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Sensorauge durchschaut des Pudels Kern

Organischer Sensor von Senorics im Größenvergleich auf einer Fingerkuppe Foto: Heiko Weckbrodt

Organischer Sensor von Senorics im Größenvergleich auf einer Fingerkuppe Foto: Heiko Weckbrodt

Organische Sensoren von „Senorics“ Dresden erkennen falsche Seide und faulen Apfel im Laden

Dresden, 21. August 2023. Wenn sich künftig Saubermach-Roboter zielgerichtet auf die Flecken im Teppich stürzen oder Smartphones im Supermarkt durch bloßen „Anschauen“ erkennen, ob der rote Apfel im Regal innerlich längst überreif ist, dann ist das auch einer einstigen Uni-Ausgründung aus Sachsen zu verdanken: Senorics Dresden hat einzigartige organische Mini-Spektrometer entwickelt, die wie allesdurchdringende Superaugen arbeiten. Die daumennagelkleinen Sensoren können zum Beispiel auf den ersten Blick echte Seide vom Polyester-Imitat unterscheiden, die Qualität frischgebrauter Biere einschätzen und sogar manipulierte Drogen erkennen.

Senorics-Geschäftsführer Thomas Schlicher. Foto: Heiko Weckbrodt

Senorics-Geschäftsführer Thomas Schlicher. Foto: Heiko Weckbrodt

Möglichst viel Selbermachen statt nach China delegieren

„Wir sind ein Deeptech-Unternehmen“, betont Senorics-Chef Thomas Schlicher. Gemeint sind damit im Branchenslang all jene Firmen, die tief ins technologische Neuland vorstoßen. „Wir entwickeln und produzieren alle Kernkomponenten selbst.“ Und das sichert dem Unternehmen in seiner Technologie-Nische einen weiten Vorsprung von der internationalen Konkurrenz.

Im Umfeld des Dresdner Organik-Papstes Leo verwurzelt

Die Ursprünge von Senorics wurzeln, wie so viele Ausgründungen der Nachwende-Zeit, im Institut für angewandete Photophysik an der TU Dresden. Die dortigen Forscherteams um den Dresdner Organik-Papst Prof. Karl Leo entwickelten in den vergangenen Dekaden bahnbrechende Rezepte und Rezepturen für organische Elektronik, Sensorik, Solartechnik und Leuchtdioden. Und sie schufen sächsische Vorzeige-Unternehmungen wie Novaled, Heliatek – oder Senorics, zu dessen vier Gründern im Jahr 2017 eben auch Prof. Leo gehörte.

Senorics-Laborassistent Thomas May lötet einen organischen Sensor auf eine Leiterplatte. Foto: Heiko Weckbrodt

Senorics-Laborassistent Thomas May lötet einen organischen Sensor auf eine Leiterplatte. Foto: Heiko Weckbrodt

Hightech in der alten Fettschmelze

Residierte die Ausgründung anfangs in Dresdner Technologiezentrum an der Gostritzer Straße, ist Senorics seither so gewachsen, dass das Unternehmen 2021 in die ehemalige Fettschmelze im Ostragehege umgezogen ist – in die unmittelbare Nachbarschaft des entstehenden Vodafone-Forschungszentrums Dresden. Die Fettschmelze gehörte früher zu jener Großschlachterei, der Kurt Vonnegut in seinem Buch „Schlachthaus Nr. 5“ ein ganz eigenes literarisches Denkmal gesetzt hatte. Dort entwickelt Sensorics seine Technologie nun weiter, erledigt auch die Endmontage in der alten Fettschmelze. Die organischen Sensoren fertigt das Unternehmen auf einer eigenen Produktionslinie auf dem Uni-Campus, kann dort auch auf universitäre Anlagentechnik zugreifen.

Eine Scheibe (Wafer) mit winzigen organischen Infrarot-Spektrometern. Foto:- Senorics Dresden

Eine Scheibe (Wafer) mit winzigen organischen Infrarot-Spektrometern. Foto:- Senorics Dresden

Bisher durch Kapitalgeber finanziert – 2027 erste Gewinne erwartet

Gewinne macht Senorics zwar bis zum heutigen Tage nicht, lebt immer noch vom Risikokapital der Anteilseigner wie Thomas Bohn, Fidura oder Carl Zeiss. Doch das Unternehmen nähert sich dem Punkt, an dem es die Früchte jahrelanger Forschung und Entwicklung endlich ernten kann: Die großformatige Serienproduktion von Sensoren und eigenen Komplettgeräten steht bevor, ab 2024 stehen größere Aufträge und Umsätze auf der Agenda. Mit ersten Gewinnen rechnet Geschäftsführer Schlicher aber erst ab 2027. Etwa bis dahin wird die Belegschaft wahrscheinlich auch von derzeit 40 auf dann rund 100 Beschäftigte gewachsen sein. Der entscheidende Punkt dürfte sein: Senorics hat mittlerweile mehrere namhafte Kunden aus dem In- und Ausland an der Angel, weltweit eine wohl einzigartige Expertise für den Bau organischer Spektroskopie-Sensoren akkumuliert, die sich nun endlich auch in Euro und Cent auszuzahlen beginnt.

Senorics-Logo am Firmeneingang. Foto: Heiko Weckbrodt

Senorics-Logo am Firmeneingang. Foto: Heiko Weckbrodt

Spektroskopie ist zwar lang bekannt, aber bisher sehr aufwendig

Dazu sollte man wissen: Von Anfang basierte das Geschäftsmodell auf einem neuen technologischen Ansatz für eine altbekannte und bewährte Untersuchungstechnik: Schon seit über 150 Jahren setzen Chemiker, Physiker und Astronomen die Spektroskopie ein, um neue Stoffe oder uralte Sterne aus der Ferne zu analysieren. Das Verfahren basiert auf der Erkenntnis, dass jedes chemische Element einen anderen photonischen Fingerabdruck hat. Das heißt, jedes Metall, Edelgas oder Halogen sendet Licht auf einer ganz bestimmten, individuellen Wellenlänge ab, wenn es durch Wärme oder äußere Bestrahlung zum Leuchten gebraucht wird. Dadurch ist es beispielsweise möglich, die Zusammensetzung medizinischer Wirkstoffe im Labor zu verstehen, die innere Beschaffenheit ferner Sterne auszulesen oder eben Speisen und Getränke zu analysieren.

Mini-Spektrometer lesen photonischen Fingerabdruck aus

Allerdings benötigten Forscher und Laboranten dafür in früheren Jahren sehr gewichtige und teure Spektroskopie-Anlagen. Eben dies beginnt sich jedoch zu wandeln – und sächsische Erfinder spielen dabei eine wichtige Rolle. Neben der Dresdner Fraunhofer-Ausgründung „Hiperscan“, die für ihre Mini-Spektrometer auf Spiegelchips setzt (DNN berichteten), gehört hier Senorics zu den Vorreitern. Anders als die Kollegen von Hiperscan, mit denen Senorics auch gelegentlich kooperiert, setzt die Uni-Ausgründung allerdings auf organische Elektronik, um immer kleinere Spektrometer zu bauen. Der Nachteil im Vergleich zu Mikrospiegeln und anderen Konkurrenz-Lösungen: Die organischen Sensoren können nur organische Substanzen analysieren. Vorteil: Sie lassen sich viel stärker verkleinern und auch kostengünstiger herstellen.

So funktioniert der Sensor

Konkret haben die Senorics-Gründer winzig kleine Sensoren aus einer mikrometerdünnen organischen Sensorschicht entwickelt. Diese künstlichen „Augen“ sind mit winzigen Leuchten gekoppelt, die unsichtbares Infrarot-Licht auf das Untersuchungsobjekt senden. Je nach innerer Beschaffenheit sendet das Testobjekt dann Infrarotstrahlen mit einer leicht verschobenen Wellenlänge zurück. Der organische Sensor fängt diesen „leuchtenden Fingerabdruck“ auf, sendet ihn per Bluetooth-Funk weiter an ein Smartphone und schließlich in eine Rechnerwolke („Cloud“). Dort analysiert schließlich eine speziell angelernte Auswerte-Software von Sensorics, welche organischen Stoffe in dem Untersuchungsobjekt drinstecken.

Der Trikorder von der „Enterprise“ lässt grüßen: Aus Sci-Fi wird Alltagstechnologie

Diese Technologie wird den Einen oder Anderen vielleicht an das Fernseh-Raumschiff „Enterprise“ erinnern: Dort musste Wissenschaftsoffizier Spock nur einfach einen „Trikorder“ lässig in Richtung eines fremdartigen Artefakts oder in die Atmosphäre auf einem neu entdeckten Planeten halten, um zu erfahren, was das da für ein Alien-Objekt ist oder ob sich die Luft atmen lässt. Und was gestern noch Science Fiction war, rückt dank der Dresdner Physiker, Ingenieure und Programmierer in die greifbare Gegenwart: Reichlich sechs Jahre nach der Gründung kommen jetzt die ersten mobilen Senorics-Geräte nach und nach auf den Markt – wenn auch zunächst nur für professionelle Nutzer. Zu den ersten Kunden gehört Carl Zeiss: Der Optikkonzern und Senorics-Anteilseigner will die organischen Senoren aus Sachsen in landwirtschaftlichen Anlagen einsetzen, welche die Güte von Futter und Saatgut im Silo automatisch erkennen.

Die mobilen Spektrometer von Sensorics können berührungslos erkennen, ob mit der Garnspule zum Beispiel Seide oder schnödes Polyester geliefert wurde. Foto: Heiko Weckbrodt

Die mobilen Spektrometer von Sensorics können berührungslos erkennen, ob mit der Garnspule zum Beispiel Seide oder schnödes Polyester geliefert wurde. Foto: Heiko Weckbrodt

Erste Trikorder gehen an indische Textilindustrie

In die Serienproduktion gehen neben den Sensoren nun auch die ersten eigenen Komplettgeräte von Senorics. Dazu gehört eine Art Garn-Trikorder für Textilfabriken in Indien, Bangladesch und in den USA. Dieses mobile Gerät ähnelt einer kleinen Fernbedienung und kann durch bloßes „Draufhalten“ anzeigen, ob auf der Spule wirklich das vom Lieferanten versprochene Garn aufgewickelt ist.

Cannabis-Trikorder geplant

Ein ähnliches Gerät für die Qualitätskontrolle von Cannabis-Produkten befindet sich gerade in der Entwicklung und wird 2024 produktionsreif sein. Es soll Apotheken und Händlern einen raschen Gegen-Check erlauben, ob die gelieferten Drogenblüten die versprochene Konzentration des Wirkstoffs THC haben oder zweifach ausgeschlachtet wurden. Hintergrund: Weil viele Länder Cannabis entweder für medizinische Zwecke einsetzen oder sogar ganz legalisieren, entwickelt sich ein dynamischer Markt um diese Droge. Und vom dem wollen auch Betrüger profitieren: Sie extrahieren erst dem Wirkstoff THC aus den Pflanzen und bestäuben dann die Blüten mit einem synthetischen THC-Ersatzstoff. Dadurch wollen sie ihre Ernte gewissermaßen doppelt verkaufen. „Mit unseren Messgeräten werden beispielsweise Apotheker die Reinheit genau erkennen können“, sagt Schlicher.

Staubsaug-Roboter sollen Teppiche erkennen lernen

Interesse an den Senorics-Minispektrometern hat aber auch ein großer Hersteller von Staubsaug-Robotern bekundet. Viele der neueren Roboter beherrschen nämlich auch Nasspflege und Fleckenbehandlung – und da könnte es den künstlichen Putz-Knechten durchaus helfen zu wissen, ob sie gerade über Laminat, Auslegware oder einen eingetrockneten Ketchup-Rest fahren.

So sieht der prämierte Biersensor "Plan B" von Senorics aus. Foto: Senorics

So sieht der prämierte Biersensor „Plan B“ von Senorics aus. Foto: Senorics

Für besondere Furore hatte das Senorics-Team auch schon mit einem Biersensor für Privatbrauereien gesorgt. Mit dem „Plan B“-Testaggregat gewannen sie seinerzeit auch einen Innovationspreis. In die Massenproduktion ging das Geräte allerdings dann doch nicht.

Künftig auch Dresdner Organiksensoren fürs Smartphone?

Und damit ist längst noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Im Moment sind die Mini-Spektrometer aus Dresden zwar noch einen Zentimeter im Quadrat groß. Doch weil sich die Sensoren mit ähnlichen Technologien wie die Chips in den Mikroelektronik-Fabriken herstellen lassen, teilen sie mit den Silizium-Schaltkreisen auch einen entscheidenden Vorteil, der in der Branche „Skalierbarkeit“ genannt wird: Sie lassen sich immer weiter verkleinern, damit in größeren Mengen und vor allem immer billiger herstellen. Und so plant Sensorics bereits die übernächste Sensor-Generation, die nur nur vier mal vier Millimeter messen soll. Die soll dann so klein und so billig sein, dass sich auch der Einsatz in ganz normalen Smartphones anbietet. „Wir müssen für unsere nächste Finanzierungsrunde ohnehin Investoren finden – und wir denken, dass da auch ein Smartphone-Hersteller mit dabei sein könnte“, erzählt Schlicher.

Dies wäre dann wohl ein guter Einstieg ins Massen-Geschäft mit Computertelefonen. Die Vorteile solcher Smartphones mit integrierten Mikro-Spektrometern liegen auf der Hand: Ob ein Joghurt sauer, ein Orangensaft gekippt, ein Pfirsich innerlich faul ist oder der teure Cashmere-Pullover in Wirklichkeit ein Surrogat ist, könnte jeder gleich und sofort ermitteln – das Telefon in der Hand erkennt dann die inneren Werte hinter dem schönen Schein sofort.

Kurzporträt

  • Name: Senorics
  • Geschäftsmodell: Entwicklung und Produktion organischer Spektroskopie-Sensoren sowie kompletter tragbarer Spektroskopie-Geräte
  • Stammsitz: Fettschmelze im alten Schlachthofareal auf der Dresdner Ostra-Halbinsel
  • Belegschaft: 40 Beschäftigte (Ziel 2027/28: 100 Beschäftigte)
  • Umsatz: 300.000 Euro (Ziel für 2024: 1 Million Euro)
  • Mehr Infos im Netz: senorics.com

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch, Oiger-Archiv

Hinweis: Dieser Text ist in ähnlicher Form ursprünglich in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt