Forschung, Landwirtschaft, News, zAufi

Projekt „Ziersens“: Künstliche Neuronen als Blumenretter

Mobile "Ziersens"-Geräte sollen künftig schonend und schnell erkennen, ob eine Blume mehr Dünger, weniger Wasser oder andere Pflege braucht. Foto: LfULG

Mobile „Ziersens“-Geräte sollen künftig schonend und schnell erkennen, ob eine Blume mehr Dünger, weniger Wasser oder andere Pflege braucht. Foto: LfULG

Organische Elektronik von Fraunhofer Dresden soll „Hunger“ und „Durst“ von Zierpflanzen erkennen

Dresden, 17. November 2023. Damit Primeln, Orchideen, Weihnachtssterne und andere Zierpflanzen nicht mehr so schnell verdorren oder verfaulen, spannt die Dresdner Fraunhofer-Forscherin Judith Baumgarten für die Blumenpflege organische Sensorik und Künstliche Intelligenz (KI) ein: Sie und ihre Kollegen arbeiten gemeinsam mit sächsischen Landwirtschafts-Experten an neuartigen „Ziersens“-Geräten, die Blätter anleuchten und dann mit Hilfe neuronaler Netze erkennen, ob die Zierpfanze womöglich weniger Wasser oder weniger Dünger braucht. Das geht aus einer Mitteilung des „Fraunhofer-Instituts für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik“ (FEP) in Dresden hervor.

Projektleiterin sieht „großes Potenzial für den Pflanzenbau der Zukunft“

„Dem Projekt lag die Hypothese zugrunde, dass man einen Mangel oder Überschuss an Nährstoffen frühzeitig an kleinsten Veränderungen in der Blattfärbung ausmachen kann“, erklärt FEP-Projektleiterin Judith Baumgarten. Zwar müsse das Team die Messtechnik zunächst weiter verbessern, bevor an einen Praxiseinsatz zu denken sei. Aber: „Wir sehen ein großes Potenzial für den Pflanzenbau der Zukunft mit Unterstützung smarter Technologien.“

Die organischen Bildschirm-Kameras liefern Foto-Farbaufnahmen (hier Probebilder) der untersuchten Blumenblätter. Neuronale Netze sollen aus den Bildern schlussfolgern, was die Zierpflanze gerade braucht. Abb.: Sven Schubert für das LfULG

Die organischen Bildschirm-Kameras liefern Foto-Farbaufnahmen (hier Probebilder) der untersuchten Blumenblätter. Neuronale Netze sollen aus den Bildern schlussfolgern, was die Zierpflanze gerade braucht. Abb.: Sven Schubert für das LfULG

Organische Bildschirme arbeiten wie Blatt-Kameras

Und so soll das Blumen-Pflegetipp-System künftig funktionieren: Eine Mechanik drückt Ziergewächse an organische Mini-Bildschirme, die das Blatt anleuchten und dann das zurückgeworfene Licht auswerten. Mit diesen Bildern füttern sie ein neuronales Netz, das mit der Zeit lernt zu erkennen, worauf beispielsweise gelbe, braune oder andere Flecken am Blatt hindeuten: zum Beispiel auf einen Mangel an Wasser, eine Überdüngung oder andere Pflegefehler. Auch das Alter der Pflanze und andere Informationen lassen sich so gewinnen. Mit der Zeit kann das System dann selbstständig Diagnosen stellen, aus denen ein Computerprogramm in Zukunft dann auch Pflegetipps ableiten könnte.

Zuviel Blumenarten: Team setzt auf Kaskaden aus neuronalen Netzen

In der Praxis muss das Ziersens-Team allerdings noch einige Herausforderungen zu meistern, bis der künstliche Blumenpflege-Assistent praxisreif ist. Ein Beispiel: Die Vielzahl zu erkennender Blumenarten überfordert nach derzeitigem Technikstand kleinere neuronale Netze, die für mobile Endgeräte konstruierbar sind. „Aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften der Pflanzen wäre ein sehr großes neuronales Netz erforderlich“, heißt es im FEP-Zwischenbericht. „Damit wäre eine Berechnung nicht mehr auf mobilen Endgeräten möglich, wie sie aber im smarten Pflanzenbau nötig sind.“ Deshalb verfolge das Team nun „einen kaskadierten Ansatz mit mehreren kleineren Netzen, deren Ressourcenbedarf deutlich geringer ausfällt“.

Ziersens-Geräte sind zunächst für die Profi-Gärtner gedacht

Dabei arbeiten Baumgarten und ihr Fraunhofer-Team mit dem Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) zusammen. Die Behörde bringt einerseits seine Praxisexpertise ein. Sie bewirtschaftet anderseits auch eigene Erprobungs-Felder und -Gewächshäuser, in denen Forscher beispielsweise Pflanzenpflege-Roboter, vertikale Solartechnik für Plantagen und andere neue Gärtnerei-Technologien testen können. Als künftige Einsatzorte für ihre Blumen-Assistenten sehen die Projektpartner vorerst aber noch nicht das Wohnzimmer oder den Balkon-Blumenkasten daheim, sondern vor allem professionelle Gärtnereien.

Blumenzucht ist wichtiger Wirtschaftsfaktor

Der Zierpflanzenbau ist in vielen Regionen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Laut dem Statistikportal „Statista“ betrug der Produktionswert der in Deutschland erzeugten Blumen und Zierpflanzen im Jahr 2022 rund 1,2 Milliarden Euro. „Mit Schnittblumen wurde ein Umsatz in Höhe von rund 3,1 Milliarden Euro erzielt“, zitiert das FEP aus diesen Statistiken. „Damit der Pflanzenbaubereich in Deutschland weiter wettbewerbsfähig bleibt, ist er auf sichere und hohe Erträge angewiesen. Entscheidende Faktoren hierfür sind unter anderem erfolgreiche Pflanzenzüchtungen, Pflanzenschutz und optimale Düngung, um Ressourcen und Böden zu schonen.“

Zerstörungsfreie Echtzeit-Analyse angepeilt

Ähnlich sehen das auch die Projektpartner: Solch eine innovative Spitzentechnologie wie „Ziersens“ könne die „Kultursicherheit, Produktqualität, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit bei der Produktion von Zierpflanzen und anderen Pflanzen“ deutlich verbessern“, heißt es vom LfULG. Zwar gebe es auch heute schon Ansätze, um den Ernährungszustand von Pflanzen technisch zu ermitteln. Diese Substratanalysen seien jedoch aufwendig und „liefern nur zeitversetzt Informationen über den Zustand in der Wurzelumgebung, nicht aber der Pflanze selbst“. Insofern könnten mobile Ziersens-Geräte, wenn sie zur Serienreife gelangen, in Zukunft eine Möglichkeit schaffen, Probleme in der Blumenzucht in Echtzeit, relativ preiswert und vor allem auch zerstörungsfrei zu ermitteln.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Fraunhofer-FEP, LfULG, Statista, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt