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„Interflug“-Buch über Aufstieg und Absturz der DDR-Airline

Viele junge Frauen und Männer in der DDR wollten Flugbegleiterinnen oder Piloten bei der Interflug werden. Foto: Interflug Abteilung Werbung, Repro (hw): aus: S. Schmitz: Interflug

Viele junge Frauen und Männer in der DDR wollten Flugbegleiterinnen oder Piloten bei der Interflug werden. Foto: Interflug Abteilung Werbung, Repro (hw): aus: S. Schmitz: Interflug

Ostdeutsche Fluggesellschaft stand für den Traum von der Ferne – agierte aber auch als Billigflieger für Westberliner und Billigflieger für Westberliner

Die war die Vorzugs-Airlines des Sandmännchens, transportierte Waffen ebenso wie Küken, beförderte, Preisfüchse aus dem Westen und besprühte Felder in der ganzen DDR, unter ihren Farben agierten aber auch die Stasi und die Leibflugzeuge der SED-Oberen: die Interflug. Der westdeutsche Stewart und Autor Sebastian Schmitz hat der staatlichen Fluggesellschaft der DDR ein ausführliches Buch gewidmet, das nun unter dem Titel „INTERFLUG – Die Fluglinie der DDR“ in den Stuttgarter Paul-Pietsch-Verlagen erschienen ist.

Auch das Sandmännchen flog mit der Interflug. Repro (hw) aus: S. Schmitz: Interflug

Auch das Sandmännchen flog mit der Interflug. Repro (hw) aus: S. Schmitz: Interflug

Reich bebilderte historischer Abriss

Darin erzählt er die wechselvolle Geschichte des ostdeutschen Flag Carriers von der Gründung 1958 bis zur Liquidierung durch die Treuhand 1991. In dem 192-seitigen, reicht bebilderten Band skizziert Schmitz auch die Aufgaben der Interflug, die deutlich über das Spektrum klassischer Fluggesellschaften hinausgingen und stellt ihre Flugzeuge vor. Er berichtet aber auch über Alltagsanekdoten, Soli-Flügen und geheimen Militärtransporten.

Ikarus-Direkttransfer aus Westberlin zum Billigflieger nach Schönefeld

Und der Autor erinnert auch an die unter Ostdeutschen wenig bekannte Rolle der Interflug als frühe Billig-Airline für Westberliner Touristen. So öffnete die DDR 1963 vor allem für dieses devisenbringende Nebengeschäft eigens einen Grenzübergang an der Nahtstelle zwischen dem Interflug-Heimatflughafen Schönefeld und dem Westberliner Stadtbezirk Rudow. Ein spezieller Ikarus-Bus brachte die Touristen aus dem Westteil auf direktem Wege zu einem eigenen, abgeschirmten Terminalbereich in Schönefeld. Weil die Westberliner Nachfrage für billige Osttickets in warme Urlaubsländer – die den allermeisten DDR-Bürgern verschlossen blieben – in den 1980ern in die Hunderttausende ging, vereinfachte die Partei- und Staatsführung der Transfer ab 1985 noch einmal deutlich. „Der Grenzübergang erfolgte an der Waltersdorfer Chaussee ohne wirkliche Kontrollen“, erinnert sich der passionierte Vielflieger Theo Handstede an einen seiner Reisen per Interflug als West-Passagier. „Lediglich ein Mitarbeiter der DDR-Grenzpolizei stieg an der Kontrollstelle zu und begleitete die kurze Strecke zum Terminal B, dem speziellen Abfertigungsbereich für Reiseende aus dem Westen, um sicherzustellen, dass kein DDR-Bürger unbemerkt in den Transitbus gelangte.“

DDR-Touristen mussten für Interflug-Ticket oft mehr als einen Monatslohn hinblättern

Was für die „Bundis“ ein Schnäppchen war, blieb für die meisten „Zonis“ ein teurer Spaß: Wenn man nicht gerade eine subventionierte Jugendtourist-Reise ergatterte, kostete ein Reise in ein Ostblock-Ferienziel wie etwa an die bulgarische Schwarzmeerküste gut und gerne einen reichlichen Monatslohn pro Kopf – und die meisten Ziele, die die Westberliner ansteuerten, blieben den Menschen aus der DDR ohnehin verschlossen.

Jobs als Piloten und Flugbegleiterinnen begehrt

Auch deshalb umgab die Interflug immer ein besonderer Hauch der Freiheit und exotischen Ferne: Viele junge Frauen und Männer rissen sich um einen Job als Pilot oder Flugbegleiterin bei der staatlichen Fluggesellschaft, immer in der Hoffnung, so ferne Länder zu sehen, womöglich gar in „den Westen“ zu gelangen. Doch in der Praxis erfüllten sich diese Träume dann oft nur teilweise, arbeitet Sebastian Schmitz heraus: Ohnehin bestand nur ein Teil die Sicherheitsüberprüfungen, die Partei und Stasi vor eine Zulassung für Westreisen aufgebaut hatten. Auch durften Piloten und Stewardessen zum Beispiel nicht mit ihren Kolleginnen und Kollegen etwa von der westdeutschen Lufthansa plaudern, wenn sie sich auf Flughäfen trafen. Und bekam das ostdeutsche Personal auch kaum etwas von den exostischen Orten am Boden zu sehen, die sie da gelegentlich anfliegen durften, mussten gerade im „Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ (NSW) meist im vorgebuchten Hotelzimmer bleiben.

Ein verletzter Sandinist in einer Interflug-Maschine, die ihn zur Behandlung von Nicaragua nach Ost-Berlin bringt. Foto: Dr. Heinz Frotscher via Bundesarchiv, Repro (hw) aus: S. Schmitz: Interflug

Ein verletzter Sandinist in einer Interflug-Maschine, die ihn zur Behandlung von Nicaragua nach Ost-Berlin bringt. Foto: Dr. Heinz Frotscher via Bundesarchiv, Repro (hw) aus: S. Schmitz: Interflug

Regierung und Stasi tarnte eigenen Jets mit Interflug-Farben

Wenig bekannt war vor dem Mauerfall auch, dass die Interflug weit mehr machte als die öffentlich bekannten Passagierflüge: In Interflug-Regie befand sich auch die Agrar-Flugzeugflotte der DDR, ebenso der Flughafen-Betrieb. Zudem benutzten auch das „Transportfliegergeschwader 44“ (TFG 44) der Regierung und die Stasi die Interflugfarben als Tarnung für eigene Jets. Und oft agierte die Interflug hinter den Kulissen auch für Charterflüge und mehr oder minder geheime Sondermissionen: Da wurden Tausende Küken im Westauftrag in den Irak transportiert, Spielzeug als Soli-Spende nach Vietnam geflogen, Lebensmittel-Lieferungen ins hungernde Äthiopien gebracht, aber auch verwundete Sandinisten in DDR-Krankenhäuser geholt oder Waffen an „befreundete“ linke Milizen in Krisenregionen geliefert.

Gelegentlich etwas unkritisch

Allein schon wegen solcher Stories, die vor dem Mauerfall streng geheim waren, lohnt sich die Lektüre von Schmitz’ Interflug-Übersichtsbuch. Zwar sind manche Abschnitte etwa unkritisch ausgefallen – etwa wenn der Autor die Verschleppung ostdeutscher Ingenieure und Wissenschaftler durch den sowjetischen Geheimdienst in der Operation „Ossawakim“ im Herbst 1946 darstellt, als ob diese Wissensträger mit ihren Familien mehr oder minder freiwillig ihr Glück in der Sowjetunion gesucht hätten. Auch fallen kleinere Fehler auf, etwa in einer irrigen Bildunterschrift zum Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer (SED) beim Interflug-Erstflug gen Hamburg nach der Wende.

Beeindruckendes Recherche-Werk

Andererseits ist die Akribie hervorzuheben, mit der Schmitz viele Details aus der Geschichte der ostdeutschen Airline zusammengetragen hat. Unter anderem hat er den Verbleib der meisten Interflug-Flugzeuge in der Nachwendezeit und bis heute recherchiert. Zwar gibt es keinen Anmerkungsapparat, Aber der Autor listet zumindest wichtige Literatur und Quellen in einer Kurzbibliografie auf.

Die Ähnlichkeit mit einem Bomber ist nicht zufällig: Die Konstrukteure der 152 entwickelten vorher bei Junkers und nach dem Krieg in der SU Militärflugzeuge - daher auch der ungewöhnliche Schulterdecker-Ansatz. Foto: Lorenz

Mit der Dresdner „152“ wollte die DDR eine eigene Zivil-Jet-Industrie aufbauen – und verhob sich daran. Foto: Lorenz

Chronologie vom gescheiterten Lufthansa-Neustart bis zur Abwicklung durch die Treuhand

Hilfreich zur Orientierung des Lesers ist auch eine Chronologie ganz zum Schluss. Die reicht vom gescheiterten ostdeutschen Versuch im Jahr 1955, die Deutsche Lufthansa für die DDR zu reklamieren, über die Gründung der Interflug 1958 als „Plan B“, als sich die juristische Niederlage gegen die West-Lufthansa abzeichnete. Dann das Fiasko der Dresdner „152“, deren Absturz 1959 den Untergang der DDR-Flugzeugindustrie einläutete. Danach die Jahre mit sowjetischen Propeller- und Düsenmaschinen, die von Anfang an zu laut, zu kerosindurstig und technologisch schwachbrüstig waren. Der Kauf der ersten modernen Airbus-Flugzeuge des Typs A310. Und schließlich das Ende der Interflug 1991, an dem das bundesdeutsche Kartellamt ebenso seinen Anteil hatte wie eben die größtenteils veraltete Flugzeugflotte.

Umschlag des Buchs von Sebastian Schmitz: „INTERFLUG - Die Fluglinie der DDR“- Abb.: Motorbuch-Verlag

Umschlag des Buchs von Sebastian Schmitz: „INTERFLUG – Die Fluglinie der DDR“- Abb.: Motorbuch-Verlag

Kurzüberblick

Sebastian Schmitz: „INTERFLUG – Die Fluglinie der DDR“, Preis: 24,90 Euro, Motorbuch Verlag, Stuttgart 2021, Umfang: 192 Seiten, ca. 150 Abbildungen, ISBN: 978-3-613-04389-3

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt