Medizin & Biotech, News, zAufi

Naht Magnet-Therapie gegen tödliche Nervenkrankheit ALS?

Die Visualisierung zeigt, wie die Thaxonian-Forscher mit Magnetfeldern Motoneuronen von ALS-Kranken reaktivieren wollen. Grafik: Sahneweiß für das HZDR

Die Visualisierung zeigt, wie die Thaxonian-Forscher mit Magnetfeldern Motoneuronen von ALS-Kranken reaktivieren wollen. Grafik: Sahneweiß für das HZDR

Helmholtz-Forscher aus Dresden-Rossendorf reaktivieren im Labor geschädigte Zellen

Dresden, 12. Juni 2023. Jahr für Jahr erkranken rund 2500 Deutsche an amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – und diese muskellähmende, unheilbare Nervenkrankheit kommt regelmäßig einem Todesurteil gleich. Bis jetzt gibt zwar Ansätze, den Verlauf der Krankheit hinauszuzögern, aber noch keine Heilung, die übers Experimentalstadium hinausgekommen ist. Forscher aus Dresden und Rostock ist es aber bereits 2022 gelungen, durch ALS geschädigte Motoneuronen mit Magnetfeldern in der Petrischale im Labor zu reaktivieren. Sie hoffen, daraus auf lange Sicht womöglich eine Magnettherapie entwickeln zu können, die ALS-Patienten heilen kann. Nun haben sie mit der Entwicklung einer ersten, prototypischen Therapie-Anlage begonnen. Das geht aus einer Mitteilung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) hervor.

Weil ALS Steuernervenzellen zerstört, verlieren Patienten Kontrolle über immer mehr Muskeln

Hintergrund: ALS zerstört die motorischen Steuer-Nervenzellen (Motoneuronen) für die Skelettmuskulatur im Gehirn und im Rückenmark. In der Folge versagen nach und nach immer mehr Muskeln der Patienten: Sie können nicht mehr gehen, dann nicht mehr schlucken und sprechen, schließlich versagt auch die Atmung. Die Krankheit führt meist innerhalb von zwei bis fünf Jahren zum Tode. ALS ist zwar eine eher seltene Krankheit: In Europa erkranken jährlich im Schnitt drei von 100.000 Menschen daran, meist Senioren zwischen 60 und 80 Jahren. In Deutschland gibt es derzeit etwa 8.000 bis 9.000 Patienten, berichtet das „Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen“ (DZNE).

Bisher nur lindernde Therapien bekannt

Die meisten heutigen ALS-Therapien konzentrieren sich darauf, die Symptome und das Leiden der Patienten hinauszuzögern und zu lindern. Hoffnung auf künftige Heilungs-Möglichkeiten konzentrieren sich vor allem auf Zell- und Gentherapien.

Dr. Thomas Herrmannsdörfer (li.) und Prof. Richard Funk untersuchen die therapeutische Wirkung von Magnetfeldern auf gestörte Motoneuronen. Foto: HZDR/Amac Garbe

Dr. Thomas Herrmannsdörfer (li.) und Prof. Richard Funk untersuchen die therapeutische Wirkung von Magnetfeldern auf gestörte Motoneuronen. Foto: HZDR/Amac Garbe

Magnetfelder bringen Neuronen und Axone wieder auf Trab – bisher aber nur in der Petrischale

Ein interdisziplinäres Team um den Physiker Dr. Thomas Herrmannsdörfer und den Zellbiologen Dr. Arun Pal vom HZDR sowie den Mediziner Prof. Richard Funk von der TU Dresden ist nun gemeinsam mit Kollegen der Uni Rostock einen anderen Weg gegangen: Die Wissenschaftler haben zunächst Hautzellen sowohl von Gesunden und ALS-Kranken zu Motoneuronen umprogrammiert – mit meterlangen Fortsätzen (Axone) für den Stofftransport und die Informationsübertragung. Diese Zellen setzten sie dann in Petrischalen Magnetfeldern mit unterschiedlicher Stärke, Frequenz, Ausrichtung und Wellenform aus.

Nervenverbindungen lernen wieder zu wachsen

„In den zahlreichen Versuchsreihen konnten wir zeigen, dass die Motoneuronen von ALS-Patienten auf die Magnetfelder ansprechen“, berichtet Arun Pal. „Der bei ALS-Zellen gestörte axonale Transport der Mitochondrien, welche die Kraftwerke der Zelle sind, und anderer Organellen wird durch die Stimulation mit Magnetfeldern reaktiviert. Außerdem kann die axonale Regeneration – also die Fähigkeit, wieder zu wachsen und sich zu vernetzen – wiederhergestellt werden.“ Gesunde Zellen seien durch die Magnetfelder nicht geschädigt worden.

Projekt „Thaxonian“ zielt auf Prototyp für eine Therapieanlage gegen ALS

Was nun also im Labor mit Zell-Kolonien funktioniert hat, könnte in Zukunft auch bei kranken Menschen funktionieren. Als nächstes stehen nun Langzeit-Experimente an, später auch Studien an Tieren und auf lange Sicht auch an menschlichen Patienten. Im Zuge des im Zuge des Projektes „Magnetic Axon Therapy“ (Thaxonian) wollen die Wissenschaftler eine Magnetpuls-Prototyp-Therapieanlage gegen neurodegenerative Krankheiten entwickeln, herzustellen und erproben. Denn die Forscher hegen die Hoffnung, dass ihre Magnettherapie womöglich nicht nur ALS-Kranke, sondern auch andere Patienten mit anderen Nervenschäden heilen könnte – beispielsweise Parkinson, Chorea Huntington oder Alzheimer. Bis zu einer zugelassenen Therapie, die in Krankenhäusern am Menschen einsetzbar ist, dürfte es allerdings noch Jahre dauern. Zudem müssen die Forscher und Mediziner zunächst ausschließen, dass auch langfristig keine unakzeptablen Nebeneffekte zustande kommen.

Autor: hw

Quellen: HZDR, DZNE, Wikipedia

Wissenschaftliche Publikation:

W. Kandhavivorn, H. Glaß, T. Herrmannsdörfer, T. M. Böckers, M. Uhlarz, J. Gronemann, R. H. W. Funk, J. Pietzsch, A. Pal und A. Hermann: „Restoring Axonal Organelle Motility and Regeneration in Cultured FUS-ALS Motoneurons through Magnetic Field Stimulation Suggests an Alternative Therapeutic Approach“, in „Cells“ (2023) DOI: 10.3390/cells12111502

Zum Weiterlesen: 

TU-Rektor wird Nachfolger von Richard Funk als DIU-Präsident

NeuroMax: Magnetimpulse starten Motoneuronen neu

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt