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Zwiegesichtige Agri-Photvoltaik: Solargassen für autonome Traktoren

Zwölf Meter breit sind die nutzbaren Ackerstreifen zwischen den senkrechten Solarmodulen. Die HTW-Forscher wollen in diesen überschaubaren Gassen auch autonome Traktoren testen. Foto: Heiko Weckbrodt

Zwölf Meter breit sind die nutzbaren Ackerstreifen zwischen den senkrechten Solarmodulen. Die HTW-Forscher wollen in diesen überschaubaren Gassen auch autonome Traktoren testen. Foto: Heiko Weckbrodt

Dresdner Ingenieure erproben, wie sich senkrechte Sonnenstromsammler und Ackerbau vertragen

Dresden, 13. Oktober 2022. Ob sich Ackerbau und Energie-Gewinnung mit senkrecht montierten und zwiegesichtigen („bifazialen“) Solarpaneelen womöglich besser miteinander vertragen als mit bisherigen agrarischen Photovoltaik-Anlagen (Agri-PV), wollen Ingenieure der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) nun mit einer neuen Testanlage in Dresden-Pillnitz erproben. Der sächsische Landwirtschafts- und Umweltminister Wolfram Günther (Bündnisgrüne) wittert großes Potenzial in diesem Ansatz und hat für das Vorhaben 450.000 Euro aus Corona-Konjunkturprogrammen locker gemacht: „Mit diesen neuen Technologien können Wiesen oder Äcker doppelt genutzt werden“, betonte der Minister bei der heutigen Inbetriebnahme der 140-Kilowatt-Anlage. „Dann werden auf den Flächen nicht nur Getreide, Gemüse oder Futterpflanzen angebaut, sondern auch kostengünstiger grüner Strom zu produziert.“

Der sächsische Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (links) und "Meyer Burger"-Chef Gunter Erfurt zeigen im Werk Freiberg Proben der neuen, hocheffizienten Heterojunction“-Solarzellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Der sächsische Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (links) bei einem früheren Treffen mit „Meyer Burger“-Chef Gunter Erfurt im Solarmodul-Werk Freiberg. Dort sollen auch bifaziale PV-Module gefertigt werden. Foto: Heiko Weckbrodt

Deutschland konzipierte Agri-PV schon Anfang der 80er – und fiel dann zurück

Die Idee, Sonnenenergiesammler auf Äckern aufzustellen, ist eigentlich nichts Neues: Die Fraunhofer-Gesellschaft hatte dieses Konzept bereits Anfang der 1980er Jahre vorgeschlagen. „Danach haben uns andere Länder in der Entwicklung allerdings abgehängt – beziehungsweise wir haben uns abhängen lassen“, sinnierte HTW-Professorin Ulrike Feistel. Während viele Anhänger der Technologie in der Bundesrepublik an den langwierigen deutschen Genehmigungsverfahren verzweifelten, bauten Frankreich, Italien, Südkorea und andere Länder eine Agri-PV-Anlage nach der anderen auf.

Die HTW-Ingenieure haben sich viel Mühe gegeben, damit sich ihre Agri-PV-Anlage in das idyllische Panorama mit der Rysselkuppe in Dresden-Pillnitz organisch einfügt. Foto: Heiko Weckbrodt

Die HTW-Ingenieure haben sich viel Mühe gegeben, damit sich ihre Agri-PV-Anlage in das idyllische Panorama mit der Rysselkuppe in Dresden-Pillnitz organisch einfügt. Foto: Heiko Weckbrodt

Tomaten und Chili lieben Solarschatten – andere verkümmern

Richtig breit durchsetzen konnte sich das Konzept aber bisher nicht. Denn einige Pflanzen wie Tomaten oder Chili gedeihen unter dem Schattenschutz von Solaranlagen manchmal sogar besser als in der prallen Sonne. Doch für andere Kulturen reicht das schattige Plätzchen eben nicht für die Photosynthese. Zudem geht über die schräggestellten Modele eben doch relativ viel Ackerfläche verloren. Zwar gab es schon Versuche mit Solaranlagen, die auf Gerüsten meterhoch auf den Äckern montiert waren – doch der Stahlverbrauch dafür war immens. Zudem drohen auf Agri-PV-Äckern immer wieder Kollisionen zwischen Landmaschinen und den empfindlichen Solarzellen. Insofern funktionierte die gewünschte Doppelnutzung lange Zeit nur mit Abstrichen.

Südkoreaner bauen inzwischen über 200 Kulturen unter Agri-PV-Anlagen an

Inzwischen wandelt sich aber das Bild. Das liegt einerseits an solartechnologischen Neuentwicklungen wie den „bifazialen“ PV-Modulen, die Sonnenlicht von vorne wie von hinten auffangen, aber auch an agrowissenschaftlichen Fortschritten: In jahrelangen Versuchen haben Forscher und Bauern immer mehr Sorten identifiziert, die unter oder zwischen Agri-PV-Modulen gut wachsen: Aus Kenia berichtet beispielsweise Professorin Christine Onyango über gute Erträge mit Grünkohl und einheimischen afrikanischen Nutzpflanzen. Und Südkorea baut laut Professorin Feistel unter Agri-Solarmodulen bereits über 200 Kulturen an.

Osterträge am Vormittag, dann ist der Westen dran

Die Ernte- und Energieerträge sowie die ökologische Bilanz und Artenvielfalt von Agri-PV-Feldern lässt sich aber womöglich durch neue Aufstellmethoden verbessern, sind die Forscherinnen und Forscher der HTW Dresden überzeugt. In ihrem Auftrag haben daher Spezialisten auf einem Versuchsfeld unterhalb der Pillnitzer Rysselkuppe in Nord-Süd-Richtung Dutzende Pfähle zwei Meter tief in die Erde gerammt und darauf senkrecht bifaziale Solarmodule montiert. Diese Module sind so ausgerichtet, dass sie vormittags das Sonnenlicht aus Osten auffangen und nachmittags von der Westseite her Strom produzieren. Dies soll letztlich auch dazu beitragen, die typischen Mittags-Spitzen in den Stromnetzen durch nach Süden ausgerichtete klassische PV-Anlagen auszugleichen.

Vertikale Agri-Solarmodule verbrauchen nur noch 10 % der Ackerfläche

Durch die Senkrecht-Modulreihen sind nun gewissermaßen zwölf Meter breite und langgezogene Kleinäcker entstanden, unterbrochen von jeweils halbmeterbreiten Rasenstreifen für die Agri-PV-Module. Unterm Strich gehen dadurch laut HTW nur zehn Prozent der Ackerfläche flöten und selbst diese Streifen wollen die Forscher doppelt nutzen: Mit blühenden Pflanzen wollen sie weit mehr Wildbienen und Schwebfliegen als bisher auf normalen Äckern üblich anlocken, die dann die Läuse von den Nutzpflanzen fressen und die Bestäubung übernehmen. Auf den Streifen-Äckern selbst möchten die Agrartechnologen verschiedene Kulturen pflanzen, zum Beispiel Bohnen, um dann vergleichen zu können, was davon richtig gut wächst.

Schutzschild gegen Wetterextreme und Klimawandel

Auch hofft der Agrarexperte Dr. Lux darauf, dass die nun senkrecht montierten Module als Wind-, Sonnen- und Regenschutz für die Pflanzen wirken und wie eine Art Schild gegen Wetterextreme wirken. Von daher könnten Agri-Solaranlagen womöglich in mehrfacher Hinsicht Sachsen für den Klimawandel rüsten, wenn auch eher punktuell: indem sie den Wasserbedarf der Landwirtschaft in Dürrezeiten mindern, den Flächenverbrauch verringern und gleichzeitig Solarstrom produzieren.

Agri-PV-Projektleiter Prof. Karl Wild von der HTW Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Agri-PV-Projektleiter Prof. Karl Wild von der HTW Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Solar-Leitplanke für fahrerlose Trecker und Mähdrescher

Auch für die Zukunft der Landwirtschaft erhofft sich Projektleiter Prof. Karl Wild Erkenntnisgewinnen: Die PV-Module sollen nämlich auch für die fahrerlosen Ernteschwärme von morgen als eine Art Orientierungs-Leitplanke dienen. Um das zu testen, hat Wild bereits einen autonom fahrenden Traktor für das Pillnitzer Versuchsfeld bestellt.

2. Versuchsanlage Köllitsch geplant, Minister hofft auf Vorbildwirkung für Bauern

Bei einer Agri-PV-Anlage mit dem neuen Senkrecht-Bifazial-Konzept soll es übrigens im Freistaat nicht bleiben: Auch das staatliche sächsische Versuchsgut Köllitsch richtet solch einen Solar-Versuchsacker ein. „Und hoffentlich setzen bald auch die ersten Landwirtschaftsbetriebe diese Agri-PV-Technik ein“, meint Agrarminister Günther.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Termin, HTW, Vorträge Karl Wild, Prof. Christine A. Onyango (Taita Taveta University Voi, Kenia), Prof. Ulrike Feistel, Prof. Matthias Jentzsch, Dr. Guido Lux, Prof. Ulrich Walz, Smekul

Zum Weiterlesen:

Sachsen will mehr Agri-PV

Agro-PV: Dresdner Ingenieure werden Bauern

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt