Dresdner Physiker arbeiten in einem neuen SAW-Labor an Alternativen zur klassischen Mikroelektronik.
Dresden, 2. Juli 2020. Während die Mikroelektronik-Industrie ihre Fortschritte jahrelang noch in Gigahertz und Transistor-Dichte gemessen hat, bauten Dresdner Spezialisten in aller Ruhe eine ganz andere, eine exotische, aber lukrative Chiptechnologie auf: Mit akustischen Oberflächenwellen, englisch „Surface Acoustic Waves“ (SAW) genannt, konstruierten sie Filter-Chips für Farbfernseher und Handys, die keine Stromzufuhr brauchen. Diese Entwicklung setzte zu DDR-Zeiten ein und sorgt bis heute in Dresden für Jobs, Reputation und Forschungskraft. Was nur wenige wissen: In vielen Smartphones bekannter internationaler Marken, die wir mit uns herumtragen, steckt SAW-Technik aus Dresden. „Aber diese Filtertechnik für Handys ist erst der Anfang“, ist Dr. Siegfried Menzel vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden überzeugt. „Wir sehen da noch viele andere Anwendungen.“ Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Hagen Schmidt hat er deshalb nun am IFW ein Kompetenzzentrum „SAWLab Saxony“ gegründet, das Schallelektronik einer neuen Generation entwickelt.
Mikrolabore durchforsten Blut nach Tumorzellen
Die Forscher arbeiten dort beispielsweise an innovativer Medizintechnik für den Kampf gegen Krebs. „Viele Krebsarten können heute schon sehr gut behandelt werden“, erklärt Hagen Schmidt. Spezielle Tumor-Arten seien aber immer noch schwer therapierbar, insbesondere wenn der Krebs zu spät entdeckt werde. Daher konzipieren die Dresdner SAW-Experten nun Mikro-Labore, die auf einen sehr kleinen Chip passen. Sie sollen zunächst Blutproben analysieren, zukünftig aber auch zirkulierende Tumorzellen im Blut erkennen und Arzneien hochpräzise in Patienten einschleusen. Um dies zu beschleunigen, wollen die SAW-Experten ihre Schall-Fluss-Sortierer auf Kristallscheiben wie in den großen Chipfabriken herstellen, um sie dann massenhaft parallel zu schalten. Bis dahin sei zwar noch ein weiter Weg zu gehen, betont IFW-Direktor Prof. Bernd Büchner. Geplant sei aber, ein Unternehmen auszugründen, das diese Technologie später zur Massenproduktion führt.
Bessere Inhalier-Geräte
Eine ähnliche Technik wollen die Forscher auch für innovative Inhaliergeräte einsetzen: „Damit lassen sich Tröpfchen bilden, die weniger als drei Mikrometer groß sind“, erläutert Hagen Schmidt. „Das Inhalat kann bei dieser Tröpfchengröße direkt bis zu den Lungenbläschen vordringen und wird rasch aufgenommen.“
Näher am Industrieeinsatz sind andere Projekte des SAW-Labors: So arbeiten die Physiker beispielsweise mit den Experten für „additive Fertigung“ im Dresdner Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) zusammen. Sie wollen ihre Schallchips in besonders genaue Dosierköpfe für industrielle 3D-Drucker einsetzen.
Künstliche Augen für heiße Öfen
Außerdem arbeiten sie an Funk-Sensoren, die dorthin schauen können, wo klassische Mikrochip- und Kabellösungen versagen: etwa für die Überwachung schnell drehender Windräder in lichter Höhe oder die Qualitätskontrolle in heißen Industrieöfen. „In der Mikroelektronik zum Beispiel herrschen bis zu 500 Grad in den Plasmakammern“, erklärt Hagen Schmidt. „Da würde jeder normale Computerchip versagen – nicht aber unsere SAW-Technik.“ Die verkrafte jetzt schon 400 Grad, die nächste Generation soll sogar bis zu 800 Grad überleben.
Wie funktionieren SAW-Chips?
Denn SAW-Chips sind anders aufgebaut als klassische Mikroelektronik und verarbeiten Informationen auch anders: Die eintreffenden Signale lösen auf den Spezialschaltkreisen eine Art Mini-Erdbeben aus. Das Beben pflanzt sich als Ultraschallsignal auf der Oberfläche fort. Die Wellen passieren auf dem Weg zum anderen Ende des Chips eine künstlich geschaffene Landschaft aus mikroskopisch kleinen Bergen und Tälern aus ganz unterschiedlichen Materialien. Je nach „Landschaftstyp“ und „Bodenbeschaffenheit“, die die SAW-Chipfabrik auf den Schaltkreis geschichtet hat, werden die Wellen neu sortiert, aufgeteilt, wieder zusammengeführt und dergleichen mehr. Die Energie für diese Art der Informationsverarbeitung beziehen die SAW-Chips aus den eintreffenden Wellen, einen Stromanschluss brauchen sie nicht. Nutzbar sind die Signalwellen auch, um beispielsweise den Blutfluss in kleinen Kanal-Labyrinthen auf der Chipoberfläche zu manipulieren – wie im erwähnten Krebs-Blutfilterchip.
DDR wollte sich von Westlieferanten unabhängig machen
Das technologische Grundprinzip dahinter ist bereits 135 Jahre alt: Der britische Lord Rayleigh skizzierte 1885 die Basisideen dafür. Zu den ersten Anwendungen gehörten in den 1960ern das Farbfernsehen und die Fernbedienungen in der Heimelektronik.
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Dass diese Technologie enormes Potenzial hat, erkannten auch DDR-Forscher. Um sich von Zulieferungen und möglichen Embargos aus dem Westen unabhängig zu machen, entwickelten in Dresden unter anderem das Mikroelektronik-Forschungszentrum „ZMD“, die Ingenieurhochschule sowie das „Zentralinstitut für Festkörperphysik und Werkstofforschung“ der Akademie der Wissenschaften verschiedene SAW-Technik für die ostdeutsche Fernseh- und Radioindustrie sowie vermutlich auch fürs Militär.
Im Handy-Boom war Dresdner Expertise gefragt
Nach der Wende wurde aus dem Akademie-Institut das IFW – und das hatte plötzlich Zugriff auf viel höherwertige Werkstoffe. Als dann auch noch der Siegeszug der Handys begann, war die Dresdner SAW-Expertise plötzlich international gefragt: In Kooperation mit „Telefilter“, das aus dem VEB Elektronische Bauelemente Teltow (EBT) hervorgegangen war, sowie Unternehmen wie Siemens/Epcos und Vectron International entwickelten die Sachsen wegweisende SAW-Technik, die weltweit in Handys zum Einsatz kommt. Das sorgte für zusätzliche Forschungsgelder und Wissenschaftler-Jobs am IFW.
SAW-Technologiestandort Dresden wächst
Einen zusätzlichen Schub bekam Dresden als SAW-Standort, als 1996 ehemalige ZMD-Ingenieure um den Physiker Steffen Zietzschmann das Unternehmen „SAW Components Dresden“ gründeten. Sie bauten eine Chipfabrik in Klotzsche und spezialisierten sich auf die Serienproduktion von SAW-Schaltkreisen. Bis heute ist die Firma ein wichtiger Kooperationspartner für das IFW und das SAWLab Saxony. Letzteres ist entstanden, indem das IFW seine SAW-Forscher und -Forschungsgeräte in einem Laborkomplex zusammengezogen hat. Wegen der großen Nachfrage für diese Technologie plant Institutschef Büchner inzwischen einen 30 Millionen Euro teuren Neubau, der unter anderem mehr Platz für das SAWLab Saxony schaffen soll.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Interview Siegfried Menzel, Hagen Schmidt, Bernd Büchner am IFW, Vor-Ort-Termin am SAWLab Saxony, Oiger-Archiv, Wikipedia, Manager-Magazin
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