Brötchen backen, Autos bauen: „Campus Genius“ spannt Roboternetze in den Betrieben auf
Dresden, 14. August 2020. Immer mehr Betriebe wollen ausprobieren, wie sie mit 5G-vernetzten Robotern effektiver Autos bauen, Container umschlagen oder gar Brötchen backen können. Der Mobilfunk der 5. Generation (5G) eröffnet dafür ganz neue Chancen: Er ist weit reaktionsschneller als der veraltete LTE-Standard und kann in jeder Fabrik Hunderte, ja gar Tausende Maschinen, Werkstücke, Roboter und autonome Transporter gleichzeitig koordinieren. Zudem lassen sich damit „Campus-Netze“ aufspannen, die vom öffentlichen Mobilfunk abgeschottet sind, um Industriespione abzuwehren. Weil die Nachfrage groß ist, hat das „Exzellenz-Centrum für taktiles Internet“ (Ceti) der TU Dresden nun eigens dafür ein Unternehmen namens „Campus Genius“ ausgegründet. Das haben Thomas Höschele und Sebastian Itting vom Ceti mitgeteilt.
Aus dem Demo-Container wurde ein Unternehmen
Das Team entwickelt, vertreibt und betreut nun Campusnetz-Kerne und Container für die „Industrie 4.0.“ Dabei handelt es sich um mobile 5G-Sendestationen im Frequenzfenster zwischen 3,7 und 3,8 Gigahertz. Ingenieure der TU Dresden hatten solche Container ursprünglich zu Anschauungszwecken konstruiert, um Partnern und Besuchern zeigen zu können, wie ein Campusnetz funktioniert. Sie lassen sich mit einem speziellen Auto-Anhänger an jeden beliebigen Ort transportieren, zum Beispiel in eine Fabrik oder auf einen Bauernhof, um dann dort neueste Automatisierungs- und Robotik-Lösungen längere Zeit zu testen. Innerhalb von Gebäuden reicht solch ein Netz bis zu 100 Meter weit, draußen ist es maximal ein Kilometer.
Keine Lehrlinge gefunden: Nun platziert ein 5G-Roboter die Teiglinge in der Bäckerei
Im Einsatz war solch ein System beispielsweise erst jüngst bei einem Bäcker in Görlitz, den Nachwuchssorgen plagten: „Der Mann hat keine Lehrlinge mehr gefunden, die in aller Frühe aufstehen, um Brötchen zu backen“, erzählt Thomas Höschele. Daraufhin rückte das Ceti-Team mit dem 5G-Container an und spannte ein Campusnetz auf. Dann lernten die Kollegen von „Wandelbots“ aus Dresden die Roboter als Brötchenbäcker an, die bei Bedarf auch mit menschlichen Kollegen Seit an Seit arbeiten können. Die Lehrlinge aus Stahl und Kunststoff beherrschen nun zwar nicht alles, was ein Mensch schafft, können aber langweilige Arbeiten problemlos übernehmen – etwa mitten in der Nacht die Brötchenteiglinge auf Ofenbleche zu heben. „So ein Roboter kann 2000 bis 3000 Teiglinge pro Schicht auf den Blechen platzieren“, berichtet Höschele. Anders als ein menschlicher Lehrling komme der Roboter nie zu spät zur Arbeit und verdufte nicht zur Raucherpause. „Wir freuen uns schon auf die Kostensenkungen für unsere Bäcker.“
Denn auch um dieses Handwerk macht die Globalisierung keinen Bogen. Längst stehen Sachsens Bäcker unter dem harten Wettbewerbsdruck riesiger Teiglingsfabriken aus Osteuropa und Fernost.
Robotik-Schub im Mittelstand erwartet
Die Ingenieure vom Ceti und dessen Ableger „Campus Genius“ hoffen daher, dass das Beispiel aus Görlitz im ganzen Mittelstand Schule macht. Sie prognostizieren, dass künftig neben der Großindustrie auch viel mehr Handwerker und Kleinbetriebe neuartige kollaborative Roboter und 5G-Technologien einsetzen, um dem Fachkräftemangel und der internationalen Konkurrenz Paroli zu bieten. Selbst einen robotischen Barkeeper haben sie schon angelernt – allerdings noch keine Bar gefunden, die ihn anheuern will. Dafür haben sich erste Kunden aus der Autoindustrie und Chemieindustrie gemeldet, die gerne Campusnetze von Dresdner 5G-Spezialisten haben wollen. Mittlerweile hat „Campus Genius“ zehn Mitarbeiter und dürfte wohl bald weiter wachsen.
Beispiel Roboter-Barkeeper im Video (hw):
Wegen Spionage-Angst: Viele Kunden wollen nur 5G-Technik aus Europa
Dass sich die junge Firma so rasch herumgesprochen hat, hat sicher mit der technologischen Pionierrolle des „5G Lab Germany“ der TU Dresden zu tun, aber auch mit der Kundenorientierung des Teams: Um ihre Netze aufzuspannen, setzt „Campus Genius“ beispielsweise keine umstrittene Technik ein, sondern europäische oder südkoreanische Markenprodukte nebst Eigenentwicklungen. „Unsere Kunden müssen sich absolut sicher sein, dass ihre Daten nicht irgendwohin abfließen“, erläutert Sebastian Itting. „Deshalb bauen wir nur Technik von Nokia, Ericsson oder Samsung ein – je nachdem, vorauf der Kunde vertraut.“
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vor-Ort-Recherche Ceti, TUD, Wandelbots, Oiger-Archiv
Zum Weiterlesen:
Mensch in der Schleife: Was macht eigentlich das Exzellenzzentrum Ceti in Dresden?
Wandelbots entwickelt Anlernstifte für Roboter
Professorin will 1. sächsischen Schreitroboter bauen
Ihre Unterstützung für Oiger.de!
Ohne hinreichende Finanzierung ist unabhängiger Journalismus nach professionellen Maßstäben nicht dauerhaft möglich. Bitte unterstützen Sie daher unsere Arbeit! Wenn Sie helfen wollen, Oiger.de aufrecht zu erhalten, senden Sie Ihren Beitrag mit dem Betreff „freiwilliges Honorar“ via Paypal an:
Vielen Dank!
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.