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Immer mehr Sachsen trifft der Schlag

Der Neurologe Timo Siepmann vom Uniklinikum Dresden erklärt der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping, wie sich per Tele-Konsil ein Patient mit Schlaganfall-Verdacht aus der Ferne diagnostiziert werden kann. Foto: Heiko Weckbrodt

Der Neurologe Timo Siepmann vom Uniklinikum Dresden erklärt der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping, wie sich per Tele-Konsil ein Patient mit Schlaganfall-Verdacht aus der Ferne diagnostiziert werden kann. Foto: Heiko Weckbrodt

170.000 Fälle pro Jahr – Freistaat stärkt mit drei Millionen Euro seine telemedizinische Netze für Schlaganfall-Diagnose und -Therapie

Dresden, 26. Oktober 2023. Jeden Tag trifft der Schlag durchschnittlich fast 50 Menschen in Sachsen: Nach dem Aufstehen zeigt der Badspiegel einen hängenden Mundwinkel, im Supermarkt wird plötzlich das Bein taub und versagt den Dienst oder die Augen bekommen nur noch Doppelbilder zustande. Dann ist höchste Eile geboten: „Nach einem Schlaganfall zählt jede Minute“, erklärt der Neurologe Prof. Timo Siepmann vom Uniklinikum Dresden (UKD). „Nach den ersten Symptomen sterben in jeder Minute, in der es nicht gelingt, den Blutbahnverschluss im Gehirn zu beseitigen, zwei Millionen Nervenzellen.“

Rasche Blutverdünner-Therapie oder Katheder-OP kann viel Hirngewebe retten

Daher haben er und seine Kollegen von drei Dutzend weiteren Kliniken im Freistaat telemedizinische Schlaganfall-Netzwerke etabliert, die sich nun noch enger verfechten und technisch aufrüsten. Hier können Ärzte aus dem ländlichen Raum ihre Patienten mit Schlaganfall-Verdacht den besten Stroke-Spezialisten des Landes per Videokonferenz vorstellen. In den Telekonsilien beurteilen dann beispielsweise Top-Neurologen aus Dresden, Leipzig oder Chemnitz die Hirn-Computertomografien eines Patienten in Bautzen oder Mittweida begutachten, die Schlag-Symptome begutachten – und dann eine Therapie empfehlen. Das kann beispielsweise eine Blutverdünner-Behandlung sein, damit sich kleinere Gerinnsel im Hirn selbst lösen. Die Experten können aber auch besser als der normale Neurologe beurteilen, ob ein sofortiger Weitertransport in ein Spezial-Zentrum für eine Katheder-OP am Schädel nötig ist. Mittlerweile sei ein diagnostisches therapeutisches Niveau erreicht, dass selbst noch 24 Stunden nach den ersten Symptomen Hirngewebe zu retten sei, betont Prof. Siepmann.

Patienten mit aggressiven Hirntumoren könnten von einer verbesserten Strahlentherapie profitieren. Grundlage ist eine kombinierte PET-MRT-Bildgebung. Foto: André Wirsig für das NCT/UCC

Per CT, MRT (hier ein Foto von der Krebsdiagnostik am Uniklinikum) oder Ultraschall können geschulte Experten die Hirnschädigungen nach einem Schlaganfall einschätzen. Foto: André Wirsig für das NCT/UCC

Drei Teilnetze nun durch „Stroke-Link“ verknüpft

2007 hatten das Uniklinikum Dresden und weitere Partner mit den Aufbau der ersten telemedizinischen Netzwerke für die Schlaganfall-Diagnose begonnen. „Wir gehörten damals zu den ersten in Deutschland“, erinnert sich UKD-Medizinvorstand Prof. Michael Albrecht. Inzwischen gibt es drei dieser Netze im Freistaat: Das UKD betreut über das „SOS-Telenet“ die regionalen Kliniken in Ostsachsen, das Klinikum St. Georg in Leipzig sowie das Fachkrankenhaus Hubertusburg in Wermsdorf sind über das „Tessa“-Netz für Westsachsen zuständig und schließlich das Heinrich-Braun-Klinikum Zwickau, das Klinikum Chemnitz und sowie das Helios-Klinikum Aue für Südwestsachsen. Damit alle Zentren und die 35 Partnerklinken immer auf dem neusten Diagnose- und Therapie-Stand arbeiten, richten die beteiligten Neurologen nun eine gemeinsame Geschäftsstelle „Stroke-Link“ in Dresden ein, erneuern zudem derzeit ihre telemedizinische und computertechnische Ausstattung. Möglich macht dies eine 3-Millionen-Euro-Förderung, die Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) aus dem Krankenhauszukunftsfonds (KHZF) organisiert hat.

Experten-Diagnose auch für Patienten auf Land

Denn der Nutzen der Netzwerke ist mittlerweile unbestritten: „Durch die telemedizinischen Schlaganfallnetzwerke kann die Zeit zwischen dem Auftreten eines Schlaganfalls und der Behandlung verkürzt werden“, schätzt das UKD ein. Dadurch könnten auch in „dünn besiedelten ländlichen Regionen akut auftretende Schlaganfälle sicher diagnostiziert und auf fachlich höchstem Niveau therapiert werden“.

1500 Tele-Konsile im Jahr

Und die Schlaganfallexperten sind tagtäglich gefragt: Allein im ostsächsischen „SOS-Telenet“ kommen jedes Jahr 1500 Fernberatungen (Telekonsile) an, Tendenz: steigend, berichtet Prof. Siepmann. Das liegt einerseits daran, dass sich das Angebot in der Ärzteschaft herumgesprochen hat und wirklich hilfreich gilt.

Wachsender Senioren-Anteil treibt Schlaganfall-Zahlen nach oben

Andererseits aber spielt hier der demografische Faktor hinein: „Die Schlaganfallzahlen nehmen spürbar zu“, sagt der Neurologe: In einer Gesellschaft mit einem wachsenden Senioren-Anteil steige das Schlaganfall-Risiko zwangsläufig. Mittlerweile gehen die Mediziner von etwa 17.000 Schlaganfällen pro Jahr in Sachsen aus. Deutschlandweit trifft jährlich rund 270.000 Menschen der Schlag. Solche plötzlichen Hirnschädigungen gehören zu den häufigsten Ursachen für Tod und dauerhafte Behinderungen nicht nur im Freistaat, sondern in den meisten Industrieländern. Und eben deshalb erachten es die Ärzte als so wichtig ein, die Zeit vom Schlag bis zu den ersten Therapieschritten weiter zu verkürzen – beispielsweise, indem eben per Telemedizin ausgewiesene Experten jederzeit hinzugezogen werden können.

Wie erkenne ich einen Schlaganfall?

Diese plötzlich auftretenden Symptome können auf einen Schlaganfall hinweisen:

  • Hängender Mundwinkel
  • Eingeschränkte Mimik
  • Augen stehen unnatürlich in verschiedene Richtungen
  • Plötzliche Taubheit in Armen oder Beinen, insbesondere in einer Körperhälfte
  • Herabgesetzte sensorische Empfindungsfähigkeit
  • Sprechprobleme
  • Plötzlicher starker Kopfschmerz mit dem Gefühl, dass „etwas kaputt gegangen ist“

Was ist zu tun?

  • Notdienst über die Telefonnummer 112 rufen

Was ist eigentlich ein Schlaganfall?

  • Eine plötzliche Schädigung im Gehirn, beispielsweise infolge eine Durchblutungsstörung oder Hirnblutung. Durch den Sauerstoffmangel sterben Hirnareale mangels Versorgung ab.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: UKD, Stroke-Link, RKI, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt