Sachsen bauen weltgrößten PEM-Elektrolyseur in Leuna
Dresden, 20. Januar 2021. Die Ingenieure des Anlagenbauers „Linde Engineering“ in Dresden, die demnächst in Leuna den weltweit größten Elektrolyseur in Protonenaustauschmembran-Technologie (PEM) bauen, sehen gute Chancen, dass in den nächsten Jahren eine stark wachsende Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland und Europa entsteht. Auch die hohen deutschen Energiepreise und Investitionen für den Einstieg in die Massenproduktion von Wasserstoff (H2) und Brennstoffzellen seien dafür kein entscheidender Hinderungsgrund. „Ich bin überzeugt davon, dass die Wasserstoff-Ökonomie kommt“, betonte Standort-Chef Dennis Schulz. Dabei könne Deutschland eine Schlüsselposition einnehmen.
Deutschland könnte H2-Knotenpunkt für Europa werden
Denn einerseits liege die Bundesrepublik im Herzen Europas und könne der Knotenpunkt für ein kontinentales Pipeline-Netz sein, das viele dezentrale Groß-Elektrolyseure und Großspeicher für Wasserstoff verbinden soll, erklärte Schulz. Anderseits seien deutsche Unternehmen stark im Anlagenbau – gerade wenn es um neue Umwelttechnologien gehe.
24-Megawatt-Wasserzerteiler soll steigenden Wasserstoff-Bedarf decken
Linde Engineering Dresden selbst sei das beste Beispiel dafür: Die Anlagenspezialisten konstruieren derzeit zusammen mit dem Anfang 2020 in Dresden angesiedelten Gemeinschaftsunternehmen „ITM Linde Electrolysis“ für den Mutterkonzern Linde einen 24-Megawatt-Elektrolyseur in Leuna. Nach der Fertigstellung wird dies die größte Anlage ihrer Art weltweit sein. Linde will damit den steigenden Kundenbedarf an umweltfreundlich („grün“) erzeugtem Wasserstoff für die Chemieindustrie, den Raffinerie-Bedarf sowie Brennstoffzellen-Laster und -Züge befriedigen.
Deutsch-britisches Gemeinschaftsunternehmen verdoppelt Belegschaft in Dresden
Weitere Aufträge für die Dresdner Ingenieure und Ingenieurinnen sind schon absehbar: „Wir haben bereits über 100 Projektmöglichkeiten in der Pipeline“, sagte „ITM Linde“-Chef Andreas Rupieper. „Viele davon sind Elektrolyseure im Megawatt-Bereich, die in Deutschland beziehungsweise Europa entstehen sollen.“ Deshalb möchte Rupieper seine bisher zehnköpfige Belegschaft in Dresden bis zum Jahresende 2021 auf dann 20 Frauen und Männer verdoppeln.
Standort auf Umwelttechnik umprofiliert
Auch „Linde Engineering“ selbst sieht sich auf Wachstumskurs: Die schlechten Jahre, in denen der Standort sogar ganz auf der Kippe stand, seien überwunden, betonte Standort-Chef Schulz. „Wir haben uns zukunftsorientiert neuprofiliert“, sagte er. Wenn die Corona-Krise überwunden sei, werde er die derzeit rund 350 Spezialisten umfassende Mannschaft wahrscheinlich auch wieder verstärken. Er rechnet damit, dass viele Kundenaufträge, die wegen der Pandemie 2020 verschoben worden sind, letztlich für mehr Projekte im Jahr 2021 sorgen werden.
Wurzeln reichen bis zur Tieftemperaturtechnik der 1950er
Für diese Projektgeschäfte kann sich das Team auf eine Expertise stützen, die über Jahrzehnte gewachsen ist: In den 1950ern wurde in Dresden das „Forschungszentrum für Tieftemperaturtechnik“ gegründet. Daraus entstand 1966 der VEB Komplette Chemieanlagen Dresden (KCA). Der beschäftigte zu DDR-Zeiten bis zu 1200 Mitarbeiter und spezialisierte sich vor allem auf Zerlegungsanlagen, die Luft in Sauerstoff, Stickstoff, Edelgase und andere Bestandteile trennen, sowie Olefin- beziehungsweise Polyurethan-Zulieferanlagen.
Linde KCA war 1. deutsch-deutsches Joint Venture
Nach dem Fall der Mauer gingen KCA und Linde 1990 in Dresden das erste deutsch-deutsche Joint-Venture ein. Die „Linde KCA“ war für die Bayern ein Türöffner in den russischen Markt. Erst 2015 wandelte sich das Joint Venture zu einem Unternehmensbereich von Linde Engineering München. Nach fast drei Jahrzehnten schwächelten die traditionellen Geschäftszweige jedoch, zeitweise wollte Linde den Standort Dresden sogar ganz dicht machen. Doch dann kam es anders: Ab 2017 profilierte der neue Chef Dennis Schulz den Komplex an der Bodenbacher Straße um. Er führte lukrative Olefin-Projekte zwar weiter, spezialisierte den Standort aber stärker auf Anlagen für die Behandlung und Verflüssigung von Kohlendioxid-Industrieabgasen sowie die Produktion und Verflüssigung von Wasserstoff.
„Wir sehen in der PEM-Technologie die besten Perspektiven“
„In der Elektrolyse hatten wir allerdings noch eine Lücke“, erzählt Dennis Schulz. Nach einem Vergleich der möglichen Technologiepfade für eine Aufholjagd votierte Linde für die PEM-Technik. Diese Systeme zerlegen Wasser unter Hochdruck und Stromzufuhr in Wasserstoff und Sauerstoff. Für den Ladungstransport und die Gastrennung verwenden sie spezielle Protonen-Membranen. Solche PEM-Wasserzerleger arbeiten umweltfreundlicher als Dampfreformer, die Wasserstoff aus Erdgas gewinnen. Sie sind effektiver als die alten Alkali-Elektrolyseure, aber nicht so aufwendig wie Hochtemperatur-Systeme, die auf über 800 Grad vorgeheizt werden müssen. „In puncto Kosten, Effizienz, Skalierbarkeit und Entwicklungspotenzial sehen wir in der PEM-Technologie die besten Perspektiven“, erklärt „ITM Linde“-Chef Rupieper.
Synergie-Effekte durch PEM-Pfade im Fahrzeugbau erwartet
Ein weiteres Argument: Auch Bosch, Scheffler und andere Automobil-Schlüsselzulieferer setzen auf die PEM-Technologie. Sie bauen damit allerdings keine Elektrolyseure, die Wasser unter Energiezufuhr zerlegen. Sie konstruieren damit PEM-Brennstoffzellen, die mit Wasserstoff und Luft zu Wasser verbinden und dabei Energie für Fahrzeugantriebe liefern. „Nur bei der PEM-Technologie ergeben sich richtige Synergieeffekte zwischen dem Elektrolyseur-Bau und dem Brennstoffzellenbau für Fahrzeuge“, ist Rupieper überzeugt. Zudem lassen sich solche Zellen laut Linde schneller hoch- und herunterfahren als Alkali- oder Hochtemperatur-Systeme und eignen sich daher besser als Zwischenspeicher für die Ökostromspitzen in den Energienetzen.
Ziel: Marktführerschaft bei hocheffizienten Elektrolyseuren
Letztlich entwickelte Linde aber kein eigenes PEM-System von Grund auf neu, sondern entschied sich für die Technik von ITM. Das Unternehmen gründete mit den Briten ein Joint Venture. Dieses Gemeinschaftsunternehmen siedelte sich in Dresden an – unter anderem wegen der vielen Institute in Dresden, die als Forschungspartner und Quelle junger Talente für ITM und Linde wichtig sind. Der Großelektrolyseur in Leuna war dann der erste Großauftrag nach der Ansiedlung – ein weiterer Erfolg für den Standort. Nun möchten „ITM Linde“ und „Linde Engineering“ gemeinsam von Dresden aus ihre Marktposition weiter ausbauen. In den nächsten fünf Jahren wollen wir die Investitionskosten für Elektrolyseure halbieren“, kündigte Rupieper an. „Und wir wollen Marktführer bei der Effizienz von PEM-Elektrolyseuren werden.“
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Linde, ITM Linde, Linde Engineering (Vor-Ort-Interview), ITM, Wikipedia, Oiger-Archiv
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