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Gropp: Brauchen keine Halbleiterfabriken, können Chips bei Freunden in USA kaufen

Roboter dominieren die Bosch-Fabrik Dresden. Foto: Bosch

Roboter und Menschen in der Bosch-Chipfabrik Dresden. Foto: Bosch

„Silicon Saxony“-Chef widerspricht: Müssen uns nicht unabhängig, aber unabhängiger machen

Dresden/Halle/Magdeburg, 31. Mai 2023. Statt die eigene Mikroelektronik-Industrie auf- und auszubauen und Arbeitsplätze in der Chip-Produktion zu subventionieren, sollten Deutschland und Europa besser Forschungsprojekte und Innovationen bezuschussen. Eine Massenproduktion von Schaltkreisen sei hierzulande nicht notwendig, allenfalls eine Manufaktur-Fertigung von Computerchips, sagte Prof. Reint Gropp vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) während eine Diskussionsrunde über „Silicon Saxony im Chip-Fieber“ am Dienstagabend im MDR-Sachsenradio. Die für die europäische Autoindustrie und andere Branchen nötigen Schaltkreise könne man in den USA einkaufen – also bei „befreundeten Quellen“ (neudeutsch: „Friend Sourcing“).

Prof. Reint Gropp. Foto: Fotowerk BF für das IWH

Prof. Reint Gropp. Foto: Fotowerk BF für das IWH

„America First“-Kurs spricht eher dagegen

Das Gropp-Konzept dürfte allerdings für Europa viele Einschränkungen mit sich bringen: Einerseits lohnt es sich für einen Manufakturbetrieb nicht, modernste Anlagen für die Schaltkreis-Fertigung zu kaufen. Damit würde sich Europa also noch weiter von modernsten Halbleiter-Technologien abkoppeln. Zweitens wenden sich die USA seit geraumer Zeit immer mehr von Freihandels-Prinzipien ab und verfechten eine zunehmend protektionistische, stark eigeninteressengesteuerte und boykott-orientierte Wirtschaftspolitik („America First“), für die sie oft sicherheitspolitische Argumente vorbringen. Dabei setzt sich Washington über die Interessen europäischer Unternehmen – Beispiele: der Streit um Lieferungen von ASML nach Asien oder um den Einsatz der führenden Huawei-Technik in europäischen 5G-Mobilfunknetzen – teils sehr rigoros hinweg.

Mehrquellen-Ansatz liegt derzeit im Trend

Drittens haben Intel und andere US-Firmen inzwischen die technologische und wirtschaftliche Spitzenposition in der globalen Halbleiterindustrie an Taiwan und Südkorea verloren. Und dort können jederzeit schwere Lieferketten-Störungen die Fabriken in Europa lahmlegen, wie Corona, US-Handelskriege, die Friktionen mit China, Wintereinbrüche, Erdbeben, Fabrikbrände, Seeweg-Blockaden und andere Probleme in jüngster Zeit gezeigt haben. Dies ist auch ein Grund, warum immer mehr Unternehmen und Regierungen auf Mehrquellen-Ansätze setzen und versuchen, mehr Zwischenlager oder gleich Fabriken auf verschiedenen Kontinenten zu platzieren. Das gehört auch zu den Gründen, warum Unternehmen wie TSMC, die früher größere Investitionen außerhalb von Taiwan gescheut haben, plötzlich Fabriken in Japan, in den USA und vielleicht demnächst auch in Deutschland, konkret in Dresden bauen wollen.

Frank Bösenberg. Foto: Silicon Saxony/ PR

Frank Bösenberg. Foto: Silicon Saxony/ PR

Bösenberg: „Durch Corona gab es ein böses Erwachen“

Auch Geschäftsführer Frank Bösenberg vom sächsischen Hochtechnologie-Branchenverband „Silicon Saxony“ (Silsax) reagierte kritisch auf die Gropp-Vorschläge: Was passiere, wenn man auf eigene Produktionskapazitäten verzichte, zeige das Beispiel Solarindustrie: Mitteldeutschland habe einmal eine leistungsstarke Photovoltaik-Wirtschaft gehabt. Dann habe man in den Jahren ab 2012 zugesehen, wie die den Bach hinunterging. Heute sei der deutsche Markt fast völlig von Zulieferungen der dominierenden chinesischen Solarindustrie abhängig. Und dies gelte eben auch für viele andere international verteilte Wertschöpfungsketten, die Deutschland in den vergangenen drei Dekaden aufgebaut habe. Wie empfindlich die gestört werden können, zeigten dann die Jahre 2020 und folgende: „Durch Corona gab es ein böses Erwachen“, so Bösenberg. Sicher sei es kein sinnvolles Ziel, sich global zu entkoppeln, gerade in der Mikroelektronik mit ihrer starken internationalen Arbeitsteilung nicht. „Wir wollen nicht unabhängig werden, sondern unabhängiger“, betonte der Silsax-Chef. Wie nachteilig es sei, von nur einer Lieferquelle zu sein, habe zuletzt der Angriffskrieg in der Ukraine wieder verdeutlicht.

Bitkom für diversifizierte Lieferketten

Ähnlich argumentierte auch Dr. Natalia Stolyarchuk vom deutschen Digitalwirtschaftsverband „Bitkom“: Europa werde es zwar kaum gelingen, in allen Segmenten der Mikroelektronikindustrie gleichermaßen zu reüssieren, sollte vielmehr mit seinen Investitionen und Subventionen auf bestehende Stärken aufbauen. „Und wichtig wird es sein, unsere Lieferketten deutlich zu diversifizieren“, sagte sie in der MDR-Diskussionsrunde.

Magdeburger Wirtschaftsbürgermeisterin: Ohne Produktion nützt uns F/E-Förderung nichts

Für eine echte Halbleiter-Massenproduktion in Europa plädierte auch die Magdeburger Wirtschaftsbürgermeisterin Sandra Yvonne Stieger (CDU): „Ohne Produktion nützt uns die Förderung von Forschung und Entwicklung nicht viel“, widerspracht sie dem IWH-Präsidenten Gropp. Tatsächlich hatte Deutschland in den vergangenen Dekaden einen starken Fokus auf die FuE-Förderung gelegt – und damit auch durchaus bemerkenswerte Resultate erreicht. Allerdings gab es auch immer wieder Diskussionen darum, dass es Deutschland zu wenig gelinge, gute Forschungsergebnisse auch zu kommerzialisieren und in Wertschöpfung umzumünzen wie etwa die Amerikaner oder die Chinesen. Insofern steht die Frage, ob sich dieser Ansatz ohne flankierende Produktion für Deutschland wirklich bewährt hat.

Die Visualisierung zeigt den Eingangsbereich der geplanten Intel-Doppelfabrik in Magdeburg. Grafik: Intel

Die Visualisierung zeigt den Eingangsbereich der geplanten Intel-Doppelfabrik in Magdeburg. Grafik: Intel

Stieger verwies derweil auf den erheblichen Schub, den sich Magdeburg und Sachsen-Anhalt von der Intel-Ansiedlung versprechen: „Magdeburg hat eine lange Industrietradition“, argumentierte sie gegen Bedenken an, dass die künftigen Chipfabriken in der Stadt mangels eines geeigneten Umfeldes nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen könnten. Die Wende habe da zwar für einen Bruch gesorgt. Doch nun könne man mit Intel an diese Traditionen auf eine neue Weise wieder anknüpfen. – in der Hoffnung, damit auch der Wirtschaft und Forschungslandschaft im gesamten Umfeld einen starken Schub zu geben.

Leuchtturm-Konzept hat zumindest für Sachsen recht gut funktioniert

Und dass dieses Leuchtturm-Konzept funktionieren kann, zeigt gerade das Beispiel Dresden beziehungsweise „Silicon Saxony“ auch recht anschaulich: Der Erhalt des DDR-Mikroelelektronik-Kerns nach der Wende in Sachsen, die Ansiedlung von Siemens, AMD und weiterer Technologieunternehmen im Freistaat, parallel dazu aber auch massive Investitionen in die universitäre und außeruniversitäre Forschungslandschaft in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Freiberg haben Sachsen zumindest in ökonomischer und wissenschaftlicher Hinsicht zu einem „Musterländle“ in Ostdeutschland gemacht.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: MDR-Diskussionsrunde „Silicon Saxony im Chip-Fieber“, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt