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Fraunhofer richtet Zentrum für künstliche Neuronen in Dresden ein

Blick in den Reinraum der ehemaligen Plastic-Logic-Fabrik, der nun für das Fraunhofer CNT 2.0 und das Zentrum für neuromorphes Computing umgebaut wird.  Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in den Reinraum der ehemaligen Plastic-Logic-Fabrik, der nun für das Fraunhofer CNT 2.0 und das Zentrum für neuromorphes Computing umgebaut wird. Foto: Heiko Weckbrodt

Forscher stecken 77 Millionen Euro in stillgelegte Digitalpapier-Fabrik

Dresden, 1. Juli 2020. Fraunhofer richtet für 77 Millionen Euro ein Zentrum für neuromorphe Computertechnologie in einem ehemaligen Digitalpapier-Werk im Dresdner Norden ein. Die Forscher wollen dort neuartige Chips mit „künstlicher Intelligenz“ (KI) entwerfen. Das haben der sächsische Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) und Prof. Hubert Lakner vom Fraunhofer-Photonikinstitut IPMS bei einem Besuch in der früheren „Plastic Logic“-Fabrik angekündigt.

Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow vor dem Fraunhofer CNT 2.0. Foto: Heiko Weckbrodt

Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow vor dem Fraunhofer CNT 2.0. Foto: Heiko Weckbrodt

Landesregierung hofft auf jobträchtige neue Industrien

Das Zentrum ist ein Mosaikstein in der sächsischen KI-Strategie, mit der die Landesregierung neue Wirtschaftsketten im Freistaat etablieren möchte. „Künstliche Intelligenz ist eine wichtige Zukunftstechnologie, die für die Wertschöpfung von morgen sorgt“, betonte Gemkow. „Wir dürfen nicht zulassen, dass wir im internationalen Wettbewerb abgehängt werden.“ Er sei er aber zuversichtlich, dass „wir in diesem internationalen Konzert mitspielen können“.

Keine Kampfansage gegen Google & Co. – Sachsen spezialisieren sich lieber

Gegen KI-Riesen wie Google, Amazon, Alibaba, Apple, Nvidia, IBM oder Tesla haben die Sachsen zwar keine Chance – der Abstand ist längst zu groß. Aber Forscher und Firmen im Freistaat haben sich beizeiten auf vielversprechende Spezialitäten konzentriert: auf die Auswertung riesiger Experimentaldatenfluten beispielsweise und künstliche Nervenzellen (Neuronen).

Uwe Gäbler leitet das KI-Entwicklungszentrum von Infineon Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Uwe Gäbler leitet das KI-Entwicklungszentrum von Infineon Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Abkehr von der „Von-Neumann-Architektur“, hin zur Vor-Ort-KI

Konkret wollen die Fraunhofer-Forscher in der ehemaligen E-Papier-Fabrik neuartige Elektronik entwerfen, die den Nervenzellen im menschlichen Gehirn nachempfunden ist. In solchen künstlichen Neuronen sind zum Beispiel Speicher und Rechenwerk nicht mehr voneinander getrennt, wie es in heutigen Computern mit ihrer „Von-Neumann-Architektur“ noch üblich ist. Derartige Neurochips sollen große Teile der Datenfluten in modernen Smartphones, automatischen Kraftfahrzeugen, Robotern und Medizingeräten gleich dort auswerten, wo sie entstehen: an den Sensoren. Nach dieser Vorverarbeitung leiten sie nur noch ihre Schlussfolgerungen statt der Rohdaten an die nächste Rechnerwolke („Cloud“) weiter. „Solche ,Edge-KI’-Lösungen machen es möglich, Sensordaten energieeffizienter und sicherer auszuwerten, weil zum Beispiel Bilddaten gleich an den Kamerasensoren verarbeitet und gar nicht mehr weitergeleitet werden“, erklärte Uwe Gäbler, der Chef des neuen KI-Entwicklungszentrums von Infineon Dresden, der eng mit den Fraunhofer-Ingenieuren zusammenarbeitet. „Ich sehe in der Entwicklung solcher Hardware große Chancen für den Standort.“

Uwe Gäbler von Infineon (l.) , Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow und IPMS-Chef Hubert Lakner im entstehenden Reinraum des Fraunhofer CNT 2.0. Foto: Heiko Weckbrodt

Uwe Gäbler von Infineon (l.) , Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow und IPMS-Chef Hubert Lakner im entstehenden Reinraum des Fraunhofer CNT 2.0. Foto: Heiko Weckbrodt

Infineon braucht CNT-Reinraum selbst, stillgelegte E-Papier-Fabrik lockte

Um solche Innovationen anzuschieben, sind indes einige Rochaden und Neuausrichtungen nötig: Herzstück des neuen Zentrums wird das Nanoelektronik-Zentrum „CNT“, das seit einigen Jahren zum Fraunhofer-Institut für photonische Mikrosysteme (IPMS) gehört. Das CNT war bisher in den Infineon-Fabriken in Dresden-Klotzsche untergebracht. Diesen Reinraum braucht der Halbleiterkonzern nun aber selbst. Unter dem Arbeitstitel „CNT 2.0“ zieht dieses Zentrum daher mit 70 Mitarbeitern zum Jahresende 2020 in die ehemalige Fabrik für elektronisches Papier, die das Unternehmen „Plastic Logic“ mangels Erfolg stillgelegt hat. Dieses Umzugsprojekt finanziert der Freistaat. Weitere Gelder kommen von der EU und vom Bund.

Die ehemalige Plastic-Logic-Fabrik wird nun für das Fraunhofer CNT 2.0 und das Zentrum für neuromorphes Computing umgebaut Foto: Heiko Weckbrodt

Die ehemalige Plastic-Logic-Fabrik wird nun für das Fraunhofer CNT 2.0 und das Zentrum für neuromorphes Computing umgebaut Foto: Heiko Weckbrodt

Auch künftig werden die Fraunhofer-Nanoelektroniker am neuen Standort Forschungsprojekte für Globalfoundries, BASF, Bosch und andere Branchengrößen vorantreiben, betonte IPMS-Chef Lakner. Strategisch will er das CNT aber eben zu einem Zentrum umprofilieren, das neuromorphe Chips und andere KI-Hardware entwickelt.

Blick in die "Subfab" unter dem Reinraum der ehemaligen Plastic-Logic-Fabrik, der nun für das Fraunhofer CNT 2.0 und das Zentrum für neuromorphes Computing umgebaut wird.  Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in die „Subfab“ unter dem Reinraum der ehemaligen Plastic-Logic-Fabrik, der nun für das Fraunhofer CNT 2.0 und das Zentrum für neuromorphes Computing umgebaut wird. Foto: Heiko Weckbrodt

2023 entsteht erster Anbau

Dieses Zentrum wird zunächst 3000 der insgesamt 5000 Quadratmeter des vormaligen Plastic-Logic-Reinraums aufrüsten, mit seinen Chipmaschinen belegen und den Anlagenpark erweitern. Für 2023 plant Lakner einen ersten Anbau und eine Bürocontainer-Burg neben der Fabrik, um die CNT-Belegschaft auf bis zu 110 Mitarbeiter vergrößern zu können. Für eine spätere Expansionsphase haben sich die Forscher nebenan ein Areal für einen weiteren, größeren Anbau reserviert. „Dann könnte das Zentrum auf bis zu 350 Mitarbeiter wachsen“, skizzierte Lakner seine Vision. In diesen Anbau könnte dann auch das Fraunhoferzentrum „ASSID“ aus dem benachbarten Boxdorf expandieren, das auf 3D-Chips und Chipmontage spezialisiert ist.

Prof. Hubert Lakner. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Hubert Lakner. Foto: Heiko Weckbrodt

Millioneninvestitionen für Sachsens KI-Aufholjagd

Insgesamt fließen derzeit dreistellige Millionenbeträge in den Versuch des Freistaats, in den KI-Technologien den Anschluss zu schaffen und in ausgewählten Nischen Führungspositionen zu erringen. Dazu gehört der 20 Millionen Euro teure Ausbau des Big-Data-Kompetenzzentrums „Scads“ in Dresden und Leipzig zu einem „Zentrum für Big Data und Maschinelles Lernen“, in diesem Zuge finanziert der Freistaat an den beiden Unis auch acht neue KI-Professuren. Außerdem gründet die Fraunhofer-Gesellschaft ein Zentrum für Kognitive Produktionssysteme (CPS) in Dresden und Chemnitz. Auch richten Fraunhofer und TU Dresden ein gemeinsames „Center for Explainable and Efficient AI Technologies“ (CEE AI) ein. Und das Helmholz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) spezialisiert sich derzeit innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft auf ausgewählte KI-Themen. Derweil bauen die TU Dresden und Globalfoundries für acht Millionen Euro den „Spinnaker 2“ – einen Supercomputer nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns.

Jens Drews. Foto: Silicon Saxony

Jens Drews. Foto: Silicon Saxony

Auch Globalfoundries ist einverstanden

Dass sich nun ebenfalls das CNT auf die KI-Forschung einschießt, ist auch für den Chiphersteller „Globalfoundries“ (GF), der sich wegen seines eigenen Forschungsbedarfs im Jahr 2012 sehr für den CNT-Erhalt engagiert hatte, kein Problem: „Fraunhofer ist ein verlässlicher Partner“, betonte GF-Sprecher Jens Drews auf Oiger-Anfrage. „Was wir gemeinsam aufgebaut haben, ist beachtlich.“ Das Gewicht dieser Kooperation lasse sich daran messen, dass GF ab 2018 mit dem 17 Millionen Euro teuren Emma-Projekt den größten Industrieauftrag erteilt habe, den die Fraunhofer-Gesellschaft in ihrer ganzen Geschichte bekommen habe. „Zudem fließt vieles von dem, was wir hier in Dresden produzieren, letztlich ohnehin in KI-Produkte.“ Der neue Schwerpunkt auf künstliche Intelligenz im CNT 2.0 sei insofern nachvollziehbar: „Das Thema liegt in ganz Europa in der Luft.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Termin, SMWK, Glofo, IPMS, Infineon, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt