Bücherkiste, zAufi

„Mit der DDR verschwand die letzte große Gesamtliteratur“

Rüdiger Bernhardt: Essay und Kritik – Literatur im Osten Deutschlands nach 2000“, Abb.: Edition Freiberg

Rüdiger Bernhardt: Essay und Kritik – Literatur im Osten Deutschlands nach 2000“, Abb.: Edition Freiberg

Essay-Sammlung von Rüdiger Bernhardt veranschaulicht en passant, wie sehr der Einfluss von Literatur und Literaten in Ostdeutschland mit der Wende geschwunden ist

Was hat eigentlich die DDR-Literatur ausgemacht? Wie tickten ihre Autoren? Und hat sich daraus eine eigenständische ostdeutsche Literatur entwickelt, die bis heute Bestand hat? Diesen Fragen widmet sich der Band „Essay und Kritik“, der kürzlich im Verlag „Edition Freiberg“ erschienen ist. Statt sie allerdings in einer langen theoretischen Abhandlung zu beantworten, wählt dieses Buch gewissermaßen einen pointillistischen Ansatz, um ein Gesamtbild zu entwerfen: Es enthält Nachrufe, Buchkritiken und Aufsätze, die der ostdeutsche Literaturwissenschaftler Rüdiger Bernhardt über zwei Jahrzehnte hinweg verfasst hat.

Der Fokus liegt stärker auf dem Gestern

Obwohl der Untertitel auf „Literatur im Osten Deutschlands nach 2000“ verweist, steht hier aber doch eher das Gestern denn das Heute im Mittelpunkt: kritische Betrachtungen über Leben und Werk von Autoren wie Christa Wolf, Brigitte Reimann, Hermann Kant, Stefan Heym und vielen anderen, deren Wirkungsschwerpunkt doch eher vor als nach der politischen Wende lag. Allerdings setzt sich Bernhardt eben auch damit auseinander, wie diese Literaten, die bis 1989/90 einen teilweise recht erheblichen Einfluss auf den Diskussionskosmos in der DDR hatten, über die Wende hinaus auf die eine oder andere Weise gewirkt haben. Da stehen Essays etwa über den 1963 in den Westen exilierten Leipziger Literaturwissenschaftler Hans Mayer oder über Brigitte Reimanns Verhältnis zum „Bitterfelder Weg“ neben Betrachtungen über die kurze und bezeichnende Episode von Stefan Heym als PDS-Abgeordneter im Bundestag 1994/95.

Rüdiger Bernhardt. Foto: privat

Rüdiger Bernhardt. Foto: privat

Bruch wird deutlich

Die besondere gesellschaftliche Rolle und den Einfluss, den Belletristikautoren und Theaterautoren wie -Regisseure in der DDR hatten, gewannen die ostdeutschen Literaten im wiedervereinigten Deutschlands jedenfalls nicht zurück. Und diese recht scharfe Trennlinie, die irgendwo im Jahr 1990 verläuft, als Mehrheitswünsche und die Visionen der Literaten im Osten Deutschlands immer mehr auseinanderdrifteten, verlief auch in der Literatur selbst. „Mit der DDR … verschwand die letzte große Gesamtliteratur“, formuliert es Dramaturg Klaus-Rüdiger Mai in seinem Vorwort zu Bernhardts Essay-Band. Insofern habe dieses Buch auch dokumentarischen Wert als Zeitzeugnis, „weil es in den Biographien und den Texten der Schriftsteller, der Bruch zwischen dem Schreiben in der DDR und dem in Ostdeutschland nach der Wende auf subtile Art und Weise deutlich wird.“ Provokativ seine These dazu: Womöglich liege dieser Bruch eben auch daran, „dass die Gesellschaft Literatur nicht mehr benötigt“.

Kurzüberblick:

  • Autor: Rüdiger Bernhardt
  • Titel: „Essay und Kritik – Literatur im Osten Deutschlands nach 2000“
  • Genre: Sachbuch / Essay-Sammlung
  • Verlag: Edition Freiberg
  • Erscheinungsort und -jahr: Dresden 2020
  • ISBN: 978-3948472115

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Barkleit: DDR wurde vom Mittelmaß regiert

„Am Ende bleibt zu wenig, um davon zu leben“

 

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt