinweg zunächst ein nationales Format angenommen und ist vor allem seit der Übernahme der „Saxonia Systems“ durch Zeiss ein europäischer Preis geworden.

Bei der Preisverleihung 2022 von links nach rechts: Die ursprüngliche Initiatorin des Preises, Viola Klein, Kristin Freudenberg, Thuy Linh Jenny Phan, Meike Nauta, Lisa Ihde und Elke Büdenbender. Foto: Zeiss

Bei der Preisverleihung 2022 von links nach rechts: Die ursprüngliche Initiatorin des Preises, Viola Klein, Kristin Freudenberg, Thuy Linh Jenny Phan, Meike Nauta, Lisa Ihde und Elke Büdenbender. Foto: Zeiss

Platz 1 für KI-Transparenz-Forscherin Meike Nauta aus Holland

Auch die Erstplatzierte in diesem Jahr ist eine internationale Nachwuchs-Informatikerin: Den mit 10.000 Euro dotierten ersten Platz beim diesjährigen „Zeiss Women Award“ hat Doktorandin Meike Nauta von der University of Twente in Holland errungen. Sie beschäftigt sich mit KI-Transparenz, also zum Beispiel der Frage, wie Menschen KI-Entscheidungen nachträglich durchschauen können. Außerdem „engagiert sie sich in den Niederlanden als Botschafterin für ,Frauen in MINT-Berufe’ und organisiert zum Beispiel an Schulen für Mädchen ab zwölf Jahre spannende Workshops und Projekte“, heißt es in der Würdigung. Den mit 5000 Euro dotierten zweiten Preis erhielt Lisa Ihde von der Uni Potsdam und vom Hasso-Plattner-Institut Potsdam.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Interview Thuy Linh Jenny Phan, Zeiss, Oiger-Archiv

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt