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Wurm nach 46.000 Jahre langem Tiefschlaf in Sibirien wiederbelebt

Der Schlafwurm unterm Rasterelektronenmikroskop: ein weiblicher Fadenwurm der Art "Panagrolaimus kolymaensis". Abb.: Alexei V. Tchesunov and Anastasia Shatilovich / Institute of Physicochemical and Biological Problems in Soil Science RAS

Der Schlafwurm unterm Rasterelektronenmikroskop: ein weiblicher Fadenwurm der Art „Panagrolaimus kolymaensis“. Abb.: Alexei V. Tchesunov and Anastasia Shatilovich / Institute of Physicochemical and Biological Problems in Soil Science RAS

Dresdner Forscher stufen ihn nach Gen-Analyse als neue Art ein

Dresden. 30. Juli 2023. Wenig trinken, den richtigen Zucker nehmen – und dann in einen Jahrtausende währenden Schlaf fallen, aus dem sie danach wieder voll fit wieder erwachen: Für Astronauten, die zu weit entfernten Sternsystemen reisen, wäre solch eine „Kryptobiose“ sicher interessant, doch leider beherrschen diesen Trick bisher nur prähistorische Klein-Kreaturen. Dass das geht, haben russische und deutsche Forscher inzwischen nachgewiesen: Sie haben einen uralten Fadenwurm im sibirischen Permafrost-Schlamm entdeckt und wiederbelebt. Der Wurm ist ihren Analysen zufolge rund 46.000 Jahre alt und offensichtlich eine bisher unbekannte Tier-Art. Das geht aus einer Mitteilung des Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) aus Dresden hervor, das an den Untersuchungen maßgebend beteiligt war.

Blick ins Daumenkino der Evolution

„Diese Studie erweitert die längste berichtete Kryptobiose bei Fadenwürmern um Zehntausende von Jahren“, berichtet Teymuras Kurzchalia vom Dresdner CBG. Und Philipp Schiffer von der Uni Köln meint: „Unsere Ergebnisse sind wichtig, um evolutionäre Prozesse zu verstehen, weil die Generationszeiten von Tagen bis zu Jahrtausenden reichen können und das langfristige Überleben von Individuen einer Art zum Wiederauftauchen von Abstammungslinien führen kann, die sonst ausgestorben wären.“

Würmer waren in 40 Meter tiefer Höhle in Sibirien eingefroren

Ausgangspunkt für die Untersuchungen war ein Fund in Sibirien: Anastasia Shatilovich vom Institut für physikalisch-chemische und biologische Probleme der Bodenkunde der „Russischen Akademie der Wissenschaften“ (RAS) entdeckte dort in einer versteinerten Höhle im Permafrost-Schlamm zwei eingefrorene Fadenwürmer. Diese Würmer konnten sie und ihr Team danach im Labor auftauen und wiederbeleben. Zudem bestimmten sie mit einer Radiokarbonanalyse das Alter von Pflanzen aus der 40 Meter tiefen Höhle. Ihr Befund: Diese Würmer stammen aus dem dem späten Pleistozän vor 45.839 bis 47.769 Jahren.

Kooperation zwischen Russland und Sachsen

Daraufhin kam eine Kooperation mit dem CBG in Dresden zustande, an dem Forscher parallel dazu bereits ähnliche Kryptobiosen am Fadenwurm „Caenorhabditis elegans“ untersuchten. Beteiligt waren daran auch der frühere CBG-Direktor Eugene Myers, das Genomzentrum von „Dresden-Concept“ und der frühere CBG-Forschungsgruppenleiter Michael Hiller, der inzwischen in der Senckenberg-Gesellschaft forscht sowie Philipp Schiffer von der Uni Köln. Durch Erbgut-Analysen und weitere Untersuchungen identifizierten sie die Würmer als bisher unbekannte Art. Sie nannten diese neue Wurmart „Panagrolaimus kolymaensis“ – angelehnt ihre Herkunft aus der Region des Kolyma-Flusses.

Dehydrierung und spezieller Zucker helfen Würmern bei der Kryptobiose

Zudem untersuchten sie den Mechanismus, mit dem sich der Wurm in einer derart langen Tiefschlaf versetzt, bei dem alle Lebensprozesse ruhen. Demnach hilft eine gewisse Dehydrierung sowie ein Zucker namens Trehalose, „das Einfrieren und die starke Dehydrierung zu überstehen“, berichten die Forscher. Auch Larven eines weiteren Fadenwurms namens „Caenorhabditis elegans“ nutzen diese Methode: „Sie überlebten 480 Tage bei -80 Grad Celsius, ohne dass ihre Lebensfähigkeit oder Fortpflanzung nach dem Auftauen beeinträchtigt wurde.“ Die Studienautoren Vamshidhar Gade und Temo Kurzhchalia sind überzeugt: „Unsere Forschung zeigt, dass Fadenwürmer Mechanismen entwickelt haben, die es ihnen ermöglichen, ihr Leben über geologische Zeiträume hinweg zu erhalten.“

Autor: hw

Quelle: MPI-CBG

Wissenschaftliche Publikation:

„A novel nematode species from the Siberian permafrost shares adaptive mechanisms for cryptobiotic survival with C. elegans dauer larva“ von Anastasia Shatilovich, Vamshidhar R. Gade, Martin Pippel, Tarja T. Hoffmeyer, Alexei V. Tchesunov, Lewis Stevens, Sylke Winkler, Graham M. Hughes, Sofia Traikov, Michael Hiller, Elizaveta Rivkina, Philipp H. Schiffer, Eugene W. Myers und Teymuras V. Kurzchalia, in: PLOS Genetics, 27 July 2023, e1010798, Fundstelle im Netz: doi.org/10.1371/journal.pgen.1010798

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt