Forschung, News, zAufi

Über 10 Millionen Euro für sächsische Spitzenforscher

Wie lebte der Bronzezeit-Mensch vor der Erfindung der Schrift? Seine Erbgut-Spuren können womöglich jene Lücken schließen, die mangels schriftlicher Belege in der historischen Überlieferung klaffen. Visualisierung: Dall-E

Wie lebte der Bronzezeit-Mensch vor der Erfindung der Schrift? Seine Erbgut-Spuren können womöglich jene Lücken schließen, die mangels schriftlicher Belege in der historischen Überlieferung klaffen. Visualisierung: Dall-E

Europäischer Forschungsrat vergibt Stipendien für Suche nach Twistronik-Chips, Wasser-Elektronik und prähistorische Biografien

Dresden/Chemnitz/Leipzig, 23. November 2023. Twistronik-Chips, Wasser-Elektronik, Supraleiter, Magnetelektrik und Biografien vor der Erfindung der Schrift: Für ihre wegweisenden Projekte können sich fünf Spitzenforscher und -forscherinnen über insgesamt über zehn Millionen Euro vom Europäischen Forschungsrat „ERC“ freuen. Darauf haben das sächsische Wissenschaftsministerium und die beteiligten Institute in Dresden, Chemnitz und Leipzig hingewiesen.

Minister freut sich: Gleich 5 Stipendien für Sachsen

Konkret handelt es sich um sogenannte „ERC Consolidator Grants“. Das sind Stipendien für besonders vielversprechende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die gerade dabei sind, ihre besondere Expertise zu festigen. Dafür spendiert der Forschungsrat jeweils zwei Millionen Euro plus maximal eine weitere Million für besondere Kosten. „Dass sich in dem strengen Auswahlverfahren gleich fünf exzellente Forschende aus Sachsen durchsetzen konnten, freut mich besonders“, betonte Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU).

Dr. Nicola Poccia. Foto: R. Uhlemann für das IFW Dresden

Dr. Nicola Poccia. Foto: R. Uhlemann für das IFW Dresden

Nicola Poccia und die verdrehten Twistronik-Chips

So arbeitet beispielsweise Dr. Nicola Poccia vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden an den Computerchips von übermorgen, die mit Twistronik und ohne Stromwiderstand, also supraleitend, rechnen. Dafür erzeugt er im Zuge seines Projektes „3DCuT“ („3D Cuprate Twistronics as a platform for high-temperature topological superconductivity“) dünne Stapel aus Wismut, Strontium, Kalzium und Kupferoxid und verdreht (englisch: „twist“) diese Schichten dann ganz leicht. Durch diese Verzerrung lernen diese Material plötzlich verblüffende Fähigkeiten bis hin zur Supraleitung, die sie beispielsweise für den Einsatz in der Quantensensorik, Quantenkryptographie oder Quantencomputern empfehlen.

Elena Hassinger. Foto: Tobias Ritz für Ct.qmat

Elena Hassinger. Foto: Tobias Ritz für Ct.qmat

Elena Hassinger auf der Spur topologischer Quantencomputer

Ebenfalls mit Supraleitern beschäftigt sich Prof. Elena Hassinger vom Exzellenz-Zentrum „Ct.qmat“ der TU Dresden. Die Professorin für die Tieftemperaturphysik komplexer Elektronensysteme hat mit Cer-Rhodium-Arsen (CeRh2As2) einen unkonventioneller Supraleiter entdeckt. Der beherrscht gleich zwei supraleitende Zustände. „Die zweite supraleitende Phase entsteht, weil die sonst ganz symmetrische Kristallstruktur rund um das Cer-Atom asymmetrisch ist. Genau das macht die chemische Verbindung besonders und zu einem heißen Kandidaten für topologisches Quantencomputing“, beschreibt Hassinger das enorme Potenzial, welches in dem Material steckt. „Die gleiche unkonventionelle Struktureigenschaft möchte ich auch in anderen Quantenmaterialien suchen und nutzen, um topologische Supraleitung bei höheren Temperaturen zu finden.“

Karin Leistner. Foto: Jacob Müller für die TUC

Karin Leistner. Foto: Jacob Müller für die TUC

Karin Leistner entwickelt Minimagnete für Mikroroboter

Innovative elektrische und elektronische Bauelemente stehen auch für Professorin Karin Leistner von der Technischen Universität Chemnitz (TUC) im Fokus, wenngleich sie dafür einen ganz anderen Pfad verfolgt: Die Inhaberin der Professur Elektrochemische Sensorik und Energiespeicherung am Institut für Chemie der Technischen Universität Chemnitz entwickelt elektrochemisch schaltbare Mikromagnete mit überragender Energieeffizienz für die Magnetoelektrik von morgen. Das Problem dabei: Elektromagnete im Mikrometermaßstab brauchen vergleichsweise hohe elektrische Ströme, um Magnetfelder sicher zu schalten. Dadurch verbrauchen sie viel zu viel Energie und generieren viel Abwärme.

Karin Leistners Projekt „Actions: Engineering Magneto-Ionic Materials for Energy-Efficient Actuation and Sensing“ geht nun „ einenbahnbrechend neuen Weg zu energieeffizienten magnetischen Mikro- und Nanosystemen vor, der auf magneto-ionischen Materialien beruht“, heißt es von der TUC. Letztlich soll dies zu winzigen magnetischen Bauelementen führen, die die Medizintechnik, Mikroskopie und Mikrorobotik revolutionieren könnten. Leistners Stipendium ist übrigens der erste „ERC Consolidator Grant“ überhaupt für die Chemnitzer Uni, die sich geraumer Zeit bemüht, international sichtbare Exzellenz-Forschungsschwerpunkte aufzubauen.

Prof. Ivan R. Minev. Foto: Emanuel Richter für das IPF

Prof. Ivan R. Minev. Foto: Emanuel Richter für das IPF

Ivan Minev baut Maschinen aus Wasser

Prof. Ivan Minev vom Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) Dresden wiederum setzt sein Stipendium für das Projekt „Gelectro“ („Hydrogel Machines for Seamless Living System Interfaces) ein. Er arbeitet an einer neuen Klasse elektronischer Hydrogel-Komponenten, die fast vollständig aus Wasser bestehen und die Schnittstelle zwischen Gewebe und Maschine verschwinden lassen.

Benjamin Vernot. Foto: MPI Eva

Benjamin Vernot schreibt prähistorische Biografien

Einem ganz anderen Thema widmet sich Dr. Benjamin Vernot vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Eva) Leipzig. Der Leiter der Forschungsgruppe „Prähistorische Umweltgenomik“ untersucht den Lebensverlauf prähistorischer Europäer, deren Geschichte und sozioökonomische Strukturen mithilfe von alter menschlicher Erbgut-Moleküle aus versteinerten Ablagerungen. Hintergrund: Der Mensch gibt ständig DNS (englisch: DNA) an seine Umgebung ab.

„Dieses Erbgut überdauert unter anderem in Sedimentablagerungen, die im Vergleich zu den äußerst raren Funden von fossilen Knochen und Zähnen, in archäologischen Stätten oft reichlich vorhanden sind“, erklären die Eva-Forscher. Vernots Forschungsprojekt „Unearth“ kombiniere daher genetische, archäologische und Isotopenuntersuchungen. „Unser Projekt wird genetische Abstammung und soziale Organisationsstrukturen aufdecken und Individuen von ihren Gräbern ausgehend mit den Räumen verbinden, wo sie zu Lebzeiten genetische Spuren hinterlassen haben – ihrem Zuhause”, verspricht der Forscher. „Alte DNA aus Sedimenten wird es uns ermöglichen, archäologische Stätten, Kulturen und Zeitabschnitte zu erforschen, für die keine oder nur wenige andere menschliche Überreste vorhanden sind.”

Autor: hw

Quellen: SMWK, IFW Dresden, TUC, Ct.qmat

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt