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„Für mich war der Computer eine erstaunliche Zauberkiste“

Da kam es auf jede Speicherzelle an, die sich mit dem "Poke"-Befehl direkt beschreiben ließ: Der Heimcomputer "Z 9001" von Robotron musste in Kleincomputer KC85/1 umbenannt werden, da das Gerät recht rasch wieder aus dem Handel verschwand und nur noch an "gesellschaftliche Bedarfsträger" verkauft wurde. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Da kam es auf jede Speicherzelle an, die sich mit dem „Poke“-Befehl direkt beschreiben ließ: Der Heimcomputer „Z 9001“ von Robotron musste in Kleincomputer KC85/1 umbenannt werden, da das Gerät recht rasch wieder aus dem Handel verschwand und nur noch an „gesellschaftliche Bedarfsträger“ verkauft wurde. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Das Buch „Computer in der DDR“ von René Meyer liefert einen profunden Abriss über die ostdeutsche Rechentechnik und ihre Hypes.

In den 1980er Jahren erfasste ein nahezu pandemischer Virus große Teile der ostdeutschen Jugend – ein eher gutartiger indes: Immer mehr Menschen in der DDR wollten auch wie die deutschen auf der anderen Seite der Grenze jene wundersamen Maschinen haben, die man Heimcomputer nannte. Und nachdem die ersten Westgeräte per Intershop und A&V-Laden in das Land einsickerten und schließlich auch Robotron Dresden und der VEB Mikroelektronik „Wilhelm Pieck“ Mühlhausen eigene „Kleinstcomputer“ entwickelt hatten, gab es kein Halten mehr: Große Teile des DDR-Volkes verwandelten sich in Computer-Nerds…

Wie das kam und was dahinter steckte, hat der Leipziger Autor René Meyer in „Computer in der DDR“ zusammengetragen. Erhältlich ist dieses sehr informative und gut recherchiere Buch gegen eine Versandpauschale, aber ansonsten gratis bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen.

Viele wollten verstehen, „wie das Ganze funktioniert“

Darin lässt Meyer auch Zeitzeugen und Protagonisten von damals zu Wort kommen. „Für mich war der Computer eine erstaunliche Zauberkiste“, erinnert sich beispielsweise Hans-Georg Winkler, der vor der Wende mit seinen Eltern in Bautzen lebte. „So fing ich als Achtjähriger an, das Handbuch zu lesen, und meinem Vater beim Eingeben von Codes zu helfen.“ Dieser Sharp-Rechner des Vaters sei für ihn „ein Türöffner“ gewesen. „Er weckte mein Interesse zu verstehen, wie das Ganze funktioniert.“

Hunderttausende Zuschriften für DDR-Computersendungen

Ähnlich wie Hans-Georg Winkler erging es damals vielen Jugendlichen wie Erwachsenen. Zwar wurden Sendungen wie „Wettlauf mit der Zeit“ im DDR-Fernsehen durchaus als das gesehen, was sie waren: Propaganda-Sendungen für Hightech und die Modernisierung der sozialistischen Wirtschaft. Dennoch fielen solche und andere Vorstöße auf fruchtbaren Boden. Sendungen wie die „Computerstunde“ ab Mai 1987 erhielten bis zu eine halbe Million Zuschriften.

Ein Jugendkollektiv entwickelte in Mühlhausen den HC 900, der später in KC 85/2 umbenannt wurde. Hier ist das verbesserte Nachfolgemodell KC 85/3 zu sehen. Foto: Heiko Weckbrodt

Ein Jugendkollektiv entwickelte in Mühlhausen den HC 900, der später in KC 85/2 umbenannt wurde. Hier ist das verbesserte Nachfolgemodell KC 85/3 zu sehen. Foto: Heiko Weckbrodt

Kluft zwischen Anspruch und Erreichtem blieb

Damals passten eben technologische Aufbruchstimmung und die Erneuerungswünsche der kommunistischen Wirtschaftslenker eng zusammen. Freilich, und das arbeitet Meyer auch heraus, klafften zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen eigenem Modernitätsanspruch und dem tatsächliche Erreichten in der DDR meist tiefe Abgründe: Trotz hoher Investitionen konnte die ostdeutsche Mikroelektronik den Rückstand zum Westen bis zum Mauerfall nicht aufholen, daher hinkte auch die meiste Rechentechnik dem Weltstand um etwa fünf bis 15 Jahre hinterher. Die ostdeutschen Computerjünger versuchten dies durch viel Enthusiasmus wettzumachen: Unzählige beteiligten sich an Basic-Wettbewerben, programmierten in Maschinensprache eigene Spiele und Textverarbeiter, löteten abenteuerliche Gerätschaften für die Rechner zusammen.

Rene Meyer. Foto: Die Schreibfabrik

Rene Meyer. Foto: Die Schreibfabrik

Von der Software-Schallplatte bis zum Polyplay

Meyer beleuchtet indes nicht nur die Mikroelektronik und den Computerbau in der DDR, sondern auch sonst wenig beachtete Nebenschauplätze: die Computerklub-Szene beispielsweise, die Schach-, Lern und Bildungsrechner, Versuche mit Computerkunst in der DDR, die Entwicklung von Taschenrechnern und des Spielautomaten Polyplay. Auch allerlei Kuriosa finden sich im Buch, etwa Schallplatten mit aufgepressten Computerprogrammen und eine mäßig erfolgreiche DDR-Spielekonsole namens BS81.

Fazit: Interessante und umfassende DDR-Computerhistorie

Unterm Strich ist René Meyer – selbst ein Hobby-Programmierer und Betreiber eines Computerspiel-Wandermuseums – ein kurzweiliger, sehr umfassender und profunder Abriss der DDR-Computergeschichte mit viele faszinierenden Details gelungen. Was uns nicht so gefallen hat: Die Einschübe mit den Zeitzeugen-Berichten sind blau unterlegt – das zu lesen, ermüdet die Augen. Davon abgesehen gibt es auch sehr nette gestalterische Details wie etwa die Bildschirmfotos alter Grobpixel-Videospiele aus seligen Heimcomputer-Zeiten.

"Computer in der DDR". Landeszentrale für politische Bildung Thüringen

„Computer in der DDR“. Abb:. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen

Kurzüberblick:

  • Titel: „Computer in der DDR“
  • Autor: René Meyer
  • Genre: Sachbuch
  • Publikationsort und -jahr: 2019
  • Umfang: 146 Seiten mit zahlreichen Fotos, Grafiken und Überblickslisten
  • ISBN: 978-3-946939-74-0
  • Erhältlich für 25 Euro bei Amazon oder gratis (gegen eine Versandpauschale von fünf Euro) bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen.

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt