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VW will weltweit Inkubatoren à la Dresden einrichten

VW hat einen Inkubator für innovative Mobilitäts-Konzepte in der Gläsernen Manufaktur Dresden eingerichtet, in der auch der neue eGolf produziert wird. Foto. VW

VW hat einen Inkubator für innovative Mobilitäts-Konzepte in der Gläsernen Manufaktur Dresden eingerichtet, in der auch der neue eGolf produziert wird. Foto. VW

„Frischzellen-Kur für Volkswagen“: Mehr als jedes vierte Inkubator-Projekt aus der Manufaktur führte zu greifbaren Erfolgen – 5 Beispiele im Kurzporträt

Dresden, 8. juli 2020. Der Firmenausbrüter in der gläsernen VW-Manufaktur in Dresden hat sich für den Autokonzern als Erfolgsmodell erwiesen. „Das Inkubatorprogramm ist wie eine Frischzellen-Kur für Volkswagen“, schätzte Manufaktur-Innovationschef Marco Weiß ein. Mehr als jedes vierte in Dresden betreute Projekt mündete in eine längerfristige Partnerschaft mit VW. Nun will der Konzern wegweisende „Start-ups“ weltweit nach dem Dresdner Vorbild ausbrüten. Das Konzept dabei: Innovative kleine Firmen bekommen Gratis-Büroräume in der Autofabrik. Dort können sie binnen sechs Monaten mit professioneller VW-Unterstützung neue Technologien zur Marktreife führen und Partner für ihre Geschäftskonzepte finden.

Neue Inkubatoren in China, Afrika und Amerika geplant

„Die Überlegung ist, dieses Inkubatormodell auf andere Regionen zu übertragen“, teilte Weiß mit. Zur Debatte steht demnach, ähnliche Brüter für innovative Mobilitätskonzepte zum Beispiel in Afrika, Nordamerika und in China einzurichten. „Allerdings ist dabei zu bedenken, dass Mobilität in anderen Ländern eben auch anders funktioniert“, betonte er.

Marco Weiß, Vertriebsleiter der VW-Manufaktur Dresden, zeigt die Navi-App UMA. Foto. Heiko Weckbrodt

Marco Weiß, Vertriebsleiter der VW-Manufaktur Dresden, zeigt eine Navi-App. Foto. Heiko Weckbrodt

Voraussichtlich würden daher die neuen Firmenbrütern auf anderen Kontinenten zwar von Dresden aus betreut und ausgebildet, ergänzte Inkubator-Spezialist Johannes Rönsberg. Sie sollen dann jedoch selbstständig agieren.

Mehr ein Akzelerator als ein Ausbrüter

Kritiker hatten zwar in der Vergangenheit davor gewarnt, dass derartige Startup-Förderprogramme in großen Unternehmen den Gründern oft wenig nützen und zu nutzlosen Hobbyprojekten von Konzernmanagern verkommen würden. Volkswagen allerdings kann unterm Strich mit dem Brutprogramm in Dresden tatsächlich zufrieden sein – obgleich nicht jedes Jungunternehmen alle Erwartungen erfüllte. Dass das Konzept letztlich funktionierte, liegt vielleicht auch daran, dass der VW-Inkubator in Dresden eigentlich eher ein „Akzelerator“ als ein Brüter ist: Hier werden keine neuen Firmen gegründet, sondern bereits verheißungsvolle Jungunternehmen herausfischt und deren Entwicklung beschleunigt.

Nicht mehr nur Mobilität im Fokus

Zudem haben die Betreuer manche Ursprungsidee, die in der Praxis nicht so recht funktionierte, rechtzeitig umgemodelt. „Anfangs haben wir uns zum Beispiel nur auf Gründungen konzentriert, die sich mit neuen Mobilitätskonzepten beschäftigt haben“, erzählt Johannes Rönsberg. „Aber uns ist dann klar geworden, dass wir damit auch andere wichtige Themen wie Nachhaltigkeit und Automatisierung fördern können.“

Ein Drittel für Sachsen

Auch wählte ursprünglich eine Jury in öffentlichen Präsentationen die Start-ups für den Inkubator aus. Erst während der recht kurzen Zeit in Dresden schälten sich dann konkrete Projekte heraus. Dadurch ging Zeit verloren und manche Idee offenbarte sich zu spät als zu vage. Seit die Konzern-Fachabteilungen dies erkannt haben, loten sie schon im Vorfeld mit den Kandidaten jene Projekte aus, die binnen eines halben Jahres wirklich schaffbar und für VW nützlich sind. „Unser Anspruch ist dabei, dass wir von jeweils sechs Start-ups pro Klasse mindestens zwei bis drei auswählen, die eine gute Idee für uns hier in Sachsen im Gepäck haben“, betonte Weiß. Auch fokussiert sich VW nicht mehr wie anfangs nur auf finanzielle Beteiligungen, sondern auch auf andere Partnerschaftsmodelle für erfolgreiche Brutprojekte.

22 bis 30 Prozent Erfolgsquote

Zwar hat dieses modifizierte Konzept – anders als von städtischen Wirtschaftsförderern erhofft – noch nicht zu Neuansiedlungen in Dresden geführt. Für VW indes hat es sich bewährt: Seit der Inkubator-Eröffnung im Sommer 2017 sind insgesamt 22 Jungunternehmen durch den Dresdner Manufaktur-Brüter gegangen, fünf weitere folgen gerade. Daraus haben sich bisher fünf konkrete Folgeprojekte mit konkretem Nutzen für beide Seiten ergeben. Drei bis fünf weitere Unternehmen sind derzeit in der engeren Wahl für eine VW-Partnerschaft. Daran gemessen., liegt die Trefferquote zwischen 22 und 30 Prozent. „Diese tollen Quoten beweisen uns: Das ist ein Erfolgsmodell“, betonte Manufaktur-Sprecher Jonas Wetzel.

Die fünf Erfolgs-Brütlinge im Überblick:

Christoph Alt ist der Chef von Ligenium Chemnitz. In der VW-Manufaktur Dresden entwickelt er unter anderem solche Rollregale (fachsprachlich "Ladungsträger" genannt) aus Holz statt Stahl. Foto: Heiko Weckbrodt

Christoph Alt ist der Chef von Ligenium Chemnitz. In der VW-Manufaktur Dresden hat er unter anderem solche Rollregale (fachsprachlich „Ladungsträger“ genannt) aus Holz statt Stahl entwickelt. Foto: Heiko Weckbrodt

Ligenium

„Ligenium“ aus Chemnitz gehörte im Sommer 2019 zur Inkubatorklasse 4. Seither konstruieren die jungen Ingenieure hölzerne Autoteile-Träger und andere Holzkomponenten für VW Sachsen und für Porsche. Anfragen gibt es auch von Bugatti, Lamborghini und Bentley. Die Autobauer wollen dadurch eine umweltfreundlichere und leichtere Alternative zu Stahl- und Plaste-Rollregalen in ihren Fabriken entwickeln.
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Martin Wesner und Richard Vetter von "Carl und Carla" erproben im Inkubator der VW-Manufaktur Dresden neue Geschäftsmodelle für ihren Nutzfahrzeug-Carsharing-Dienst. Foto: Anja Schneider

Martin Wesner und Richard Vetter von „Carl und Carla“ haben im Inkubator der VW-Manufaktur Dresden neue Geschäftsmodelle für ihren Nutzfahrzeug-Carsharing-Dienst getestet. Foto: Anja Schneider

Carl und Carla

„Carl und Carla“ aus Dresden gehörten zur 1. Inkubator-Klasse im Sommer 2017. Die damals in der Brutphase ausgedachte Idee, ihren Kleintransporter- und Busverleih nach dem Carsharing-Prinzip nicht nur Studenten, sondern auch Handwerkern schmackhaft zu machen, ging zwar nicht auf: Die Monteure hatten keine Lust, ihrer Werkzeuge ständig ein- und auszuräumen. Dennoch öffnete die Partnerschaft den Dresdner Studenten viele Türen, bescherte VW zusätzliche Geschäfte und half bei der raschen Expansion von „Carl und Carla“ deutschlandweit: Inzwischen hat das Unternehmen 700 Fahrzeuge, 2021 soll die Flotte auf über 1000 Kleinbusse und -transporter wachsen, darunter elektrische eCrafter und demnächst auch Lastendreiräder von Tretbox.
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Elektrisches Lastendreirad von Ono alias Tretbox. Abb.: Ono

Elektrisches Lastendreirad von Ono alias Tretbox. Abb.: Ono

Ono

„Ono“ (früher: „Tretbox“) aus Berlin war in der 2. Inkubatorklasse im Herbst 2017. Das Unternehmen entwickelt elektrische Lastendreiräder für einen umweltfreundlichen Stadtverkehr. Das Konzept gefiel VW so gut, dass der Konzern über eine Tochtergesellschaft bei Tretbox finanziell eingestiegen ist. Größere Pilotprojekte sollen demnächst in Berlin und in Süddeutschland starten. In der Hoffnung auf internationale Kunden hat sich die Firma inzwischen in Ono umbenannt.
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Ein Parkplatz-Sensor von „Smart City System“ und eine Ladesäule für Elektroautos neben der gläsernen VW-Manufaktur Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Smart City System

Smart City System“ aus Fürth hat mit dem Erfolg, was große Konzerne wie Daimler und Bosch nie so richtig geschafft haben: Das Unternehmen baut alltagstaugliche Bodensensoren, die an Parkplatzbetreiber weitermelden, ob und wie lange ein Auto einen Stellplatz belegt. Der Eleve der Inkubatorklasse 1 realisierte seither zahlreiche Pilotprojekte in Dresden. Die Firma spickte mit seinen Sensoren zum Beispiel „Park & Ride“-Parkplätze des „Verkehrsverbundes Oberelbe“ (VVO), der VW-Manufaktur und vieler Supermärkte. VW speist diese Sensordaten beispielsweise in seine Parkplatz-App. Auch will Volkswagen Sachsen die Sensoren künftig stärker nutzen, um die Abholer von Elektroautos „Made in Sachsen“ zu freien Ladesäulen zu lotsen.
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ChargeX-Gründer Tobias Wagner testet seine "Aqueduct"-Ladepunkte für Elektroautos in der Manufaktur-Tiefgarage von Volkswagen in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

ChargeX-Gründer Tobias Wagner testet seine „Aqueduct“-Ladepunkte für Elektroautos in der Manufaktur-Tiefgarage von Volkswagen in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

ChargeX

Für ChargeX aus München hat sich die Zeit in der 2. Inkubator-Klasse in Dresden besonders gelohnt: VW wurde dadurch zum Kunden und Vertriebspartner für die Ladesäulen-Stromverteiler der Bayern. Denn mit deren „Aqueduct“-System lassen sich mit jedem Hauptkabel bis zu sieben Ladestationen für E-Autos – in Reihe geschaltet – mit Strom versorgen. VW rüstet damit unter anderem Parkplätze an der Manufaktur in Dresden, auf dem Zwickauer Fabrikgelände und an weiteren Konzernstandorten aus. Demnächst sollen weitere Installationen bei großen Energieversorgern und Wohnungsunternehmen folgen.
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Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Interviews und Vor-Ort-Termine in der VW-GMD, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt