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KI hilft Pathologen im Krebs-Tsunami

Pathologie-Klinikdirektor Prof. Gustavo Baretton (rechts) und Funktionsoberarzt Dr. Ulrich Sommer testen im Uniklinikum Dresden eine KI-App aus dem Empaia-Ökosystem am PC. Foto: Falk Zakrzewski, UKD

Pathologie-Klinikdirektor Prof. Gustavo Baretton (rechts) und Funktionsoberarzt Dr. Ulrich Sommer testen im Uniklinikum Dresden eine KI-App aus dem Empaia-Ökosystem am PC. Foto: Falk Zakrzewski, UKD

Uniklinik Dresden testet mit Charité die Vor-Analyse von Gewebeproben durch Künstliche Intelligenzen

Dresden, 10. Juli 2023. Künstliche Intelligenz (KI) und durchgängig digitale Analyseketten sollen künftig der Pathologie gegen wachsende Spezialisten-Engpässe und steigende Krebs-Fallzahlen in einer alternden Gesellschaft helfen. Das Uniklinikum Dresden (UKD) erprobt inzwischen Verfahren, in denen KI-Assistenten eingesandte Gewebeproben automatisch auf Krebs-Anzeichen durchforsten und den menschlichen Ärzten einfache Routineaufgaben abnehmen. Und die bisherigen Tests hören sich vielversprechend an.

„Deutschland darf nicht den Anschluss verlieren“

In drei bis fünf Jahren könnten solche Verfahren schrittweise die klinische Praxis bestimmen, schätzt Bioinformatiker Dr. Falk Zakrzewski vom UKD-Institut für Pathologie. Unter seinen Kollegen stoßen seinen Angaben zufolge die neuen technologischen Ansätze auf Zuspruch – auch weil allen klar sei: „Deutschland darf hier nicht den Anschluss verlieren“, wie Dr. Zakrzewski betont. „Andere europäische Staaten wie Schweden und Holland sind da schon weiter.“ Denn ohne solche Innovationen werde es angesichts von Fachkräftemangel und demografischer Entwicklung immer schwieriger, das heutige Therapieniveau im Kampf gegen den Krebs zu halten und zu erhöhen.

Immer mehr Krebspatienten – doch nicht genug Pathologen

Laut Bundesärztekammer und der „Deutschen Gesellschaft für Pathologie“ praktizieren Ende 2022 genau 1841 Pathologen in Deutschland. Das waren etwa 100 mehr als noch vor fünf Jahren. Pro Jahr erkranken in Deutschland rund eine halbe Million Menschen an Krebs, Tendenz: steigend.

Dresdner Pathologen wollen Analyseketten digitalisieren

Als Antwort auf diese Herausforderungen fahren die UKD-Pathologen zwei Strategien: Sie delegieren monotone und zeitfressende Vor-Analysen an die KI-Programme, müssen dafür aber auch möglichst durchgängige digitale Ketten im eigenen Hause knüpfen. Denn bisher läuft das alles noch sehr analog: Menschen nehmen im Institut die Gewebeproben potenzieller Krebspatienten aus der Rohrpost oder vom externen Boten entgegen. Nach einer Vorbewertung schneiden und färben sie die Gewebestücke so zurecht, dass sie gut auf einem Glasträger zu sehen sind. Und dann gucken die Pathologen den ganzen Tag durchs Mikroskop, um letztlich dem behandelnden Arzt eine Therapie-Empfehlung geben zu können. „Und da sprechen wir von Tausenden Glasträgern pro Tag“, erklärt Zakrzewski.

Technologische Kombination aus Scanner, Rohrpost, Robotern und KI-Assis

Leider lassen sich in dieser analogen Kette computergestützte Assistenten nicht eben mal einfach dazwischenschalten. Denn bisher können eben nur Menschen durch ein ganz klassisches Mikroskop schauen und dabei eine analoge Gewebeprobe bewerten – Künstliche Intelligenzen sind auf digitale Mikroskop-Aufnahmen angewiesen. Daher schaffen sich die Pathologen nun nach und nach Spezialscanner, Roboter und andere Technik an, damit die Gewebeproben und damit verknüpfte Informationen möglichst rasch digital vorliegen – idealerweise schon ab der Einfahrt in den Rohrpost-Bahnhof. Einen solchen Scanner haben sie inzwischen durch das KI-Verbundprojekt „Empaia“ gemeinsam mit der Charité Berlin finanzieren können, weitere sollen folgen. In Summe wird diese komplette digitale Basis-Infrastruktur im Institut voraussichtlich ein paar Millionen Euro kosten, schätzt Zakrzewski.

Hier zählt die Künstliche Intelligenz die Krebszellen durch: KI-App KI-App auf der Empaia-Plattform im Uniklinikum Dresden bei der sogenannten "HER2-Genamplifikationsdiagnostik" bei Brustkrebs. Bildschirmfoto: UKD

Hier zählt die Künstliche Intelligenz die Krebszellen durch: KI-App KI-App auf der Empaia-Plattform im Uniklinikum Dresden bei der sogenannten „HER2-Genamplifikationsdiagnostik“ bei Brustkrebs. Bildschirmfoto: UKD

Künstliche Intelligenzen zählen Krebszellen rund um die Uhr – ohne Frühstück und Raucherpause

Dann schöpfen auch die KI-Assistenten ihr volles Potenzial aus, ist der Digitalisierungsexperte überzeugt. Denn die Künstlichen Intelligenzen können beispielsweise sehr schnell und zuverlässig Krebszellen in den Proben zählen, Biomarker und andere Indizien für bestimmte Krebsarten suchen – und dies rund um die Uhr, ohne Pause. Diese Informationen fassen sie dann für ihre menschlichen Chefs zusammen, so dass die dann gezielter und rascher die Proben bewerten können.

Derzeit noch in der Testphase für Brust-, Prostata- und Lungentumore

Derzeit erprobt das Uniklinikum Pathologie-KIs, die auf besonders häufige Krebsarten spezialisiert sind: Brust-, Prostata- und Lungentumore. Erst mal läuft all dies „nebenher“ und testweise, sprich: Neben dem alten Procedere lassen die Ärzte die Gewebedaten parallel durch die KI bewerten. Perspektivisch ist indes geplant, die artifiziellen Assistenten auch standardmäßig und für weitere Krebsarten einzusetzen.

KI-Assistenten sollen „Tsunami“ brechen

Und die Zeit drängt: Die Pathologen sehen einen regelrechten „Tsunami“ aus Analysebedarf auf sich zuschwappen. „Die Verfeinerung diagnostischer Verfahren im letzten Jahrzehnt hat zu einem Anstieg der Objektträgerzahlen pro Fall um 60 Prozent, einer Verdoppelung der immunhistochemischen Verfahren und zu einer Verdreifachung der molekularen Analysen geführt“, zitiert Falk Zakrzewski aus einschlägigen Studien. „Diese Entwicklung geht derzeit nicht mit einem ausreichenden Anstieg der Zahl der Pathologen einher. Das Verhältnis von Pathologen zu Fachärzten ist das niedrigste in Europa und gleichzeitig niedriger als in den USA und Kanada.“ Es sei davon auszugehen, dass künftige Generationen nicht mehr bereit sein werden, die immer schwerer werdende Arbeitsbelastung zu tragen. Deshalb bedürfe es eben auch neuer technologischer Ansätze, ist Falk Zakrzewski überzeugt: „Mit den KI-Assistenten wird es uns gelingen, diesen Tsunami zu brechen“.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Auskünfte Zakrzewski/UKD, Bruno Märkl u.a.: Number of pathologists in Germany, DGP, Bundesärztekammer, Krebsregister RKI

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt