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Silsax-Chef: Brauchen „motivierte Zuwanderung“

Frank Bösenberg. Foto: Tommy Halfter für Silicon Saxony

Frank Bösenberg. Foto: Tommy Halfter für Silicon Saxony

Auch besonders lernwillige Einwanderer könnten helfen, Sachsens Fachkräftelücke zu mindern

Dresden, 2. Juni 2023. Um die Fachkräfte-Lücke in Sachsen zu mindern, sollte die Wirtschaft womöglich nicht auf einer „qualifizierten Zuwanderung“ bestehen, also auf der Einwanderung von Akademikern und ausgebildeten Fachkräften. Womöglich würde dafür auch eine „motivierte Einwanderung“ reichen. Das hat Geschäftsführer Frank Bösenberg vom sächsischen Hochtechnologie-Branchenverband „Silicon Saxony“ in der MDR-Diskussionsrunde „Silicon Saxony im Chip-Fieber“ eingeschätzt. Gemeint ist: Es müssen nicht unbedingt nur Akademiker und ausgelernte Facharbeiter einwandern, auch besonders lern- und arbeitsmotivierte Zuwanderer könnten schon helfen.

Bis 2030 fehlen Sachsens Hightech-Branchen 27.500 Fachkräfte

Hintergrund: Der Personalbedarf in den Chipfabriken, Softwareschmieden und weiteren Hightech-Betrieben im „Silicon Saxony“ wird bis 2030 von derzeit 72.500 auf dann rund 100.000 Beschäftigte wachsen. Davon geht eine Hochrechnung des Branchenverbandes aus. Die Differenz von rund 27.500 Fachkräften wird Sachsen nicht aus dem bisherigen Ausbildungsreservoir der eigenen Unis und Ausbildungsstätten decken können. Silsax setzt vielmehr auf eine mehrgleisige Strategie: Die Wirtschaftsvertreter wollen an den Schulen für Berufswege in den Hochtechnologie-Branchen werben, die universitäre Lehre unterstützen, eine qualifizierte beziehungsweise eben „motivierte“ Zuwanderung unterstützen, mehr Frauen die Vereinbarkeit von Job und Familie erleichtern und mehr Senioren im Berufsleben halten. Außerdem rät Natalia Stolyarchuk vom deutschen Digitalverband „Bitkom“ den Unternehmen, langfristige Kooperationen mit Universitäten einzugehen, um ihren Fachkräftebedarf zu decken. Erst kürzlich hatte Infineon solch einen Kooperations-Vertrag mit der TU Dresden abgeschlossen.

Prof. Reint Gropp. Foto: Fotowerk BF für das IWH

Prof. Reint Gropp. Foto: Fotowerk BF für das IWH

IWH-Chef Gropp: Alle zerren am kurzen Tischtuch – Pflegeheime brauchen auch mehr Personal

Wie große die Potenziale in all diesen „Töpfen“ sind, ist allerdings umstritten. So gehen viele Experten davon aus, dass gerade in Ostdeutschland mit seiner traditionell hohen Frauenerwerbsquote beim weiblichen Fachkräfte-Potenzial inzwischen nicht mehr viel Reserven zu erschließen sind. Zudem warnt beispielsweise Prof. Reint Gropp, der das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) leitet, vor übertriebenen Hoffnungen bei der Akquise in den Schulen und im Ausland: „Wir brauchen nicht nur Arbeitskräfte in den MINT-Berufen, sondern auch in der Pflege und in vielen anderen Bereichen“, sagte er. Schon bald sei damit zu rechnen, dass jedes Jahr um die 400.000 Menschen in Deutschland aus dem Arbeitsleben ausscheiden werden. Dieser Aderlass werde kaum auszugleichen sein. Wenn da beispielsweise die Mikroelektronikbranche junge Menschen zu einer Karriere in den Chipfabriken animiere statt im Pflegeheim, dann sei das wie am sprichwörtlichen Tischtuch zu zerren, das eben zu kurz sei. Und wenn deutsche Halbleiter-Unternehmen dann im Ausland nach Fachkräften suchen, müsse ihnen klar sein, dass China und viele andere Länder vor ähnlichen Problemen stehen und eben genauso zu ähnlichen Lösungsansätzen kommen.

Deutsche duale Ausbildung könnte sich noch als Joker erweisen

Allerdings habe Deutschland im Wettbewerb um Talente durchaus Wettbewerbsvorteile, argumentierte die Magdeburger Wirtschaftsbürgermeisterin Sandra Yvonne Stieger (CDU), die sich gerade auf die Intel-Ansiedlung vorbereitet: Wenn es nämlich um die Ausbildung von Facharbeitern – also nicht unbedingt Akademikern – geht, hat sich das duale Ausbildungssystem in Deutschland als besonders leistungsfähig erwiesen. Diese Stärken könne man nun wieder ausspielen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: Einschätzungen Bösenberg, Gropp, Stieger in: „Silicon Saxony im Chip-Fieber“, MDR-Sachsenradio, 30.5.2023

Zum Weiterlesen:

IWH-Chef Gropp: Brauchen keine Halbleiterfabriken, können Chips bei US-Freunden kaufen

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt