Bildband „Dresden in Photographien des 19. Jahrhunderts“ bezeugt radikale Modernisierung der Stadt – und die bereits in der Kaiserzeit wachsenden Bilderfluten
Dresden. Wie stark sich die sächsische Residenzstadt in der Kaiserzeit gewandelt hat, dokumentiert ein Bildband über „Dresden in Photographien des 19. Jahrhunderts“. Andreas Krase veröffentlicht darin auch einige erstmals publizierte Dresden-Lichtbilder. Und der Kurator der Technischen Sammlungen Dresden berichtet im Buch darüber, auf welch spektakuläre Methoden die Knipser der Kaiserzeit setzten, um zum Beispiel Luftbilder von Dresden zu ergattern. Insofern zeigt dieser Bildband eben auch, dass nicht erst die Beeinflusser und Instagramer des Digitalzeitalters auf die Idee kamen, mit großem Aufwand publikumswirksame Hingucker-Motive zu inszenieren.
Mag Facebook bei Jugendlichen auch an Ansehen und Relevanz verlieren, weil es einfach uncool ist, dort mit seinen Eltern befreundet zu sein, so werden doch auf dieser Plattform noch immer 300 Millionen Fotos hochgeladen – täglich. Und doch drängt sich die Frage auf, was von dieser flüchtigen Bilderflut bleibt, was auf all den Clouds und Festplatten überdauern wird. Den Maßstab für den Wert alter Fotografien hat der Humorist und „Philosoph“ Karl Valentin, der auch ein Bildersammler war, schon vor über 100 Jahren definiert. Ein altes Bild von München sei mehr wert als ein Brillant, sagte Valentin, der allerdings noch nicht wissen konnte, dass Marilyn Monroe, Ertha Kitt und Kylie Minogue mal versichern würden, dass Diamanten der beste Freund eines Mädchens seien.
Mit den ersten Kameras begann die Dresden-Fotoflut
Ähnlich schaut die Sache aus, wenn es sich, fototechnisch, um Dresden handelt, das wieder und wieder abgelichtet wurde, sobald die Technik dazu vorlag. Einer der ersten Fotografie-Pioniere war der in der schlesischen Metropole Breslau aufgewachsene Hermann Krone, der 1853 in Sachsens Landeshauptstadt ein Fotostudio sowie eine private fotografische Lehranstalt eröffnete. „Elbflorenz“ hatte schon damals einen legendären Ruf und war daher das Ziel vieler Touristen.
Residenzstadt war berühmt für ihre photographische Industrie
Ab etwa 1870 veränderte sich das Stadtbild so rasant wie radikal – außer im unmittelbaren Umfeld von Schloss, Theaterplatz, Neumarkt und Altmarkt. Abrisse und Durchbrüche für neue Verkehrswege, diverse monumentale Bauen, großflächige Fabrik- und Militärareale sowie allerlei Eingemeindungen machten aus Dresden eine moderne Großstadt mit entsprechender Einwohnerzahl. Zu den Pfunden, mit denen Dresden wuchern konnte, zählten nicht nur Kunst und Kultur sowie die schönen Landschaften in der Umgebung, sondern auch viele Produkte der ortsansässigen Industrie. Schon früh wurden hier Fotoapparate produziert, weshalb Max E. R. Bruenner 1923 den Lesern der Zeitschrift „Photo Era“ versichern konnte, dass die Stadt Dresden in der Welt berühmt für ihre photographische Industrie sei.
Der renommierte Münchner Verlag „Schirmer/Mosel“ hat nun zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung einen Fotoband vorgelegt. Der erzählt von den architektonischen Brüchen, Verlusten und Errungenschaften des 19. Jahrhunderts und lässt die im Zweiten Weltkrieg weitgehend untergegangene Stadt zumindest auf dem Papier wiedererstehen. Damit setzt dieser Band eine Serie des Verlags zu deutschen Städten in Fotografien aus dem 19. Jahrhundert fort. 1986 hatte der Verlag bereits in Zusammenarbeit mit dem Verlag der Kunst bereits den Dresdner Fotografen August Kotzsch gewürdigt.
4 Canaletto-Gemälde schlagen Bogen zurück in den Barock
Die neue Publikation schildert in kommentierten Fotografien, von denen ein großer Teil sogar erstmals publiziert wird, die Entwicklung Dresdens zwischen 1850 und 1916. Vier Gemälde von Canaletto, die (wie zehn weitere Dresden-Ansichten) um 1750 entstanden und mit ausgewählten Fotografien korrespondieren, erweitern die zeitliche Dimension zurück in die „klassische“, weil barocke Vergangenheit.
Werbung war bereits omnipräsent im Stadtbild
So manches Foto räumt mit lieb gewordenen Mythen auf. Heute mag Werbung vielfach greller sein, im Stadtbild omnipräsent war sie schon in der „guten alten Zeit“. Ein Foto zeigt Reklame für „Dresdner Feldschlößchen-Lager – unübertroffen in Gehalt und Geschmack“ – und sie zieht sich über die gesamte Brandwand eines Hauses. Andererseits gibt es noch keine Graffiti und Tags. Und es liegt so gut wie kein Abfall auf den Straßen, die mit Sicherheit nicht vor jedem Foto noch mal eigens vom Zivilisationsmüll gekehrt und geräumt wurden.
Ratsarchivar Richter begründete Bildsammlungen
Der den Abbildungen im Buch vorangestellte Aufsatz „Dresden in historischen Photographien“ von Andreas Krase würdigt nicht nur bekannte Fotografen wie Hermann Krone, sondern auch einen Mann wie Otto Richter. Der war Historiker – und Gründungsdirektor des Dresdner Stadtmuseums. Ab 1879 war er als Ratsarchivar in der Stadtverwaltung angestellt und setzte sich intensiv für die Schaffung von Stadtbildsammlungen ein. In der Phase vor der Gründung des Stadtmuseums sorgte er als Mitglied und Vorsitzender des Dresdner Geschichtsvereins für die Übernahme von Bildsammlungen zur Stadtgeschichte, entweder durch Schenkung oder durch Ankäufe.
Apotheker setzte Tauben als fliegende Fotografen ein
Ein Fotograf, der mit seinen Bildern von Dresden für Aufsehen sorgte, war der Apotheker, Amateurfotograf und Papierfabrikgründer Julius Neubronner aus Kronberg im Taunus. Er ließ nach genau festgelegten Parametern Brieftauben starten, die miniaturisierte Kameras beförderten, die mittels Zeitauslöser Aufnahmen des jeweils überflogenen Gebietes machten. Dieser Methode sind etwa aparte Aufnahmen vom Ausstellungsgelände der Messe zu verdanken, die auch als Postkarten vertrieben wurden. Dabei betont Autor Krase aber auch, dass es bei Neubronners Experimenten in Sachen Flugfotografie nicht in erster Linie um Unterhaltung gegangen war, sondern um einen möglichen Nutzen des Verfahrens für militärische Aufklärungszwecke.
Auch Tests mit Raketen-Fotografie
Im Übrigem stand Neubronners Version der „Brieftaubenphotographie“ in Konkurrenz zu einer anderen Attraktion, die ebenfalls Ansichten aus der Höhe liefern sollte. Der Dresdner Ingenieur Alfred Maul stellte die technischen Vorrichtungen und Bildergebnisse der von ihm entwickelten Methode der Raketenfotografie vor, musste jedoch aus Sicherheitsgründen auf Vorführungen verzichten.
Andere Kapitel im Buch stellen die architektonischen Wahrzeichen der Residenz und ihre ästhetische Ausstrahlung als Bildmotive vor. Die Fotos dazu zeigen beispielsweise, wieviel Bausubstanz die Baulöwen des 19. Jahrhunderts um den Postplatz, den früheren Wilsdruffer Thorplatz abtrugen, um ihn mit dem Altmarkt zu verbinden. „Die Rigorosität, mit der diese Maßnahmen angegangen wurden, erstaunt“, schreibt Krase. „Doch ist sie ein Merkmal ähnlicher Modernisierungsmaßnahmen in vielen großen Städten Europas.“
Städtebauliche Modernisierung und der Aufstieg zu einer wichtigen Ausstellungsstadt verliefen in Dresden nahezu parallel. Zur Kaiserzeit und sogar noch in den 1920ern war Dresden ein wichtiger Veranstaltungsort für Messen und Ausstellungen. Fotografen dokumentierten diese Großereignisse damals ausführlich und verbreiteten ihre Bilder mittels populärer Postkartenserien öffentlich.
Weltfotoausstellung 1909 in Dresden
Das galt indes „seltsamerweise weniger für die Ausstellung, die die Photographie zur ihrem Hauptthema erklärte“, konstatiert Krase. Die „Internationale Photographische Ausstellung Dresden 1909“ galt und gilt vielen als das herausragende europäische Fotoausstellungsereignis vor dem Ersten Weltkrieg. Als Weltausstellung konzipiert, bot die Schau einen „enzyklopädischen Querschnitt des Mediums in seinen technologischen Grundlagen und seinen Anwendungsgebieten“.
Der „Imperator“: Das zukunftsweisende Modell eines Kinoprojektors
Mit Exponaten von 1600 Ausstellern aus 20 Ländern blieb sie auch dem Umfang nach lange unübertroffen. Wie Krase schreibt, nutzte die Dresdner Photo- und Kinoindustrie die Gelegenheit, um ihre Leistungsfähigkeit in sämtlichen Belangen darzustellen. So war etwa die Heinrich Ernemann AG für Camerafabrikation mit einer großen Ausstellung sowie einem eigenen „Kino-Theater“ vertreten und stellte mit dem „Imperator“ das zukunftsweisende Modell eines Kinoprojektors vor.
Andreas Krase: Dresden in Photographien des 19. Jahrhunderts. Schirmer / Mosel Verlag, 312 Seiten, 254 Abb. in Duotone und Farbe, 49,80 Euro
Autor der Rezension: Christian Ruf
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