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Sachsen plant Nachhaltigkeits-Forschungscampus in Freiberg

Probe mit Elektroschritt aus einem zerkleinerten Kühlschrank. Helmholtz-Freiberg-HIF Foto: Heiko Weckbrodt

Probe mit Elektroschritt aus einem zerkleinerten Kühlschrank. Helmholtz-Freiberg-HIF
Foto: Heiko Weckbrodt

Privatinstitut UVR fürchtet De-facto-Enteignung durch Flexiplant-Testfabrikprojekt

Freiberg, 20. September 2023. Um innovative Recycling-Methoden für die deutsche Industrie zu entwickeln und praxisnah zu erproben, wollen Helmholtz-Forscher und das sächsische Wissenschaftsministerium in Freiberg einen neuen „Nachhaltigkeits-Campus“ mit dreistelligen Millionen-Investitionen einrichten. Wachstumskerne dieses „Forschungscampus für Ressourcentechnologie und Nachhaltigkeit“ sollen das „Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie“ (HIF) und dessen geplante Hightech-Recycling-Testfabrik „Flexiplant“ sein. Das hat Wissenschaftsstaatssekretär Andreas Handschuh nach einer auswärtigen Sitzung der sächsischen Regierung in Freiberg angekündigt. Allerdings gibt es auch Kritik am Vorhaben: Das benachbarte Institut „Umweltschutztechnologie, Verfahrensentwicklung, Recycling GmbH“ fürchtet das Aus, wenn die Pläne so verwirklicht werden wie derzeit vorgesehen.

Aufbereitungs-Institut gehörte vor der Wende zur DDR-Akademie der Wissenschaften

Streitpunkt ist das Areal an der Chemnitzer Straße 40 in Freiberg. Dort hatte die Bergakademie Freiberg im Jahr 1948 zunächst ein „Institut für Aufbereitung“ eingerichtet. Daraus entwickelte sich unter der Leitung von Prof. Helmut Kirchberg eine selbstständige Forschungsstelle, die ab 1954 zum DDR-Ministerium für Schwerindustrie gehörte. 1958 wurde diese Stelle als „Forschungsinstitut für Aufbereitung“ (FIA) der Akademie der Wissenschaften zugeschlagen. Es spezialisierte sich auf „verfahrenstechnische Grundlagen der Aufbereitung und die Entwicklung neuer Verfahren und Technologien zur optimalen Nutzung einheimischer Rohstoffe“. Bis 1986 wuchs dieses Institut auf 412 Mitarbeiter.

UVR spezialisierte sich auf industrienahe Rohstoff-Rückgewinnung

Nach der Wende löste die Bundesrepublik die Akademie der Wissenschaften der DDR auf. Das Ende für das FIA in Freiberg kam Ende 1991. Als Nachfolger entstanden mehrere kleinere Forschungseinrichtungen, als größte darunter die „Umweltschutztechnologie, Verfahrensentwicklung, Recycling GmbH“ (UVR-FIA). Diese inzwischen als An-Institut der Bergakademie eingestufte Privatinstitut hatte 2011 auch die Ansiedlung des HIF als Tochter des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) im ehemaligen Akademie-Gebäude direkt an der Chemnitzer Straße unterstützt. Das UVR selbst sieht sich dabei als Partner und nicht als Konkurrenz für die Helmholtz-Forscher: „Wir sind sehr erfolgreich auf dem Gebiet der Aufbereitung und des Recyclings von Rohstoffen tätig“, betont UVR-Chef Dr.-Ing. Henning Morgenroth. Partner seien regionale und internationale Unternehmen aus der rohstoffgewinnenden und -recycelnden Industrie sowie Forschungseinrichtungen wie das HIF, die TU Bergakademie Freiberg, die RWTH Aachen, die Montanuniversität Leoben und mehrere Fraunhofer-Institute. „Unser weltweit einzigartiges Technikum ist für unsere Partner in der Industrie und Forschung ein wesentlicher Grund für eine erfolgreiche Forschung- und Entwicklungsarbeit.“

Privatinstitut hat in umstrittener Halle 350 Versuchsgeräte und Anlagen installiert

Und um eben dieses Technikum entspinnt sich nun ein Konflikt: Das UVR hat dort 350 Versuchsgeräte und Anlagen installiert. Die stuft Morgenroth als unerlässliche Forschungsinfrastruktur für die UVR-Entwicklungsprojekte ein.

Helmholtz will in der Halle Hightech-Recycling von Elektronikschrott testen

Das HIF, HZDR und Wissenschaftsministerium wiederum aber wollen in dieser Halle für 108 Millionen Euro die „Flexiplant“ einrichten: Eine große Pilotanlage, die mit Robotern, innovativen Sensoren, Künstlicher Intelligenz sowie mechanisch-chemischen Trennverfahren vormachen soll, wie Deutschland künftig seine Elektronikschrottberge abtragen und dabei strategisch wichtige Wertstoffe wie Gold, Platin, Kupfer und Seltene Erden zurückgewinnen kann. Die Sachsen hoffen, dieses Großprojekt über die „Nationale Roadmap für Forschungsinfrastrukturen“ des Bundes zu wesentlichen Teilen finanzieren zu können.

Dr. Andreas Handschuh. Foto: Foto-Böhme Frauenstein

Andreas Handschuh. Foto: Foto-Böhme Frauenstein

Campus soll international Maßstäbe setzen

„Mit völlig neuen Ansätzen zur Rohstoffaufbereitung wird die hier geplante Forschungsfabrik den Wissenschafts- und Innovationsstandort Freiberg über die Grenzen Sachsens und Deutschlands hinaus weiter bekannt machen, aber auch Region und Wirtschaft stärken“, hofft Staatssekretär Handschuh. „Perspektivisch soll so ein ganzer Nachhaltigkeits-Campus entstehen, der international Maßstäbe für Konzepte der Rohstoff-Rückgewinnung setzen wird“, ergänzt HZDR-Wissenschaftsdirektor Prof. Sebastian Schmidt.

Prof. Sebastian Schmidt ist seit April 2020 der wissenschaftliche Direktor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Sebastian Schmidt ist seit April 2020 der wissenschaftliche Direktor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf. Foto: Heiko Weckbrodt

Morgenroth: „Dieses Vorhaben gefährdet die Existenz der UVR“

Weniger enthusiastisch sieht das UVR-Team diese Pläne: Wenn die Flexiplant in ihr Technikum hineingebaut werde, komme das einer Enteignung gleich, kritisiert Morgenroth das Vorhaben in seiner jetzigen Form. „Die Grundlagen für eine weitere erfolgreiche Kooperation mit unseren regionalen Industriepartnern, der TU Bergakademie sowie dem Helmholtz-Institut werden mit dem Vorhaben Flexiplant in der gegenwärtigen Konstellation zerstört.“ Dies gefährde die gesamte Existenz der UVR-FIA GmbH. Morgenroth fordert daher vom sächsischen Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) ein Konzept und Zusicherungen, wie die UVR-Forschungsinfrastruktur sowie die Arbeitsfähigkeit des Privatinstitut während der Bauzeit in den kommenden sechs bis acht Jahren erhalten werden könne. „Wir schlagen vor, dass das UVR-FIA mit seiner Industrieforschung integraler Bestandteil des Vorhabens ,Flexiplant’ wird.“ Damit greift Morgenroth zentrale Forderungen des UVR-Gesellschafters, der Freiberger „Gesellschaft für Verfahrenstechnik“ auf. Die hat bereits an den HZDR-Vorstand appelliert: „Machen Sie bitte Ihren Einfluss geltend, dass durch das Vorhaben Flexiplant nicht mit Hilfe von Steuermitteln unnötig Arbeitsplätze zerstört werden, sondern im Gegenteil eine schlagkräftige Forschungsinfrastruktur sowohl für Anwendungs- als auch Grundlagenforschung geschaffen wird!“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: SMWK, UVR, Bergarchiv Freiberg / Sächsisches Staatsarchiv, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt