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IHK: Lieferkrise nimmt dramatische Züge an

Zellmontage im Batteriewerk von Accumotive-Daimler in Kamenz. Was aber tun mit den Akkus, wenn sie aus dem Elektroauto wegen Reichweiteverlusten wieder ausgemustert werden? Ist ein Einsatz als stationärer Energiespeicher sinnvoller oder ein direktes Recycling? Foto: Heiko Weckbrodt

Erst Treiber der Corona-Erholung in der ostsächsischen Elektroindustrie, doch nun hat auch dort die Chiplieferkrise zugeschlagen: Blick in die Zellmontage bei Accumotive in Kamenz. Foto: Heiko Weckbrodt

Gestörte Zulieferketten, hohe Energiepreise und Personalmangel bremsen auch in Sachsen zusehens die Corona-Erholung der Wirtschaft aus

Dresden, 15. Oktober 2021. Die Stimmung in der sächsischen Wirtschaft hellt sich auf. Das hat Hauptgeschäftsführer Detlef Hamann von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden unter Verweis auf eine Konjunkturumfrage unter rund 600 Mitgliedsunternehmen eingeschätzt. „Die positiven Stimmungstreiber sind derzeit vor allem viele Dienstleister, der Verkehrssektor und der Tourismus“, sagte er. Diese Branchen seien besonders von den Corona-Verboten betroffen gewesen und sie wittern nach den jüngeren Lockerungen im Corona-Regime besonders viel Morgenluft.

Detlef Hahmann. Abb.: IHK DD

Detlef Hahmann. Abb.: IHK DD

Lieferprobleme und Teuerung schlagen durch

Die tatsächliche wirtschaftliche Lage ist jedoch in Teilen der Industrie und im Gastronomiesektor immer noch sehr angespannt. Zwar meldete der Autosektor für die Zeit von Januar bis August 2021 deutlich höhere Umsätze als 2020 und selbst im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019. Ähnliches gilt für die Elektroindustrie. Doch weit weniger stark fielen die Umsatzzuwächse im Maschinenbau und in der Mikroelektronik aus, die das Vorkrisen-Niveau noch nicht wieder erreicht haben. Dabei werden die Gesamtumsatzlinien oft von wenigen großen Unternehmen nach oben oder unten gezogen: Wenn die neue Elektroaut-Generation von VW Zwickau gut ankommt, dann beflügelt das die ganze Autobranche im Freistaat. Und diese Impulse schwappen wiederum hinüber in die Elektroindustrie, zu der die Akku-Fabrik von Daimler in Kamenz gehört. Die sorgte monatelang für gute Kennzahlen in der Branche – doch im August hat Accumotive seiner Belegschaft Kurzarbeit verordnet, weil eben auch im Akku-Bau die Halbleiterengpässe zuschlagen. Die wiederum bremsen nun mehr und mehr auch den Aufschwung im Autosektor aus.

Industrieumsatz im August um ein Fünftel abgesackt

Und diese Effekte fressen seit einigen Wochen den kleinen Industrieaufschwung in Sachsen wieder auf: Vom Juli zum August sackten die Industrieumsätze im Freistaat um 20 Prozent ab. „Der August war nie ein besonders umsatzstarker Monat“, räumt Hamann ein. „Doch so einen Rückgang binnen innerhalb eines Monates habe ich noch nicht erlebt.“

Die Wirtschaft im Kammerbezirk Dresden sorgt sich vor allem um Fachkräftemangel sowie die Kosten für Material, Personal und Energie. Grafik: IHK Dresden

Die Wirtschaft im Kammerbezirk Dresden sorgt sich vor allem um Fachkräftemangel sowie die Kosten für Material, Personal und Energie. Grafik: IHK Dresden

Da wird um jedes Blech gekämpft

Dabei kommen kurz- und langfristige Probleme zusammen. Die sächsischen Unternehmen machen sich derzeit vor allem Sorgen um steigende Energie- und Materialpreise und weiter gestörte Lieferketten. „Das nimmt dramatische Züge an“, berichtet der IHK- Hauptgeschäftsführer. „Da wird um jedes Blech, um jeden Chip und um jedes Stück Kunststoff gefeilscht“, erzählt er. Er kenne beispielsweise eine Brauerei, die ihre fertigen Bierbüchsen nicht mehr verschicken könne, weil die Kunststofffolie zum Umwickeln der Paletten fehle.

IHK-Chef Hamann: Wir sollten den Ausstieg aus Atomenergie noch mal überdenken

Auch die exorbitant steigenden Energiepreise machen den sächsischen Unternehmern Sorgen – und Abhilfe ist nicht in Sicht. Womöglich sei es an der Zeit, den deutschen Ausstieg aus der Kernkraft zu überdenken, um eine stabile und bezahlbare Energieversorgung für Wirtschaft und Verbraucher abzusichern, fordert Hamann.

Fachkräfte-Zuzug immer noch zu bürokratisch

Zudem ploppt auch ein langfristiges Problem der sächsischen Wirtschaft wieder auf, kaum dass die Pandemie etwas abebbt: der Fachkräftemangel. Auch hier haben die Wirtschaftsvertreter ihre Wünsche an die neue Bundesregierung: Die soll nämlich das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verbessern, das zwar noch kurz vor Corona in Kraft getreten war, aber dann kaum praktische Bedeutung erlangt hatte: „Der bürokratische Aufwand, um Fachkräfte ins Land zu holen, ist immer noch zu groß“, warnt Hamann. „Wir müssen über ein schlankeres, einfacheres Verfahren nachdenken.“

Weitere Automatisierungsprogramme absehbar

Zu erwarten sei auch, dass weitere Unternehmen ihre Personalengpässe durch neue Automatisierungsprogramme zu mindern versuchen werden. Dies habe freilich Grenzen, vor allem in Dienstleistungssektor : Einerseits sei schwer vorstellbar, dass beispielsweise demnächst Roboter Haare frisieren und Kranke massieren. Andererseits fehlen ohnehin auch Automatisierungsexperten im Land.

Verzicht auf Globalisierung würde deutsche Produkte verteuern

Kurzfristige Lösungen für die weltweit gestörten Lieferkettenprobleme, die durch Handelskriege, Corona, Nachfrageschübe, verstopfte Schifffahrtskanäle und andere Faktoren entstanden sind, sieht Hamann hingegen nicht. Womöglich müsse man einfach warten, bis sich die Staus von Containerschiffen vor den Häfen auflösen und die Laster wieder ungestört rollen. „Ich persönlich halte nicht viel von der Idee, auf einheimische Lieferanten umzuschenken“, sagte er. „Die globalen Lieferketten sind aus guten Gründen entstanden. Wenn wir künftig wieder alles selbst herstellen wollten, könnte dies die Kosten so steigern, dass viele deutsche Produkte zu teuer und unverkäuflich werden.“

Zudem hatten viele Ökonomen bereits im Zusammenhang mit Donald Trumps Handelskriegen und den damals diskutierten EU-Antworten bereits auf die erwartbaren Gegenreaktionen anderer Staaten hingewiesen, wenn sich Deutschland de-globalisiere oder seine Auslands-Bestellungen zu Gunsten inländischer Zulieferer dramatisch einstampfen sollte: Die eine oder andere Regierung könnte dann auf die Idee kommen, im Gegenzug deutsche Waren zu boykottieren. Die kommunistische Führung in Peking beispielsweise bekannt dafür, Import-Steuerung oder gar Boykotte als politische Waffe einzusetzen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: IHK Dresden

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt